Berlin. Weil Weihnachten und Pandemie nicht zusammen passen, darf Corona ein paar Tage Pause machen. Logisch? Nein, sagt Birgitta Stauber.
Noch hängen ein paar Blätter an den Bäumen im meinen Laufpark. Jeder Atemzug füllt meine Lunge mit dem feuchten Novembernebel. Wie gut meine Lunge funktioniert , denke ich. Wie schnell ich die Treppe hoch komme, die aus dem Park führt. Von Westen her bricht die Sonne durch den Dunst, durch die blattlosen Birkenzweige, durch das Schilf am Ufer des Stadtsees. Wie gut, dass ich gesund bin.
Neulich war meine Warn-App rot , ich musste zu Hause bleiben. Ich erinnere mich an ein langes Wochenende auf dem Sofa mit Buch, Netflix und dem ewigen Blick durch ein Dachfenster in den Spätherbsthimmel. Ich hing in Hotline-Warteschleifen, auf der Suche nach Auskunft, was ich mit meiner roten App tun sollte. Mir schlug Ratlosigkeit entgegen, Unkenntnis, Unvermögen.
Letztlich halfen mir Beziehungen und mein privates Portemonnaie: Ein Arzt kam zu mir nach Hause, testete mich und erlöste mich aus der Quarantäne.
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Die Corona-Warn-App – schlug sie im Schuhgeschäft an?
Wo ich den gefährlichen Kontakt hatte – ich habe keine Ahnung. Meine Arbeitskolleginnen, meine Familie , sie alle präsentierten mir ihre vorbildlich grünen Warn-Apps. Vielleicht ist es im Schuhgeschäft passiert, wo ich zielstrebig ein paar Winterstiefel gekauft hatte?
Es ist Tag 27 des Teil-Lockdowns , und noch immer infizieren sich zu viele Menschen, ohne zu wissen, wo und wann. Die Krankenhäuser sind gefährlich voll, die Zahl der Toten steigt, in unseren Nachbarländern ist die Situation eher noch dramatischer. Es ist nicht absehbar, dass sich das bis Weihnachten ändert.
Gastronomie, Kunst, Kultur, der Freizeitsport liegen brach. Wir pumpen Hilfsgelder in abstrakter Höhe in betroffene Unternehmen. Und doch dürfen wir Eltern, die Studententochter, das Teenagerkind und der Studentensohn, der ganz woanders wohnt, bei Oma und Opa an Heiligabend feiern. Zusammen mit meinem Bruder und seinen vier Kindern.
Weihnachten ist, wenn Berlin, München und Essen aufeinander treffen
Als ob das Virus sich vor Ehrfurcht vor den Feiertagen verneigt und sagt, es sei zwar herrlich, wenn Essen, Gelsenkirchen, München und Berlin aufeinandertreffen. Und zwei Universitäten, drei Schulen, sowie drei Firmen, in denen nur sporadisch im Homeoffice gearbeitet wird. Aber es lasse uns acht Erwachsene, zwei Teenager und drei Kinder unter 14 in Ruhe. Und die beiden Personen über 80. Ist doch Weihnachten.
Was für eine tolle Party könnte das werden. Sicher würde ich davon viele Themen mitnehmen, die diese Kolumne in den Wochen danach bestens füllen. In normalen Zeiten.
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Querdenker: Kapituliert die Politik vor irren Demos?
Ich verstehe einfach die Logik dieser Weihnachtsregel nicht, die nach einem zermürbenden Kuhhandel zwischen Bund und Ländern zusammengekommen ist. Würde in diesem Jahr den betagten Eltern nicht der kleine Weihnachtsbesuch reichen? Muss es trotz Pandemie die große Sause sein? Ist die Ohnmacht so groß, weil diese seltsamen Querdenker Sätze brüllen wie: „Ihr seid Stasi“, „Ich bin Sophie Scholl“, „Wollte Jesus das“?
Mein Rezept für Weihnachten: Ignorieren wir diese Verschwörungstheoretiker , Impfgegnerinnen, Esoteriker, Rechtsextremisten, sich missverstanden fühlenden ehemaligen DDR-Bürgerrechtler . Diese krude Mischung, die in ihrer Selbstsucht mit irren Vergleichen die Opfer von Nazi-Diktatur , Holocaust und Stasi-Regime verhöhnen.
Weihnachten 2020 dürfen wir endlich mal zu Hause feiern
Lassen wir offen – und auch ein wenig böse – unsere Freude zu: Wir dürfen zu Hause bleiben. Es droht kein familiärer Weihnachtskrach. Die Kirche fällt aus. Schlimmstenfalls werden die Feiertage so eintönig wie meine Laufrunden im Park. Aber hinterher fühlt man sich besser.
Ich verspreche: Wir holen alles Ostern nach, im Sommer oder spätestens im Herbst. Mit Oma, Opa, Enkel und Schwägerin. Und erklären dann Weihnachten 2020 zum Fliegenschiss im Verlauf der Pandemie.
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