Berlin. Die Corona-Krise überdeckt, dass Hartz-IV-Empfänger teils jahrelang einen Job suchen. Und das trotz guter Konjunktur. Woran liegt das?

Die Pandemie setzt den deutschen Arbeitsmarkt seit Monaten massiv unter Druck. Millionen Menschen sind in Kurzarbeit oder fürchten sogar um ihre Existenz. Doch die aktuelle Krise überdeckt, dass bereits in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs vor der Corona-Krise viele Menschen in Deutschland keinen Tritt auf dem deutschen Arbeitsmarkt fassen konnten. Trotz guter Konjunktur.

Für Hunderttausende ist die Pandemie somit die Fortsetzung eines Zustands, den sie seit Jahren kennen. Denn nach jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren zuletzt rund 762.000 Menschen seit mindestens vier Jahren oder länger auf Jobsuche. Das war fast jeder zweite Arbeitslose in Hartz IV.

45 Prozent der Hartz-IV-Empfänger suchen seit vier Jahren

Die Daten stammen aus einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken im Bundestag. Demnach waren im Juni 2020 rund 1,69 Millionen Menschen als erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger gemeldet. Von ihnen seien "45 Prozent seit mindestens vier Jahren im Regelleistungsbezug", schreibt das zuständige Bundesarbeitsministerium in seiner Antwort. Lesen Sie hier: Corona: Warum im Juni die Impfpriorisierung aufgehoben wird

Beim Blick auf die Verbreitung der Langzeitarbeitslosigkeit in ganz Deutschland ist der Westen aufgrund der höheren Bevölkerungszahl in absoluten Fallzahlen stärker betroffen. Dort sind knapp 545.000 Menschen seit mindestens vier Jahren auf Jobsuche, im Osten sind es 217.000. Doch aufschlussreicher ist der prozentuale Anteil. Im Westen sind es demnach 43 Prozent der Betroffenen. Für den Osten ergibt sich ein Anteil von 51 Prozent, also mehr als die Hälfte. Mehr zum Thema: Hartz IV: Jobcenter finanziert Laptops fürs Homeschooling

Vor allem geringfügig Beschäftigte hat die Corona-Krise beruflich getroffen.
Vor allem geringfügig Beschäftigte hat die Corona-Krise beruflich getroffen. © dpa

Auch die Landkreise mit dem höchsten Anteil an Arbeitslosen, die seit mehr als vier Jahren eine Stelle suchen, finden sich allesamt in den ostdeutschen Bundesländern. An der Spitze stehen die Region Spree-Neiße (64,7 Prozent) und Görlitz (64,4). Dort sind 1720 beziehungsweise 4372 Menschen seit Jahren auf Jobsuche. Es folgen der Kreis Oberspreewald-Lausitz und die Uckermark. Lesen Sie auch: Eine Mutter berichtet: Corona, Hartz IV und wohnungslos

Geringster Anteil von Langzeitarbeitslosen in Bayern

Die Regionen mit dem geringsten Anteil finden sich hingegen allesamt in Bayern, angeführt von Pfaffenhofen an der Ilm. Dort sind 16,7 Prozent seit mindestens vier Jahren erwerbslos. Hier sind wiederum vor allem die absoluten Zahlen spannend. Auch interessant: Report: Heimbewohner während der Pandemie schlecht versorgt

Denn das entspricht 65 der insgesamt 390 arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger in der Kreisstadt mit ihren 26.000 Einwohnern. Man könnte auch sagen: Arbeitslosigkeit ist in Pfaffenhofen an der Ilm eher kein großes Problem. Gleiches gilt für Eichstätt, den Kreis Unterallgäu sowie Landsberg am Lech.

Impf-Fortschritt: So viele Menschen über 60 sind inzwischen vollständig geimpft.
Impf-Fortschritt: So viele Menschen über 60 sind inzwischen vollständig geimpft. © Funke Interaktiv

Sozialexpertin fordert öffentlich geförderte Jobs

Die Sozialexpertin der Linken, Sabine Zimmermann, macht für die Verfestigung der Langzeitarbeitslosigkeit in etlichen Teilen Deutschlands eine verfehlte Politik der Großen Koalition verantwortlich. "Viel zu wenig hat die Bundesregierung für Menschen in Hartz IV getan und von Integration in Arbeit nur geschwafelt", sagte Zimmermann unserer Redaktion. Lesen Sie auch: #allesdichtmachen: Eine plumpe oder richtige Aktion?

Um Langzeitarbeitslosen neue Chancen zu eröffnen, fordert sie "einen starken öffentlich geförderten Beschäftigungssektor mit ausreichend existenzsichernden Stellen". Zugleich beobachtet die Bundestagsabgeordnete: "Die Corona-Pandemie hat die Situation weiter verschlechtert."

Helferjobs sind durch Pandemie vielerorts weggefallen

Das sieht BA-Chef Detlef Scheele ähnlich. Auch er hält die Langzeitarbeitslosigkeit für ein wachsendes Problem in der Corona-Krise, wir er unlängst bekräftigte: "Das entwickelt sich nicht gut." Es baue sich ein höherer Sockel an Langzeitarbeitslosigkeit auf. Besonders Menschen mit einem geringen Ausbildungsniveau und fehlenden Deutschkenntnissen seien betroffen.

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Viele von ihnen hatten vor Beginn der Pandemie Helferjobs. Anerkannte Flüchtlinge beispielsweise fanden auf diese Weise einen Einstieg in den Arbeitsmarkt. Doch viele dieser Jobs seien durch die Corona-Krise weggefallen. Wohl für immer, wie Scheele glaubt.

Hinzu kommt: Diejenigen, die bereits seit Beginn der Pandemie im vergangenen Frühjahr arbeitslos sind, bekommen nach einem Jahr kein Arbeitslosengeld mehr. Sie rutschen dann in Hartz IV. In der Statistik werden sie also demnächst als Langzeitarbeitslose gezählt.