Schwerin/Berlin. Manuela Schwesig hat den Brustkrebs besiegt. Nun agiert die SPD-Poltikern umso energischer – auch wenn sie Merkel die Stirn bietet.

Manuela Schwesig brennt. Mindestens musikalisch. In ihrer Spotify-Playlist steht auf Platz vier „Girl on Fire“. Eine Hymne auf starke Frauen, die ihr Ding machen. „Sie lebt in einer Welt, die in Flammen steht. Fühlt die Katastrophe. Aber sie weiß, sie kann davonfliegen“, singt Alicia Keys.

Schwesigs persönliche Katastrophe war eine Brustkrebserkrankung. Die Diagnose kam im Sommer 2019. Sie steht die harte Therapie durch, gilt als genesen. So offen und mutig, wie sie mit dem Krebs umgeht, wird sie für viele Frauen ein Vorbild.

Schwesig ist vom Quälgeist zum Machtfaktor geworden

Parteifreunde und Weggefährtinnen berichten, seit dieser Zeit wirke die 46-Jährige noch entschlossener, fokussierter: „Sie ist noch einmal gewachsen, hat eine andere Stärke.“ Früher verdrehten in der SPD viele die Augen, wenn Schwesig in internen Runden ausholte. Sie galt als Quälgeist. Das ist lange vorbei. Sie ist ein Machtfaktor. In der SPD, in Mecklenburg-Vorpommern, auf Bundesebene. Und sie weiß, sich in Szene zu setzen.

Sieben Monate vor der Landtagswahl in „MV“ hilft es einer Ministerpräsidentin natürlich, sich in Corona-Gipfeln mit der Kanzlerin anzulegen. Sich in Talkshows deren Kanzleramtsminister Helge Braun oder EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorzuknöpfen. Hätte Schwesig in Brüssel mitverhandelt, hätte sie drei Mal so viel Impfstoff bestellt, sagt sie. Was nicht gebraucht worden wäre, hätte sie an Entwicklungsländer verschenkt.

Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.
Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. © dpa

Merkel bekommt Schwesigs Attacken zu spüren

Beißhemmung hatte Schwesig nie. Schnappte sie früher als Bundesfamilienministerin mal daneben, sitzen heute die politischen Attacken. Angela Merkel bekommt das zu spüren. In der Pandemie ist es immer wieder Schwesig, die ihr in den stundenlangen Videoschalten bei Schulen und Kitas ins Wort fällt. Schwesig hat zwei Kinder. Ihr Sohn ist im Teenageralter, die Tochter geht in die Kita. Sie nervt, dass Merkel ohne ausreichende Datenlage ständig die Schulen auf dem Kieker habe. In der SPD erzählen sie, die Kanzlerin habe in einer dieser Runde mal von kleinen „Dreckschleudern“ gesprochen, die das Virus verbreiteten.

Beim Gipfel am 19. Januar machte Merkel wieder Druck bei Schulschließungen. Schwesig explodierte. Die Politik könne das Leben der Kleinsten nicht immer weiter einschränken, aber in den Büros bleibe alles beim Alten. Das ließ Merkel nicht auf sich sitzen: „Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle oder Arbeitnehmerrechte missachte.“

Schwesig fordert von Merkel einen Fahrplan für Lockerungen: „Es muss einen Perspektivplan geben“, sagt sie bei einem Fototermin in Greifswald, wo sie Umschläge mit kostenlosen FFP2-Masken in Briefkästen wirft. Man müsse sagen, was bei einer Inzidenz von 100, 50 oder 35 möglich sei. „Damit die Leute auch ein Ziel haben. Wir können nicht einfach immer nur verlängern.“ Bei Schulen und Kitas sei ihr Land die ganze Zeit einen „moderaten Weg“ gegangen. Außer in Hotspots seien diese offen und Eltern dazu aufgerufen, ihre Kinder, wenn möglich, zu Hause zu lassen. „Da müssen andere Länder jetzt erst einmal wieder hin. Und die Zahlen zeigen auch, dass dieser Mittelweg auch vertretbar war“, sagt Schwesig. Selbstvermarktung muss ihr keiner mehr beibringen.

Schwesigs Einsatz für Nord Stream 2 steigert ihre Beliebtheit

Das gilt auch für Nord Stream 2. Schwesigs jüngster Coup, mit einer Umweltstiftung von US-Sanktionen bedrohten Firmen zu helfen und die Milliarden-Gaspipeline vor ihrer Haustür zu retten, ist für Kritiker plumper Etikettenschwindel. Schwesig betreibe das Geschäft für Gasexporteur Putin und dessen Cheflobbyisten Gerhard Schröder. Bei den heimischen Wählern kommt Schwesigs russlandfreundlicher Kurs offensichtlich an: Nach einer Umfrage der „Ostsee-Zeitung“ halten 71 Prozent Nord ­Stream 2 zur Sicherstellung der Energieversorgung für wichtig.

Schwesigs SPD steht bei 26 Prozent, die CDU bei 24 Prozent, die AfD ist auf 14 Prozent abgerutscht. Das würde im Herbst für eine Neuauflage einer großen Koalition reichen. In der Bundes-SPD schauen immer mehr auf sie – in Zeiten, in denen mit Kanzlerkandidat und Finanzminister Olaf Scholz ein Ruck ausbleibt. Schwesig aber muss erst ihre Landtagswahl gewinnen. 2017 kam sie in Schwerin allein durch den Rücktritt von Erwin Sellering ins Amt. Dann könnte sie SPD-Parteichefin werden, in einer Doppelspitze mit dem amtierenden Generalsekretär Lars Klingbeil. Und 2025 Kanzlerkandidatin? Schwesig will noch viele Kämpfe gewinnen. Auf Platz eins ihrer Spotify-Sammlung steht der „Rocky“-Song „Eye of the Tiger“.