Berlin. Viele Ministerpräsidenten mahnen derzeit striktere Corona-Regeln an. Es lohnt ein Blick nach Ostasien, kommentiert Michael Backfisch.
Die Stimmung ist gekippt: Plötzlich wird der „schnelle, harte Lockdown“ zum neuen Zauberwort in Deutschland. Auch Ministerpräsidenten, die lange Zeit eher gebremst haben wie Armin Laschet (NRW) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern), mahnen nun strikte Corona-Maßnahmen an. Selbst Bedenkenträger wie Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller sind auf einmal Mitglieder der scharfen Fraktion.
Ursache für den Meinungsumschwung ist die steil ansteigende Zahl der Neuinfektionen. Am Freitag wurde mit knapp 30.000 ein alarmierender Höchststand erreicht. Die Intensivstationen der Krankenhäuser füllen sich rasant. Plötzlich ist es wieder da: das Gespenst vom Kollaps des Gesundheitssystems.
Deutschland zahlt nun den Preis für den Zickzackkurs und die Kakofonie der Politik in Corona-Zeiten. Der ziemlich harte Lockdown im Frühjahr hatte die Zahl der Neuinfektionen zunächst deutlich reduziert. Doch dann kam die Welle der Lockerungen. Urlaubsheimkehrer, Schlachthöfe mit fehlendem Sicherheitsabstand für Arbeiter, notorische Partygänger und Familienfeiern mit massenhaftem Publikum trieben die Corona-Kurve nach oben.
Corona: Es fehlt an einer langfristigen Strategie
Der Anfang November verhängte Teil-Lockdown hat die exponentiell ansteigenden Corona-Zahlen zwar erst einmal gedeckelt. Doch das relativ hohe Plateau an Infektionen schob sich immer weiter nach oben. Bilanziert man den Umgang mit der Corona-Pandemie in Deutschland, gibt es nur einen Schluss: Es fehlt eine langfristige Strategie. Stattdessen versuchte die Politik, dem Virus mit einer Hart-weich-Taktik beizukommen. Restaurants wurden mal geschlossen, mal wieder geöffnet. Kinos, Theater, Fitnessstudios durften zeitweise unter Einschränkungen Kunden empfangen, dann mussten sie wieder dichtmachen.
Es war wie beim Jo-Jo-Effekt und dem Versuch der Gewichtsabnahme. Auf die radikale Diät folgt die kleine Ausnahme für ein Stück Schokolade, nach der erneuten Kalorienbremse darf es auch eine Käsesahnetorte sein. Am Ende sind mehr Pfunde auf der Waage als zu Beginn.
Nicht nur Deutschland, auch andere Länder tappten in die Jo-Jo-Falle. Frankreich hatte im Frühjahr einen viel schärferen Lockdown als die Bundesrepublik. Danach wurde gelockert – mit verheerenden Folgen. Auch Österreich oder Israel konnten mit harten Corona-Maßnahmen die Neuinfektionszahlen zunächst drastisch nach unten drücken. Im Zuge von Erleichterungen schnellte die Kurve in kurzer Zeit wieder nach oben.
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Deutschland kommt um scharfe Maßnahmen nicht vorbei
Es lohnt sich, beim Kampf gegen Corona einen Blick auf Südostasien zu werfen. Die dortigen Erfolge lassen sich auf diese Formel bringen: die konsequente Isolierung von Verdachtsfällen (China), eine befristete App, die die Bewegungsabläufe von Infizierten und Kontaktpersonen lückenlos speichert (Südkorea), und eine strenge Quarantäne (Vietnam). Der australische Bundesstaat Victoria verhängte eine weitgehende Ausgangssperre über vier Monate. Ergebnis: Die Zahl der Neuansteckungen wurde gegen null gedrückt. Restaurants und Bars sind inzwischen wieder geöffnet.
Auch Deutschland kommt um einschneidende Maßnahmen nicht herum. Die Zahl der Neuinfektionen sollte auf ein derart niedriges Niveau gedrückt werden, dass die Gesundheitsämter die Fälle wieder nachverfolgen können. Nur auf einen Impfstoff zu hoffen, wäre kurzsichtig. Noch ist nicht bekannt, wie lange die Immunität durch das Vakzin anhält und welche Nebenwirkungen auftreten können. Bis das medizinische Gegenmittel verlässlich für alle vorliegt, brauchen wir Disziplin, Geduld und die Bereitschaft zum Verzicht. Zum Schutz für uns selbst und für die Gesellschaft.