Wieso wird die Wirtschaft in der Krise weiter geschont? Mehr Infektionsschutz ist machbar und längst überfällig, meint Miguel Sanches.

Es ist oft unklar, wo sich jemand mit Sars-CoV-2 angesteckt hat. Wüsste man es genau, wäre der Infektionsschutz eine Harpune, kein Schuss mit der Schrotflinte – nichts anderes ist ein Lockdown.

Eine dritte Welle bricht nicht aus, weil die Bürger millionenfach reisen, bummeln gehen, Party feiern und die Auflagen missachten. Die meisten Menschen sind vorsichtig, ängstlich, befürworten und befolgen strengere Auflagen.

Schaut auf die Arbeitswelt

Es wird Zeit, eine Problemzone zu beleuchten: die Arbeitswelt. Hier kommt es zu kleineren und größeren Ausbrüchen. Hier würde eine kompromisslose Teststrategie helfen, Infektionsketten zu unterbrechen. Eine Testpflicht gibt es in Berlin und Sachsen, die Wirtschaftsverbände laufen dagegen Sturm, einzelne Unternehmer klagen. Sie bezeichnen eine Testpflicht als „kontraproduktiv“. Es ist genau umgekehrt: Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern des Problems.

Kompromisslos heißt: Es genügt nicht, Schnelltests bereitzuhalten, ein Plan muss her. Strategie heißt: Wer seinen Dienst im Betrieb antritt, wird getestet. Es ist ein Versäumnis, dass es bis heute weitgehend beim Appell an die Unternehmen geblieben ist. Eine Pflicht setzt voraus, dass Schnelltests in ausreichender Menge und bezahlbar vorliegen. Am besten wäre, der Staat stellt sie bereit. Für ein halbes Jahr sollte das zu stemmen sein, bis als Ergebnis der Impfungen eine Herdenimmunität erzielt ist.

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Wo Abstandhalten schwer fällt

Grob gesagt gibt es drei Felder. Die Dienstleistungen liegen vielfach brach. Denken wir nur an die Restaurants, Bars, Hotels. Für die Mitarbeiter wurde das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt, sprich: Sie wurden in Kurzarbeit geschickt. Bei den Weißer-Kragen-Jobs hat man nicht überall, aber vielfach effektiv den Gesundheitsschutz erhöht: mit Heimarbeit, weniger Dienstreisen.

Einer Konstanzer Studie zufolge sind Beschäftigte, die nicht im Home­office arbeiten, einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt; abhängig von den Aktivitäten gebe es bei der Präsenzarbeit vier- bis achtmal mehr Infektionen. Beim Homeoffice hat der Staat zu lange auf Appelle gesetzt. Er sollte es – angefangen im öffentlichen Dienst – forcieren; in der Arbeitswelt gibt es keinen besseren Schutz vor Corona. Das könnte Sie interessieren: Externe Monitore im Test – Leichter arbeiten im Homeoffice

Dann bleiben immer noch die Tätigkeiten, bei denen Abstand halten schwerfällt, wo man Hand in Hand arbeitet, Werkzeuge weiterreichen oder Dinge zusammen verlegen und festhalten muss – im Handwerk, bei der Fertigung in der Industrie, beim Transport, auch im Handel. Umso wichtiger wäre hier eine lückenlose Testpraxis. Ärzte, Pfleger, Erzieher sollen zu Recht vorrangig geimpft werden. Aber unterm Strich bleibt die Arbeitswelt ein kritischer Bereich, wo die Langmut der Regierung befremdet.

Schluss mit Hinhalten

Es gibt keinen Überblick darüber, wo wie getestet wird. Die Wirtschaft redet sich die betriebliche Realität mit Umfragen schön und stellt alle gleich: Betriebe, die testen, und solche, die es nur vorhaben, aber noch nicht tun. Ob sie es auch wirklich tun? Es ist unfassbar, dass die Wirtschaft mit ihrer Hinhaltetaktik durchkommt. Homeoffice und Tests sollten Pflicht sein, Staatshilfen nur an Unternehmen ausgezahlt werden, die den Infektionsschutz ernst nehmen.

Privatpersonen und Unternehmen werden nach zweierlei Maß gemessen. Für die Bürger heißt es: Vertrauen ist gut, Auflagen sind besser. Die Polizei kontrolliert, Strafen drohen, der Instrumentenkoffer der Repressionspolitik steht offen. Für die Wirtschaft ist es umgekehrt: Auflagen sind gut, Absichtserklärungen besser. Zum Ausbruch des Virus war so viel Rücksichtnahme den Umständen geschuldet. Ein Jahr danach ist so viel Inkonsequenz fatal. Die Quittung bekommen wir alle: Eines ist so stupide wie sicher: der nächste Lockdown.