Berlin. Wirtschaftsminister Peter Altmaier macht Hoffnung auf Rückkehr zur Normalität. Zugleich verteidigt er die umstrittenen Ausgangssperren.
An diesem Sonnabend tritt das neue Infektionsschutzgesetz in Kraft – mit Ausgangssperren und Ladenschließungen, wenn die Corona-Inzidenz über 100 liegt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist optimistisch, dass die Notbremse die Konjunktur nicht allzu sehr bremst.
Nach einem halben Jahr im Lockdown kommt jetzt die Ausgangssperre für das ganze Land. Was sollen die Bürger noch alles mitmachen?
Peter Altmaier: Die Bürger sind weitaus weniger ermattet, als bisweilen behauptet wird. Die Unterstützung für eine entschlossene und wirksame Bekämpfung der Pandemie und für den Kurs der Kanzlerin ist nach wie vor groß. Denn die aktuelle Infektionslage ist durch die Virusmutationen sehr ernst. Wir müssen eine Überforderung unseres Gesundheitssystems verhindern und dürfen nicht zulassen, dass Menschen sterben, die weiterleben könnten. Es gibt aber zunehmend Staunen und Unverständnis, dass es so lange gedauert hat, bis man sich auf eine bundeseinheitliche Notbremse verständigen konnte.
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Warum lassen Sie die Menschen nach 22 Uhr nicht mehr auf die Straße? Aus Treffen im Freien könnten heimliche, viel gefährlichere Treffen in Wohnungen werden ...
Altmaier: Die Ausgangssperre hat zwei Funktionen: Sie soll verhindern, dass Menschen aus verschiedenen Haushalten in geschlossenen Räumen zusammenkommen. Und sie unterstreicht die Dramatik der Lage. Es hat sich ja gezeigt, dass wir die dritte Welle mit den bisherigen Maßnahmen allein nicht brechen konnten. Deshalb waren und sind die Ausgangssperren so wichtig.
Gerichte haben regionale Ausgangsbeschränkungen gekippt. Was macht Sie so sicher, dass eine bundesweite Ausgangssperre verhältnismäßig ist?
Altmaier: Diese Maßnahme wird soziale Kontakte und Infektionsrisiken reduzieren. In praktisch allen Nachbarstaaten hat sich gezeigt, dass solche Ausgangssperren nicht nur rechtmäßig sind, sondern auch einen effektiven Beitrag zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr liefern können. Dadurch ist aus meiner Sicht die Verhältnismäßigkeit erwiesen. Solange noch jede Woche über 1000 Menschen an Corona sterben, können wir nicht auf sie verzichten.
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Die Notbremse trifft auch den Einzelhandel hart. Viele Geschäfte müssen schließen. Wie erklären Sie das den Inhabern, die vor dem Ruin stehen?
Altmaier: Mir blutet das Herz, wenn ich die Verzweiflung vieler Geschäftsinhaber, Gastronomen, Hoteliers oder Kreativer sehe. Deshalb hatten wir Anfang März in der Ministerpräsidentenkonferenz Lockerungen beschlossen, orientiert an regionalen Inzidenzwerten, kontrollierten Öffnungen und Testkonzepten. Dieses Modell hat weiter Gültigkeit. Seit März sind die Infektionszahlen aber leider nicht gesunken, sondern stark gestiegen, deshalb greift jetzt die Notbremse. Gehen die Infektionszahlen wieder runter, kann wieder geöffnet werden.
Für die Exportwirtschaft und die Industrie hat der Aufschwung bereits eingesetzt. Und wir tun alles, damit die noch geschlossenen Unternehmen wieder öffnen können, sobald die Lage es erlaubt. Um die Einzelhändler, Gastronomen und Erbringer von körpernahen Dienstleistungen in dieser schweren Zeit zu unterstützen, haben wir allein seit November Hilfsgelder in der Größenordnung von über 15 Milliarden Euro gezahlt.
Wird es staatliche Unterstützung geben, solange die Pandemie dauert?
Altmaier: Ich kämpfe dafür, dass unser erfolgreiches und wirksames Hilfsprogramm, die sogenannte Überbrückungshilfe III, über den Juni hinaus bis zum Ende des Jahres verlängert wird. Ich bin sicher, dass sich dem auch der Bundesfinanzminister nicht verschließen wird.
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Supermärkte dürfen Schuhe verkaufen, Schuhgeschäfte nicht. Welcher Logik folgt dieser Lockdown?
Altmaier: Der Lebensmitteleinzelhandel muss offen gehalten werden, weil es um Güter des täglichen Bedarfs geht. Große Discounter haben zusätzlich ein in der Regel wöchentlich wechselndes Sortiment, dass über das reine Lebensmittelangebot hinausgeht. Das sollte keineswegs weiter ausgeweitet werden. Dafür habe ich keinerlei Verständnis. Es wäre aber schwer zu begründen, den Verkauf eines traditionellen Teilsortiments unmöglich zu machen.
Immer mehr Menschen in Deutschland sind geimpft. Warum dürfen sie nicht jetzt schon ins Schuhgeschäft, ins Restaurant oder ins Theater?
Altmaier: Es geht um die Frage, ab welchem Zeitpunkt man sich selbst nicht mehr anstecken und die Krankheit auch nicht mehr übertragen kann. Das ist mit einer Impfdosis noch nicht gewährleistet, wie ich sie vor drei Wochen mit dem Astrazeneca-Präparat erhalten habe. Ich glaube, dass Geimpfte mehr Freiheiten zurückerhalten werden – spätestens dann, wenn allen Impfwilligen ein Impfangebot gemacht werden konnte.
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Bitte konkret: Wann sollen Geimpfte welche Freiheiten bekommen?
Altmaier: Aktuell haben über 20 Prozent eine Erstimpfung erhalten. Ich gehe davon aus, dass wir im Juni oder Juli über Ausnahmen sprechen können. Also ob Menschen, die zwei Mal geimpft sind, der Aufenthalt in Quarantäne erspart werden kann – etwa nach Kontakten mit Infizierten oder nach Auslandsreisen. Oder ob die Menschen ein Restaurant besuchen können, ohne vorher einen Schnelltest zu machen. Ich kann mir das gut vorstellen. Aber das sind Fragen, bei denen wir stark auf die Expertise der Wissenschaft und ihre Erkenntnisse mit den Impfungen angewiesen sind.
In einigen Tagen stellen Sie Ihre Frühjahrsprognose vor. Wie kommt Deutschland aus der Rezession?
Altmaier: Es besteht Grund zum Optimismus. Wir werden in diesem Jahr den Wirtschaftseinbruch nicht nur stoppen, sondern umkehren. Wir werden in diesem Jahr einen Aufschwung erleben. Im Januar haben wir ein Wachstum von drei Prozent prognostiziert. Nach den aktuellen Zahlen sieht es sogar noch etwas besser aus. Trotz der andauernden Lockdown-Situation entwickelt sich die Wirtschaft stärker als von vielen erwartet. Unsere Wirtschaft ist stark, robust und startklar.
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Die Notbremse bremst nicht die Konjunktur?
Altmaier: Wir haben eine gespaltene Konjunktur. Die Notbremse hat starke Auswirkungen im Bereich des Einzelhandels, der Gastronomie und der Hotellerie. Aber die Industrie beispielsweise entwickelt sich weiterhin gut. Durch die Kurzarbeiterregelung konnten wir Massenarbeitslosigkeit vermeiden, und die Beschäftigten konnten in den Unternehmen gehalten werden. Dazu kommt, dass die Weltkonjunktur wieder anspringt und die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten wächst. Wir müssen aber ganz deutlich sagen: Ein Aufschwung in diesem und im nächsten Jahr bedeutet nicht, dass es allen schon wieder so gut geht wie vor der Krise.
Wann wird das Vorkrisenniveau erreicht sein?
Altmaier: Ich rechne mit spätestens 2022. Die dritte Welle der Infektionen in der Corona-Pandemie war nicht eingepreist. In dieser Dramatik haben viele sie nicht kommen sehen. Trotzdem ist die Wirtschaft in einer guten Verfassung. Die Zahlen und die Stimmung in den Unternehmen ist besser, als viele das vorhergesagt hatten.
Liegt es am Corona-Management, dass die CDU/CSU in den Umfragen abgestützt ist? Oder eher am beispiellosen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur?
Altmaier: Die Diskussion über Impfstoffe und Hilfszahlungen, der Konflikt unter den Ministerpräsidenten über den Weg aus der Krise und die sogenannte Maskenaffäre haben viele Menschen verunsichert und enttäuscht. Wir haben eine engagierte Debatte darüber geführt, mit welchem Kanzlerkandidaten von den beiden Unionsparteivorsitzenden wir sinnvollerweise die Bundestagswahl bestreiten. Das ist ein normaler demokratischer Wettbewerb. Jetzt wenden sich alle wieder der Lösung von Sachproblemen zu, und die Umfragen werden erst in den nächsten Tagen wirklich aussagekräftig sein.
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Der Wahlkampf wird hart. Kann die Union es sich leisten, auf den aussichtsreichsten Kandidaten zu verzichten?
Altmaier: Armin Laschet ist jetzt unser Kanzlerkandidat. Aber auch Markus Söder hatte viele Unterstützer in der CDU: Sein bundespolitisches Gewicht ist weiter enorm gewachsen. Gemeinsam können beide viel für Deutschland bewegen. Wenn wir den Bürgern ein modernes und zugleich bodenständiges Angebot machen, wie wir von Klima bis Wirtschaft die großen Herausforderungen erfolgreich bewältigen, können wir die Bundestagswahl gewinnen und die nächste Regierung anführen. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn die Repräsentanten von CDU und CSU über öffentliche Glaubwürdigkeit verfügen und als Verantwortliche respektiert werden. Alle müssen sich ins Zeug legen, sich an diesem Wahlkampf beteiligen. Vorneweg unser Kanzlerkandidat. Ich habe keinen Zweifel, dass auch Markus Söder eine ausgesprochen wichtige Rolle spielen wird.
In der entscheidenden CDU-Vorstandssitzung haben Sie gesagt, Sie sähen keinen CDU-Landesverband außer Nordrhein-Westfalen, der Armin Laschet als Kanzlerkandidat wolle.
Altmaier: Die CDU-Vorstandssitzung ist keine öffentliche Runde, sondern ein Ort, in dem man untereinander diskutiert und um gemeinsame Lösungen ringt. Diese Diskussion führe ich nicht in der Presse. Unterschiedliche Auffassungen sind der Normalfall, wenn es eine Kampfkandidatur gibt. Und dass Markus Söder in der CDU über viel Ansehen verfügt, war schon vorher so. Unsere Aufgabe ist jetzt, unseren Job zu machen und unser Land gut durch diese Krise zu führen.
Laschet will Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen bleiben, obwohl er als Bundeskanzler kandidiert. Ist es klug, Wahlkampf mit Rückfahrkarte zu machen?
Altmaier: Wenn ich Armin Laschet richtig zugehört habe, dann hat er sich über die Frage, was er macht, falls er am Ende nicht als Bundeskanzler gewählt ist, noch nicht geäußert.
Müsste Laschet nicht klipp und klar sagen, dass er auch als Oppositionspolitiker nach Berlin geht?
Altmaier: Das ist eine Diskussion, die in solchen Situationen häufiger stattfindet. Armin Laschet sollte die Gelegenheit haben, diese Frage zu dem Zeitpunkt zu beantworten, den er für geeignet hält.