Berlin. Beim Impfen wird getrickst. Das ist ein offenes Geheimnis. Wir brauchen klare Verfahren für den Umgang mit überschüssigem Impfstoff.
Bislang sind es wenige Fälle. Wobei: Vielleicht sehen wir auch nur die Spitze des Eisbergs. Fakt ist: Die Schlagzeilen über Impf-Vordrängler häufen sich. Es wird getrickst. Es ist ein offenes Geheimnis und kein rein deutsches Phänomen. Es war erwartbar, aber es ist und bleibt eine Schande. Ethisch: fragwürdig. Politisch: vertrauensschädigend.
Als ein Vakzin gegen Covid-19 noch gar nicht existierte, postete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf Facebook, er würde sich früh und öffentlich impfen lassen, freilich nur im Beisein eines Notars. Söder hatte die Impfgegner im Auge.
Der Notar sollte bescheinigen, dass der Stoff echt und die demonstrative Impfung keine propagandistische Augenwischerei wäre. Mittlerweile sind die Impfgegner das geringste Problem. Man wünscht sich einen Notar aus ganz anderen Gründen: als Gewähr für eine korrekte Reihenfolge.
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Impfdosen wegschmeißen? Das ist unterlassene Hilfeleistung
Feierabend im Impfzentrum, am Ende des Tages sind noch ein paar Ampullen übrig. Wer sie in den Müll wirft, ist vielleicht juristisch aus dem Schneider, aber angreifbar macht er sich doch. Moralisch ist das Verhalten verwerflich. Streng genommen: unterlassene Hilfeleistung.
Das Virus ist gefährlich, der Immunitätsschutz ebenso rar wie lebensrettend. Da darf man keinen Tropfen vergeuden. Es gibt klare Impfkriterien, also brauchen wir auch Wartelisten, Verfahren, Protokollpflichten – eine Art Impfetikette für den Umgang mit den Überhängen. Das schafft Vertrauen.
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Für Missbrauch von Impfdosen sollte es empfindliche Strafen geben
Man könnte den Missbrauch verhindern, ihn zumindest erschweren. Man müsste ihn dazu politisch thematisieren. Es macht stutzig, dass so wenige in der Politik bereit sind, ihn zu problematisieren und nach Konsequenzen zu rufen, eigentlich nur die Deutsche Stiftung Patientenschutz, die empfindliche Strafen für Vordrängler forderte. Zu Recht.
Es ist egal, um wie viele Fälle es geht. Denn mit jedem geht ein Stück Vertrauen verloren. Die Fälle, die landauf, landab bekannt werden, erregen die Gemüter, weil die Begünstigten meist an der „Quelle“ saßen: Klinikchefs, Funktionäre, Kommunalpolitiker, Insider. Lauter Leute, die von sich behaupten, sie hätten sich nur den Rest gegeben.
Pures Glück: Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Es soll so aussehen, als wären sie nur zufällig drangekommen. Das pure Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Aber es liegt der Verdacht nahe, dass sie dem Glück nachgeholfen, ihre Stellung ausgenutzt haben. Manchmal genügen Insiderkenntnisse; zu wissen: wann, wie, wo. Es hat seinen Grund, warum bei vielen Gewinnspielen die Mitarbeiter des jeweiligen Veranstalters ausgeschlossen werden: Um einen bösen Verdacht erst gar nicht aufkommen zu lassen.
„Das tut man nicht“ – die meisten Menschen haben ein untrügliches Gefühl dafür, auch die meisten Politiker. Aber manche werden schwach. Wenn es stimmt, dass der Impfstoff Gold wert ist, dann ist die Gier die Begleiterscheinung.
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Wer früher gegen Corona geimpft wird, muss offen darüber reden
Wer außerhalb der Reihe drankommt und ehrlichen Gewissens sagen kann, dass er sich nicht vorgedrängt hat, sollte aus zwei Gründen darüber reden: Erstens, weil es früher oder später doch bekannt wird. Zweitens, weil Offenheit und Öffentlichkeit eine Form von Selbstschutz sein können und am ehesten Vertrauensverlust vorbeugen.
Wer sich wie der Oberbürgermeister von Halle vorzeitig impfen lässt und es so lange als Privatsache verschweigt, bis es ruchbar wird, muss sich über argwöhnische Fragen nicht wundern. Es gibt Situationen, wo das Private politisch wird: bei Vorteilen im Amt. Wer in der Öffentlichkeit steht, hat eine Vorbildfunktion. Auch etwas Selbstreflexion über die eigene Stellung darf man erwarten.
Im Volksmund heißt es, Gelegenheit macht Diebe. Und Trickser und Vordrängler.
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