Berlin. In der Pandemie läuft Unterricht oft über Videokonferenzen. Das nutzen anonyme Täter aus. Die Justiz müht sich mit der Strafverfolgung.

An einem Mittwoch Ende Januar bekommt ein junger Mann aus Augsburg Besuch von der Polizei: Die Beamten durchsuchen die Wohnung des Mannes, nehmen Computer und Mobiltelefon mit. Der Verdacht: Der 21-Jährige, der versucht, sich eine Karriere als Youtuber aufzubauen, soll den Distanzunterricht einer 9. Klasse im Allgäu gestört haben.

Dort war eine Woche zuvor ein Unbekannter in eine Videokonferenz eingedrungen und hatte den Unterricht mit Musik, Zwischenrufen und Provokationen gestört, „sodass ein geregelter Unterricht nicht mehr möglich war“, wie die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg mitteilt. Ein Video des Vorfalls taucht später auf Youtube auf – aufgezeichnet und zusammengeschnitten mutmaßlich von dem 21-Jährigen, der den Unterricht auch selbst gestört haben soll.

Fachleute in den Strafverfolgungsbehörden und der Politik sehen einen gefährlichen Trend: Weil die Sicherheit bei den Plattformen fehlt, öffnet das den Raum für Straftaten – in einigen Fällen bis zum Missbrauch von Kindern.

Staatsanwältin: Ein Jahr Corona und immer noch keine sichere Unterrichtsplattform

Seit die meisten deutschen Schüler im Distanzunterricht lernen, gehören Videokonferenzen zum Schulalltag wie Mathebuch und Federtasche. Doch während Lehrerinnen und Lehrer kontrollieren können, wer ins Klassenzimmer kommt – fehlt diese Sicherheit in der digitalen Welt oft.

Staatsanwältin Julia Bussweiler von der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (ZIT) in Hessen, die selbst in Fällen von gestürmten Online-Unterrichtsstunden ermittelt, warnt: „Auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie lernen deutsche Schulklassen noch immer nicht mit einer sicheren und stabilen digitalen Unterrichtsplattform, das ist bedauerlich.“

In einem Berufskolleg in Mannheim wählten sich Unbekannte in die Online-Deutschstunde ein und beleidigten die Lehrerin sexistisch. Als diese darauf den Unterricht beendete, war laut Polizei auf dem Bildschirm eine maskierte Person zu sehen, die eine Schusswaffe in der Hand hält. Ob die Unbekannten ein Foto zeigten oder ob wirklich jemand vor der Kamera mit einer Waffe spielte, ist unklar.

Videokonferenz: Unbekannte spielen Zweitklässlern Pornofilm vor

Staatsanwältin Bussweiler ermittelt in einem Fall in Hessen. Unbekannte Täter verschafften sich mit einem fingierten Mädchennamen Zugang zum Unterricht einer zweiten Klasse. Sie schlossen die Lehrerin von der Plattform Jitsi aus – und zeigten den Kindern auf dem Bildschirm pornografische Videos. Als Eltern den Vorfall bemerkten, versuchten sie vor allem die Übertragung abzubrechen oder den Laptop zuzuklappen. Beweise sicherten sie nicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun nicht nur wegen Verbreitens pornografischer Schriften an Minderjährige – sondern auch wegen Kindesmissbrauchs.

Bei den Lehrerverbänden beobachtet man das Thema aufmerksam. Ein Massenphänomen seien die Störungen nicht, sagt Ilka Hoffmann, Mitglied im Vorstand der Lehrergewerkschaft GEW, aber die Fälle häuften sich. „Man muss es als Problem auf jeden Fall ernst nehmen.“ Die GEW fordert mehr Unterstützung der Behörden für die Schulen. „Die Strafverfolgung kann man nicht der Schule überlassen“, sagt Hoffmann. Die Gewerkschaft erwarte, dass die Bildungsbehörden in solchen Fällen hinter der Schule stehen und dafür sorgen, dass ermittelt wird.

Ermittler haben Schwierigkeiten im Internet Beweise zu sichern

Doch die Ermittlungen in diesen Fällen bringen selten Erfolge. Das bestätigt auch Staatsanwältin Bussweiler. „Oftmals können wir keine Beweismittel sichern, da die Videokonferenzen ähnlich wie bei Streamingdiensten nicht gespeichert werden.“ Zudem sei die Identität des Täters schwer zu ermitteln,

Anfragen bei Anbietern der Plattformen etwa in den USA zu Stammdaten wie einer IP-Adresse eines Nutzers bleiben nicht selten unbeantwortet. Und komme doch eine Antwort, sei es für eine Abfrage bei den deutschen Telekommunikationsunternehmen zu spät – denn die Daten werden derzeit nicht auf „Vorrat“ gespeichert. Von welchem Internetanschluss ein Täter in eine Unterrichtsstunde eindringt, bleibt meist verborgen. Erfolge versprechen sich die Ermittler vor allem dann, wenn Schüler selbst die Zugangsdaten ihrer Videokonferenzen zuvor rausgegeben haben.