Berlin. Die Corona-Pandemie hat Kinder in Lernrückstand gebracht. Bundesbildungsministerin Karliczek will helfen – mit einem Nachhilfeprogramm.

Deutschland wirkt erschöpft. Viele Bürger sind pandemiemüde, die meisten Spitzenpolitiker sind es wohl auch. Wie anders ließe sich sonst das unglückliche Hin und Her um einen harten Oster-Lockdown erklären. Sollte die große Müdigkeit auch für Bildungsministerin Anja Karliczek gelten – dann kann sie das zumindest gut verbergen. Schnellen Schritts steigt die CDU-Politikerin die Treppen in den obersten Stock ihres Ministeriums hinauf. In den luftigen Konferenzraum scheint die Frühlingssonne.

Wie verbringen Sie Ostern?

Anja Karliczek: Ich werde ein paar Tage zu Hause sein, nur mit meiner Familie. Wir müssen uns alle mit Kontakten zurückhalten. Wir sind mitten in der dritten Welle der Pandemie. Deshalb war ja auch die Idee richtig, diese Welle mit einem scharfen Lockdown-Schritt über Ostern zu brechen. Das ließ sich nur nicht kurzfristig umsetzen.

Der politische Schaden durch das Hin und Her mit dem Oster-Lockdown ist maximal.

Karliczek: Es wurde einfach unterschätzt, was man alles regeln muss, wenn man kurzfristig Werktage zu Ruhetagen machen will. Es gibt kein Lehrbuch für die Bewältigung der Pandemie. Ich bin zuversichtlich, dass die Bürger bereit sind zu sagen, dass Fehler in so einer Lage passieren können.

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    Die meisten Länder retten sich jetzt in die Osterferien. Und dann? Sollten die Schulen öffnen, wenn die Inzidenzen dann alarmierend hoch sind?

    Karliczek: Wir wissen alle, wie wichtig der Präsenzunterricht für die Bildung und die persönliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen ist. Und wir dürfen auch die aktuellen Belastungen für die Eltern nicht ausblenden. Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung der Infektionszahlen müssen wir auch in den Schulen jetzt noch vorsichtiger sein. Insbesondere das Überschreiten der 100er-Inzidenz in den jeweiligen Regionen muss ein Warnsignal sein, um dort den Unterricht an den Schulen selbst zu überprüfen.

    Die Empfehlungen aus der Wissenschaft zur Vermeidung von Infektionen müssen dann noch konsequenter umgesetzt werden. Wir brauchen mehr denn je gute Konzepte, sonst droht das Infektionsgeschehen zu entgleiten, was im Extremfall wieder Schulschließungen nach sich ziehen könnte. Das will doch niemand. Zu den Konzepten gehört, dass jedes Kind wenigstens zwei Mal pro Woche getestet werden kann. Diese Konzepte sollten bis nach den Osterferien überall vorliegen.

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    Müssen die Länder nicht wenigstens gewährleisten, dass jeder Lehrer bis zum Ende der Osterferien geimpft ist?

    Karliczek: Wir haben etwa 800.000 Lehrer an den allgemeinbildenden Schulen im Land. Wichtig wäre, dass bis zum Schulstart nach den Osterferien vor allem diejenigen Lehrer geimpft sind, die wegen ihres Alters oder wegen Vorerkrankungen zu den Risikogruppen gehören. Dabei geht es um Lehrkräfte in sämtlichen Schulformen – nicht nur um Lehrer in Grundschulen und Förderschulen.

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      Was muss zwischen Oster- und Sommerferien passieren, damit dieses Schuljahr kein verlorenes Jahr wird?

      Karliczek: Sehr viele Schüler haben auch diese schwierige Phase sehr gut gemeistert. Aber es stimmt: 20 bis 25 Prozent der Schüler haben vermutlich große Lernrückstände – vielleicht sogar dramatische. Hier müssen wir handeln. Um diesen Schüler zu helfen, erarbeiten wir mit den Ländern den Rahmen für ein umfangreiches Nachhilfeprogramm. Wir kommen gut voran.

      Die Kernpunkte: Spätestens zum neuen Schuljahr werden zusätzliche Förderangebote bereitgestellt, die sich auf Kernfächer, also etwa Deutsch, Mathe und vielleicht auch die erste Fremdsprache, und Kernkompetenzen beziehen sollen. Bei den Zielgruppen denken wir vor allem an diejenigen Schülerinnen und Schüler, bei denen ein Wechsel bevorsteht, entweder auf eine weiterführende Schule oder in eine Ausbildung, die aber Lernrückstände aufgebaut haben. Das muss vorher in einer Lernstandserhebung ermittelt werden. Schon in den Sommerferien sollte es nach Möglichkeit bereits erste Angebote geben.

      Nach den Ferien sollte dann das Nachholprogramm starten. Es sollte eng an Schule angebunden sein. Es werden keine neuen Strukturen aufgebaut, sondern in den Ländern vorhandene genutzt. Eingebunden werden könnten zum Beispiel Lehramtsstudierende, pensionierte Lehrkräfte, Bildungsstiftungen und natürlich auch private Nachhilfeanbieter.

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      Wer soll die Nachhilfestunden bezahlen?

      Karliczek: Wenn wir ein Nachhilfeprogramm für die Kernfächer auflegen, brauchen wir dazu etwa eine Milliarde Euro. Über die Details verhandeln wir noch. Aber das Vorhaben zeigt, dass Bildung wirklich Priorität hat und der Bund sich für Bildung immer mehr einsetzt, obwohl die Länder hierfür verantwortlich sind. Ich denke, wir werden hier zusammenkommen, weil wir auch im Sinne der Kinder und Jugendlichen zusammenkommen müssen.

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        Die Schulen öffnen wieder, die Unis dagegen haben noch nicht mal eine Öffnungsperspektive.

        Karliczek: Das ist ein Problem, das nicht genügend beachtet wird. Die Studierenden machen mir gerade zunehmend Sorge. Die Hochschulen gehen jetzt ins dritte Online-Semester, das bedeutet eine immense Belastung für alle. Es ist Zeit, auch hier über Öffnungsperspektiven zu reden, wobei wir natürlich auch hier das Infektionsgeschehen beachten müssen. Wir brauchen auch für die Hochschulen Konzepte für die Öffnungen – einschließlich des Einsatzes von Tests – und sicher auch hier Modellversuche für Öffnungen unter Einsatz von Tests, gerade mit Blick auf die Erstsemester.