Berlin. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Haseloff über Wege aus dem Impfstoffmangel – und welche Corona-Maßnahmen gelockert werden sollen.

Es sind wenige Stunden bis zur Corona-Schaltkonferenz der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin. Diesmal geht es um Lockerungen – bei steigenden Infektionszahlen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der auch als Präsident des Bundesrates amtiert, sagt im Interview, wofür er in den Verhandlungen kämpfen wird.

Herr Haseloff, das Ziel für weitere Öffnungsschritte – ein Inzidenzwert von 35 – rückt in immer weitere Ferne. Wollen Sie die Corona-Schutzmaßnahmen trotzdem lockern?

Reiner Haseloff: Das Ziel ist, die Pandemie einzudämmen. Wir sind an einem Punkt, an dem wir neu entscheiden müssen. Wir haben harte Maßnahmen, aber diese können nicht ewig aufrechterhalten werden, wenn die Akzeptanz für unsere Corona-Politik nicht nachlassen soll. Die Menschen sind nach dem Lockdown erschöpft. Daher sollten wir mehr erlauben – mit strengen Hygienemaßnahmen, Tests und Impfangeboten.

Was genau wollen Sie öffnen?

Haseloff: Ich würde nicht so sehr von Öffnung sprechen. Wir wollen verhindern, dass vieles in den illegalen Bereich wandert. Sonst breitet sich das Virus noch stärker aus – und die Wirtschaft nimmt noch größeren Schaden. Es ist doch besser, die Haare werden im Friseursalon als zu Hause im Wohnzimmer ohne Beachtung von Hygieneregeln. So sehe ich das mit vielen anderen Sachen. Statt unkontrollierter Sporttreffs von Gruppen können wir Sport bis zu fünf Personen wieder zulassen, wenn die Vereine darauf achten, dass die Hygieneregeln eingehalten werden. Was wir im Moment machen, kann nicht dauerhaft so bleiben.

Sie kapitulieren.

Haseloff: Überhaupt nicht. Ich bin nur der Meinung, dass wir nicht alles an Inzidenzen von 35 oder 50 festmachen können. Wir müssen auch fragen, wie es bei den Intensivbetten, bei der Impfquote oder mit der Teststrategie aussieht. Und vor allem müssen wir schauen, ob die Bevölkerung noch die nötige Motivation und Disziplin aufbringt. Vieles ist gesellschaftlich irgendwann ausgereizt. Die Menschen müssen sich irgendwann auch mal wieder Kleidung kaufen oder ins Museum gehen können. Es gibt existenzielle Bedürfnisse, die befriedigt werden müssen.

Gelingt an diesem Mittwoch die Einigung auf einen Stufenplan?

Haseloff: Es wird einen Plan geben. Aber man kann nicht alle Länder und Landkreise über einen Kamm scheren. Dafür ist das Infektionsgeschehen zu unterschiedlich. Einheitliche Regeln wären auch gerichtlich nicht haltbar.

Virologen warnen, dass die Corona-Lage an Ostern wieder so dramatisch sein wird wie an Weihnachten. Haben Sie keine Sorge, einen tödlichen Fehler zu begehen?

Haseloff: Wir müssen sehr vorsichtig sein. Wir gehen sehr sorgsam und in kleinen Schritten vor – mit Rückkehrmöglichkeiten zu den alten Regeln. Wir öffnen die Garten- und Baumärkte, weil wir wollen, dass die Leute ihre Wohnungen verlassen und in ihren Gärten sich sinnvoll betätigen und dort mit Freude ihre Freizeit an der frischen Luft verbringen können. Wenn wir sehen, dass die Öffnung von Baumärkten zu vermehrten Ansteckungen führt, werden wir das sofort korrigieren.

Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt.
Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt. © dpa | Klaus-Dietmar Gabbert

Warum warten Sie nicht, bis Schnell- und Selbsttests flächendeckend verfügbar sind?

Haseloff: Das läuft jetzt Gott sei Dank an. Anfang Dezember waren Schnelltests am Markt noch gar nicht verfügbar. Jetzt haben wir in Deutschland große Mengen gekauft und sind in der Lage, Öffnungsschritte an weitere Tests zu knüpfen.

Wirklich? Wie soll die Teststrategie denn aussehen?

Haseloff: Wir sind mit Teststrategien schon sehr weit, wir brauchen jetzt entsprechende Quantitäten. Die Schulen, die langsam in den Präsenzunterricht übergehen, haben bei uns bereits Schnelltests bekommen. Die Lehrer werden in einigen Kreisen schon komplett durchgeimpft. Da läuft einiges.

Das Impfen geht im Schneckentempo voran – Länder wie Serbien, Chile oder Marokko sind schneller. Verstehen Sie, wenn die Bürger die Geduld verlieren?

Haseloff: Die Statistiken der unterschiedlichen Länder lassen sich schwer miteinander vergleichen. Wir sollten alles tun, was möglich ist, um das Impfen in Deutschland zu beschleunigen. Wir könnten zum Beispiel mit Russland sprechen. Das hat Ungarn auch getan. Der russische Impfstoff Sputnik V ist in der EU aber noch nicht zugelassen.

Hoffen Sie auf eine rasche Zulassung?

Haseloff: In Ostdeutschland haben wir jahrzehntelange Erfahrung mit russischem Impfstoff. Wir haben kein Problem mit Sputnik V. Ich bin als Kind schon mit einem russischen Präparat erfolgreich gegen Kinderlähmung geimpft worden, während im Westen noch kein Impfstoff zur Verfügung stand. In Dessau-Roßlau, meinem Wahlkreis, gibt es den Impfstoff-Hersteller IDT mit 1500 Beschäftigten. Die sind schon im Gespräch mit den Russen. Ich würde mich jederzeit mit Sputnik V impfen lassen.

Wer soll den Astrazeneca-Impfstoff bekommen, der ungenutzt herumliegt? Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Winfried Kretschmann wollen die Impfreihen­folge flexibler gestalten – nach dem Motto: Astra für alle.

Haseloff: Die öffentliche Diskussion über Astra­zeneca hat viele Leute verunsichert. Das versuchen wir jetzt aufzulösen. Aber wir können nicht einfach die Impfverordnung des Bundes beiseiteschieben. Andernfalls bekommen wir ein rechtliches Problem – und ein organisatorisches sowieso: Impfzentren und Hausarztpraxen müssen demnächst in der Lage sein, den Ansturm auf den Impfstoff zu bewältigen. Solange Impfstoffmangel herrscht, müssen wir die Verteilung so steuern, dass besonders gefährdete Gruppen zuerst geimpft werden.

Sollten Spitzenpolitiker sich öffentlich mit Astrazeneca impfen lassen, um die Impf­bereitschaft zu erhöhen?

Haseloff: Ich habe mir vorgenommen, mich nicht vorzeitig und öffentlichkeitswirksam impfen zu lassen. Wem Menschen anvertraut sind, der sollte wie in der christlichen Seefahrt zuletzt an sich selbst denken.

Ist es klug, eine Impfpflicht auszuschließen?

Haseloff: Impfpflicht hatten wir in der DDR. Ich habe es überlebt. Als ostdeutscher Politiker würde ich mir aber niemals anmaßen, der Mehrheitsgesellschaft Ratschläge zu geben. Die Impfpflicht könnte aber ein Thema für den Ethikrat sein.

Wie soll mit Impfdränglern – darunter auch Politiker wie der Oberbürgermeister von Halle – verfahren werden?

Haseloff: Wer sich beim Impfen vordrängelt, muss sich auch der anschließenden Diskussion stellen und zu seiner Verantwortung stehen. Ich bin schon dafür, hier sehr genau zu schauen, ob es Sanktionsmöglichkeiten für Fehlverhalten gibt.

Gesundheitsminister Spahn steht in der Kritik, weil er die Bürger vor Feiern und Geselligkeit gewarnt, aber selbst an einem Spenden-Dinner mit einem Dutzend Unternehmern teilgenommen hat. Ist Spahn seiner Vorbildfunktion gerecht geworden?

Haseloff: Dazu kann ich mangels Kenntnis nichts sagen. Generell gilt: Vertrauen ist in der Pandemie ein noch höheres Gut als zu normalen Zeiten. Wir Politiker haben eine besondere Verantwortung – mehr als jeder andere Berufsstand.

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Irritierende Bilder kursieren vom CDU-Parteitag in Ihrem eigenen Landesverband: Die Delegierten sitzen dicht beisammen und tragen keine Masken. Bereuen Sie das?

Haseloff: Das Wahlgesetz gibt nichts anderes her als eine Präsenzveranstaltung. Wir haben uns an das Hygienekonzept gehalten, das mit dem Gesundheitsamt entwickelt und mehrfach bestätigt wurde. Wir haben alle Delegierten getestet, wir haben nach klaren Vorgaben gelüftet, und es wurde mit dem Zollstock ausgemessen, wie die Tische zu stehen haben. Mehr konnten wir nicht tun.