Berlin. Politik-Korrespondent Miguel Sanches über die Querdenker in Deutschland. Könnten sie wirklich zur Gefahr für die Demokratie werden?

Deutschland ist besser als viele andere Staaten durch die Pandemie gekommen. Bund und Länder haben entschlossen gehandelt, die Mehrheit der Bürger befolgt die Corona-Auflagen. Die „Querdenker“ sind eine Minderheit. Das spricht weder für noch gegen sie. Aber lassen wir die Kirche im Dorf: Sie sind nicht das Volk.

Den Erfolg erkennt man im europäischen Vergleich unschwer an der Zahl der Infektionen und der Todesfälle pro eine Million Einwohner; ferner daran, dass die Lage in den Krankenhäusern und die unmittelbaren ökonomischen Folgen für die Volkswirtschaft beherrschbar erscheinen (wie sich die Verschuldung langfristig auswirken wird, steht auf einem anderen Blatt).

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Dieser relative Erfolg führt zu einem paradoxen Effekt: Gerade weil es keine Übersterblichkeit gibt und die Ärzte noch jeden Covid-19-Patienten behandeln und keinen aufgeben müssen, richtet sich Widerstand gegen die staatliche Allmacht.

Miguel Sanches, Politik-Korrespondent
Miguel Sanches, Politik-Korrespondent © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Corona: Etwas Staatsskepsis ist gesund

Hätten wir eine Übersterblichkeit wie in den USA und wäre das Gesundheitssystem hart an der Belastungsgrenze wie in Frankreich, dann gäbe es wahrscheinlich Proteste ganz anderer Art: eine „Tut-doch-was-Bewegun g“, Rufe nach dem Staat, bitte Schaden vom deutschen Volk abzuwenden – adressiert an die Ministerpräsidenten und an die Kanzlerin.

Wer handelt, macht Fehler, zumal in einer Notlage. Die Geschichte der Corona-Politik ist eine Geschichte von Versuch und Irrtum und demokratisch nicht nur wegen der Einschränkungen der Bürgerrechte eine Zumutung, sondern auch wegen der Art und Weise des Managements: oft genug am Parlament vorbei.

Widerstand gegen eine „Verordnungsdemokratie“, der Vorwurf der Unverhältnismäßigkeit bestimmter Maßnahmen – das ist erst mal legitim und gesund. Lieber Staatsskepsis als Staatsgläubigkeit , lieber ein Aufschrei wegen der Einschränkung der Freiheitsrechte als keine Schmerzreaktion.

Manchmal macht sich das Unbehagen im Parlament und gar in den Regierungsfraktionen bemerkbar. So kann man den Hinweis von Unionsfraktionschef Brinkhaus verstehen, dass nicht die Regierungen, sondern das Parlament das Budgetrecht hat.

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Querdenker: Finanzierung der Bewegung ist intransparent

Die „Querdenker“-Bewegung muss man aushalten können. Nicht zufällig haben Gerichte Demonstrationen zugelassen und vielfach staatliche Maßnahmen gekippt. Das Problem mit den „Querdenkern“ ist allerdings, dass sie zur Plattform für Extremisten werden, für Reichsbürger, Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker, von denen es zwar heißt, dass sie die Bewegung weder prägen noch steuern. Aber beunruhigend ist die Entwicklung schon.

Zumal die Bewegung alles andere als transparent ist. Es ist zum Beispiel unklar, wie sie sich finanziert. Und schließlich muss man sich sorgen, weil kein Dialog mehr zustande kommt. Da die Proteste den Kurs der Regierung nicht ändern werden, wird das Ergebnis Ohnmacht und Frust sein, die wiederum zu neuer Radikalität führen.

„Querdenker“ propagieren offen Umsturzfantasien

Die „Querdenker“ sind zwar (noch?) kein Beobachtungsfall , aber de facto hat der Verfassungsschutz sie im Auge, weil der Behörde längst aufgefallen ist, dass offen Umsturzfantasien gegen die deutsche Regierung propagiert werden.

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Halten wir einfach mal fest: Die Regierungen sind gewählt und demokratisch legitimiert, auf Landes- und Bundesebene stehen just 2021 Wahlen an. Wir sind nicht auf dem Weg zu einer Diktatur . Die eilige und nicht risikolose allgemeine Impfaktion dient umgekehrt dem Zweck, einen Ausnahmezustand möglichst schnell zu beenden.

Die Mehrheit der Bürger weiß das abzuschätzen und abzuwägen. Hingegen tun „Querdenker“ so, als seien sie im Widerstand gegen ein totalitäres Regime, und vergleichen sich mit Anne Frank oder Sophie Scholl. Geht’s noch?

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