Berlin. Man muss dem Coronavirus den Weg abschneiden. Wichtig sind strenge Regeln für Reisende, meint Politik-Korrespondent Miguel Sanches.

Am 1. Januar erhielt die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Mitteilung, in der ein Cluster von Lungenentzündungen unbekannter Ursache in der Stadt Wuhan gemeldet wurde. So fing es an: so vage, so fern, irgendwo in China. Hellhörig wurden damals nur Fachleute.

Wir haben die Unschuld verloren. Die Nachrichten aus Großbritannien und Südafrika über eine neue Variante von Sars-CoV-2 lösen europaweit Ängste aus. Nicht etwa, weil Mutationen bei Viren ungewöhnlich wären, sondern weil die neue Variante bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisherige Form sein soll.

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Corona-Mutation könnte Impfaktion unwirksam machen

Es gibt zwei Sorgen. Real ist die Gefahr, dass sich mehr Menschen infizieren und sich die Corona-Krise verschärft. Nur eine Befürchtung ist, dass die Mutation eine Impfaktion unwirksam macht. Auf jeden Fall könnte es sich rächen, dass die EU sich mit der Zulassung eines Vakzins mehr Zeit als die Amerikaner und die Briten genommen hat.

Die Mutation wirft eine Frage auf, die im Frühjahr virulent war und im aktuellen Lockdown verdrängt wurde: die nach den Grenzkontrollen. Wie schneidet man dem Virus den Weg ab? Das ist keine Frage im Affekt, nicht allein die Nachrichten aus Großbritannien geben Anlass dazu. Nach zwei Monaten ohne Neuinfektionen hatten die Australier schon triumphiert: „We beat the bastard.“ Aber sie haben das Biest nicht eliminiert. Es ist wieder da. Importiert.

„Pingpong-Effekt“ durch reimportierte Fälle

In Europa ist das Risiko noch größer. Eine Gruppe von Wissenschaftlern warnte am Wochenende, es genüge nicht, wenn in einem Land geringe Infektionszahlen erreicht seien – wegen des „Pingpong-Effekts“ durch reimportierte Fälle. Auch interessant: Corona: Mehrere Länder stoppen Verkehr nach Großbritannien

Ein Beleg für die Warnung sind die Regionen in Deutschland mit den höchsten Ansteckungszahlen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen: Bautzen, Görlitz, Sächsische Schweiz, Regen. Lauter Orte und Kreise nahe Polen und Tschechien. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Grenzgänger Infektionstreiber sind.

Genauso offensichtlich ist, dass wir es uns nicht leisten können, Grenzen zu schließen. Allein in Bayern gibt es an die 50.000 Einpendler, die nicht selten in systemrelevanten, aber ansteckungskritischen Berufen arbeiten: Seniorenpflegeheime, Krankenhäuser, Schlachtbetriebe. Das ist die europäische Realität. Lesen Sie auch: Corona-Lage in Sachsen spitzt sich zu: Inzidenzen über 2000

Corona-Impfstoff von Moderna erhält Notfallzulassung in den USA

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    Einstellung des Flugverkehrs nur eine Notlösung

    Auch die Einstellung des Flugverkehrs nach Großbritannien und Südafrika ist nur eine Notlösung mit Kurzzeit­wirkung. Was ist mit den Fähren nach Frankreich und Belgien, mit dem Eurotunnel, mit dem Handel? Für die vielen EU-Bürger, die in Großbritannien leben, wäre es eine Härte, wenn ihnen zu Weihnachten der Heimweg versperrt wird.

    Man muss die Grenzen nicht schließen, sie aber sehr wohl im Sinne des Infektionsschutzes strenger kontrollieren. Das heißt: Genauer nachverfolgen, ob Einreisende Quarantäne einhalten und einen negativen Test vorweisen können. Mehr Informationen: Corona-Test: So lange müssen Sie auf ein Ergebnis warten

    Grenzabfertigung eine Mickymaus-Veranstaltung

    In Wahrheit ist die Grenzabfertigung eine Mickymaus-Veranstaltung. Manche Rückkehrer füllen ihre digitale Einreiseauskunft mit falschen Auskünften und Fantasienamen wie Donald Duck aus. Allein in zehn Tagen im November fielen bei Stichproben fast 3000 offensichtlich falsche Angaben auf.

    Verantwortlich für dieses für Missbrauch anfällige Registrierungssystem ist Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und mittelbar sein Kabinettskollege Horst Seehofer (CSU), weil der Innenminister zum Missmanagement schweigt.

    Im Falle Großbritanniens und Südafrikas hat es keine negativen Folgen, weil bei Einreisenden aus Drittstaaten die Identität stets überprüft wird. Aber das Virus ist wohl kaum anglophil. Es kann auch in Frankreich, Österreich oder woanders im Schengenraum mutieren. Es ist höchste Zeit, die Kontrollfrage europaweit auf den Prüfstand zu stellen.