Berlin. SPD-Vize Kevin Kühnert über seinen Plan, die Union abzulösen – dafür würde er auch die FDP einspannen. Minister will er nicht werden.

Von Kevin Kühnert hat man länger nichts gehört. Über Monate schrieb er eifrig am SPD-Wahlprogramm mit. Im Interview im Willy-Brandt-Haus erzählt der Ex-Juso-Chef, GroKo-Gegner und heutige Parteivize, wie er die Union bei der Bundestagswahl schlagen will.

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Jetzt liegt das SPD-Wahlprogramm auf dem Tisch. Ist es links genug für den Ex-Juso-Chef?

Kevin Kühnert: Die Zielgruppe „ehemalige Juso-Chefs“ ist ein bisschen zu klein, als dass man mit einem Programm auf sie zielen sollte. Das Programm soll möglichst viele Wählerinnen und Wähler überzeugen. Das kann gelingen. Es ist gerecht, optimistisch und schwafelt nicht rum.

Kevin Kühnert (31) hofft auf eine Regierung ohne CDU/CSU nach der nächsten Bundestagswahl. Alternativen zu einer „ewig regierenden Union“ seien sind „nicht nur nötig, sondern auch möglich“.
Kevin Kühnert (31) hofft auf eine Regierung ohne CDU/CSU nach der nächsten Bundestagswahl. Alternativen zu einer „ewig regierenden Union“ seien sind „nicht nur nötig, sondern auch möglich“. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Ein starker Sozialstaat, mehr Klimaschutz, höhere Steuern: Vieles liest sich wie eine Einladung an die Linke.

Kühnert: Ich lese es eher als Einladung an die Zukunft. Wir gehen in diesen Wahlkampf ohne Koalitionsaussage – wie alle anderen wohl auch. Wir wollen die nächste Regierung mit Olaf Scholz als Kanzler anführen. Und wir wollen, dass CDU und CSU nach 16 Jahren eine längere Verschnaufpause vom Regieren nehmen müssen. Da gibt es nach Adam Riese ein paar Möglichkeiten, um das hinzubekommen. Unser Programm ist anschlussfähig für alle, die wie wir glauben, dass das Beste noch vor uns liegt.

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Was hat bisher eine Zusammenarbeit mit der Linken verhindert?

Kühnert: Es sind nicht zuvorderst außen- und sicherheitspolitische Differenzen, wie manche ja immer gerne behaupten. Verhindert hat es die Angst – und zwar auf beiden Seiten. Die Angst, öffentlichen Angriffen von der politischen Konkurrenz ausgesetzt zu sein, nach dem Motto: Spielt nicht mit den Schmuddelkindern! Wir sind in einem Prozess der Normalisierung angekommen. Deutschland hatte wahrlich genügend große Koalitionen, und daher sollte es selbstverständlich sein, dass demokratische Alternativen genutzt werden, wenn die Wähler sie ermöglichen.

Die neue Linkenspitze kennt nicht mal alle Bundeswehr-Kampfeinsätze im Ausland, die sie verbieten will – wie stehen Sie dazu?

Kühnert: Einsätze unterliegen aus guten Gründen dem Vorbehalt des Parlaments und sind mit Blick auf die Sicherheit von Soldaten und einheimischer Bevölkerung sorgsam abzuwägen. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass dabei zuletzt immer häufiger fernab der Öffentlichkeit entschieden worden ist. Jenseits von Bundestag und Truppe weiß kaum jemand in Deutschland, wo wir mit welchem Ziel im Einsatz sind und wie sich die Dinge entwickeln. Das entspricht nicht unbedingt meiner Auslegung einer Parlamentsarmee. Auslandseinsätze bedürfen der Betrachtung jedes Einzelfalls. Wenn Frau Kramp-Karrenbauer mehr davon fordert oder die Linke gar keine, dann wird beides dem Wunsch nach Gründlichkeit nicht gerecht.

Kühnert- Mir fehlt die Demut im Profi-Fußball

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    Die SPD könnte also künftig grundsätzlich Nein zu Bundeswehrmissionen sagen?

    Kühnert: So einfach werden wir es uns eben nie machen. Die Bundeswehr ist heute in einem Dutzend Einsätze, die die SPD-mehrheitlich mitgetragen hat. Als Parteilinker ist es mir ein Anliegen, dass wir sorgfältiger begründen, was wir dort im Sinne der Menschenrechte verbessern, und stärker hinterfragen, ob die gesetzten Ziele erreicht werden. Deutschland ist seit 20 Jahren in Afghanistan. Wann wurde dieses Engagement denn das letzte Mal in der breiten Öffentlichkeit ernsthaft diskutiert? Zur Verantwortung gegenüber den Leben der Soldatinnen und Soldaten gehört für mich das Bewusstsein, dass zu jedem Einstieg eben auch ein Ausstieg gehört.

    „Die zuletzt unter Helmut Kohl erhobene Vermögensteuer für Multimillionen- und Milliardenvermögen wollen wir reaktivieren.“ Kevin Kühnert, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD.
    „Die zuletzt unter Helmut Kohl erhobene Vermögensteuer für Multimillionen- und Milliardenvermögen wollen wir reaktivieren.“ Kevin Kühnert, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

    Außer mit einem Linksbündnis hat die SPD doch gar keine Machtperspektive.

    Kühnert: Die Ampel unter Malu Dreyer wird aller Voraussicht nach in wenigen Tagen in Rheinland-Pfalz bestätigt werden. In Baden-Württemberg kann sie Grün-Schwarz ablösen. Alternativen zu einer ewig regierenden Union sind nicht nur nötig, sondern auch möglich.

    Der Sozialist Kühnert mit dem Porschefahrer Lindner in einem Team, da müssen Sie uns mal kurz kneifen.

    Kühnert: Mit Lindner bin ich sicherlich in keinem Team, allein schon, weil er BVB-Fan ist. Die FDP klebt an der schwarzen Null, will keinen höheren Mindestlohn und glaubt immer noch, dass man auf Kosten des Gemeinwohls Rendite machen können sollte. Wenn Sie mich fragen, dann ist klar, dass eine Regierung links der Mitte die logische Antwort auf die Krisen der letzten Jahre ist. Aber wir sind hier glücklicherweise in der Demokratie und nicht bei ‚Wünsch dir was‘.

    Können Sie sich vorstellen, unter einem Kanzler Scholz Minister zu werden?

    Kühnert: Nein. Aber das hat weniger was mit dem Kanzler Scholz zu tun als damit, dass ich eine sehr realistische Selbsteinschätzung habe.

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    Warum? Sie könnten vieles von dem umsetzen, was Sie gerade erzählt haben.

    Kühnert: Ich habe mal gelernt, dass das Parlament der Gesetzgeber ist. Und dafür bewerbe ich mich. Und zwar mit großer Demut. Ich kann doch nicht für den Bundestag kandidieren, aber schon bevor ich hoffentlich gewählt werde, sagen, dass mir das zu langweilig wäre, und auf irgendeinen Posten schielen. Selbstüberschätzung ist kein sympathischer Charakterzug.

    Sind Sie im Team Baerbock oder im Team Habeck?

    Kühnert: Ich bin im Team SPD. Aber ich bin mir sehr sicher, dass die Grünen auf Annalena Baerbock setzen werden. Ich erlebe sie als viel sattelfester in vielen Themen. Es würde mich überraschen, wenn sie nicht Spitzenkandidatin wird. Aber wir nehmen es natürlich, wie es kommt.

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      Sie sind in der Parteispitze für Wohnen und Bauen zuständig: Wie wollen Sie Mietern und jungen Familien bezahlbaren Wohnraum beschaffen?

      Kühnert: Wir müssen Grund und Boden der um sich greifenden Spekulation entziehen. Das gilt für alle Wohnformen, Einfamilienhaus, Eigentumswohnung, Mietgeschosswohnung. Auf teurem Boden entsteht kein bezahlbarer Wohnraum. Wir planen ein soziales Bodenrecht und den Bau von mindestens 100.000 preisgebundenen Wohnungen pro Jahr.

      Öffentliche Grundstücke sollen nicht länger verkauft, sondern bevorratet werden. Wir wollen, dass dieser Boden durch öffentliche Wohnungsbaugesellschaften oder per Erbpacht durch Genossenschaften und umsichtige Private entwickelt werden kann. Wer Grundstücke brachliegen lässt, um später abzukassieren, den muss man mit Baugeboten zum Bebauen zwingen. Boden ist nur einmal da, den können wir nirgendwo nachbestellen.

      Für 95 Prozent der Steuerzahler soll es laut SPD-Wahlprogramm künftig keine Mehrbelastung geben, wie viel sollen die oberen fünf Prozent draufzahlen?

      Kühnert: Wir kommen von einem Spitzensteuersatz von 42 Prozent, plus die drei Prozentpunkte ab einem zu versteuernden Einkommensanteil von 250.000 Euro für Singles und einer halben Million im Jahr für Paare. Wir sind überzeugt, dass Einkommen in Höhe mehrerer Hunderttausend Euro ein bisschen mehr zu unserem Gemeinwesen beitragen können, als das im Moment der Fall ist. Die zuletzt unter Helmut Kohl erhobene Vermögensteuer für Multimillionen- und Milliardenvermögen wollen wir reaktivieren. Über 50 Prozent Spitzensteuersatz, wie zu Kohls Zeiten, da wollen jedoch nicht wieder hin. Da kann ich die Bestverdiener beruhigen.