Berlin. Das Kabinett hat höhere Klimaziele für Deutschland beschlossen. Doch die Proteste gehen weiter, denn die Maßnahmen reichen nicht aus.
Gut zwei Jahre lang protestiert die Klimaschutzbewegung Fridays for Future jetzt schon. Doch ihren vielleicht größten Erfolg hat sie nicht auf der Straße, sondern vor Gericht geholt: Gerade einmal zwei Wochen, nachdem das Bundesverfassungsgericht Klagen von Aktivisten und Aktivistinnen auf mehr Klimaschutz zum Teil recht gab, hat die Bundesregierung die deutschen Klimaziele deutlich erhöht.
Am Mittwoch beschloss das Kabinett die angekündigte Änderung des Klimaschutzgesetzes, mit dem die Bundesrepublik das Ziel, 2045 netto keine Treibhausgase mehr freizusetzen, festschreibt.
Bis 2030 sollen die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 65 Prozent sinken. Für die Zeit nach 2030, für die das Gericht konkrete Vorgaben eingefordert hatte, steht jetzt im Gesetz, um wie viel Prozent die Emissionen pro Jahr sinken müssen. Ziele für die einzelnen Sektoren Energie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfall, wie sie für 2035 und 2040 noch im ersten Entwurf der Novelle standen, gibt es jetzt allerdings nicht mehr.
Klimaschutz: Die Forderungen der Verfassungsrichter sind erfüllt
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) zeigte sich am Mittwoch zufrieden: Mit dem Gesetz schaffe die Bundesregierung „mehr Generationengerechtigkeit, mehr Planungssicherheit und einen entschlossenen Klimaschutz, der die Wirtschaft nicht abwürgt, sondern umbaut und modernisiert“, sagte Schulze. Es gehe nicht um eine Verschärfung der Ziele, sondern um die Entschärfung der Klimakrise.
Ist das Klima mit dem neuen Gesetz also ausreichend geschützt? Zumindest die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts sind erfüllt, sagt Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht. „Das Bundesverfassungsgericht hat nicht jahresscharfe Minderungsziele für die einzelnen Sektoren verlangt, sondern eine langfristige Orientierung und damit Planbarkeit für Bürger und Wirtschaft sowie einen Anpassungsdruck für die Sektoren“, sagt er.
Das liefere das neue Gesetz. „Die Festlegung, dass die Emissionen auch nach 2030 grundsätzlich in gleichmäßigen Schritten sinken, bindet sogar stärker als die Eckdaten für Sektoren, die ursprünglich vorgesehen waren.“ Lesen Sie hier: Deutschland legt beim Klimaschutz den Turbo ein
Deutschland verfehlt 1,5-Grad-Ziel trotz Nachbesserungen
Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen, auf das sich auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung bezog, sind die neuen Ziele zumindest zum Teil kompatibel: Der Vertrag von 2015 sieht vor, die Erderhitzung möglichst auf 1,5 Grad, in jedem Fall auf unter zwei Grad zu begrenzen. Die Zwei-Grad-Marke erreicht Deutschland mit dem neuen Gesetz laut dem Analyseprojekt „Climate Action Tracker“. Für 1,5 Grad wären allerdings 69 Prozent weniger Emissionen im Vergleich zu 1990 nötig.
Da würde man an die Grenzen des Machbaren stoßen, sagt Oliver Geden, Klimaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Schon das, was das Kabinett jetzt verabschiedet hat, sei zwar umsetzbar, aber auch „irre anspruchsvoll“, wie Geden sagt. Kein anderes großes Industrieland habe einen so ehrgeizigen Pfad zur Minderung von Treibhausgasemissionen definiert, wie Deutschland das jetzt tue. „Ich glaube nicht, dass mehr als das geht.“
Mieter und Vermieter sollen höhere Heizkosten teilen
Ob die ambitionierten Ziele auch tatsächlich erreicht werden, hängt jetzt von der Umsetzung ab. Denn das Klimaschutzgesetz an sich gibt nur den Rahmen dessen vor, was geschafft werden soll. Die Frage, mit welchen Mitteln die Ziele erreicht werden, muss separat geklärt werden.
Einen ersten Teil der Antwort auf diese Frage gab das Kabinett ebenfalls am Mittwoch: Auf Drängen der SPD beschloss die Bundesregierung, dass der CO-Preis, der in Zukunft steigen wird, bei den Heizkosten zu gleichen Teilen von Mietern und Vermietern getragen werden soll. Bislang konnten Vermieter diese Kosten vollständig auf die Mieter abwälzen. Auch interessant: So viel Geld gibt der Bund für neue Energietechnologien aus
In vielen anderen Bereichen – etwa in der Gebäudesanierung oder beim dringend nötigen schnelleren Ausbau erneuerbarer Energien – ist allerdings noch offen, wie es jetzt genau weitergehen soll. Das wird wohl auch bis nach der Bundestagswahl so bleiben. „Im Grunde legt man mit diesem Gesetz der nächsten Regierung ein großes Aufgabenpaket vor die Tür“, sagt deshalb Wissenschaftler Geden.
Fridays for Future demonstriert am Freitag wieder
Wichtige Leitplanken für die Erreichung der Ziele werden allerdings schon vor der Bundestagswahl aus Brüssel kommen. Dort arbeitet die EU-Kommission gerade an einem Bündel von Klimaschutzregeln, die sicherstellen sollen, dass das neue europäische Klimaziel erreicht wird.
Beim Deutschen Naturschutzring, einer Dachorganisation zahlreicher Naturschutzorganisationen, sieht man in dem neuen Gesetz einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung – hätte sich aber mehr Ambition gewünscht. Und auch Fridays for Future will weiter Druck machen: Nach Spontandemonstrationen am Mittwoch steht am Freitag schon der nächste Streik an.
Mehr zum Thema: Warum der Klimawandel zu einem Anstieg von Krankheiten führt