Berlin. An diesem Sonntag ist Angela Merkel seit 15 Jahren Bundeskanzlerin. Was hat die erste Frau an der Spitze der Regierung bewegt?

Die Kandidatin trug Schwarz, hatte ihre Eltern und ihren Bruder mitgebracht und wirkte zuversichtlich. Am 22. November 2005 um 10.52 Uhr war es so weit: Der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) gab bekannt, dass Angela Merkel mit 397 Jastimmen (64,6 Prozent) zur ersten Bundeskanzlerin Deutschlands gewählt worden war.

„Heute 1. Angie-Tag“, schrieb der „Berliner Kurier“. Zu diesem Zeitpunkt ahnte wohl niemand, wie viele „Angie-Tage“ noch folgen würden. Merkel startete schwach in ihre Kanzlerschaft. Die Union hatte die vorgezogene Bundestagswahl entgegen der Prognosen der Demoskopen nur mit einem hauchdünnen Vorsprung von einem Prozentpunkt gegen die SPD gewonnen – was den bisherigen Kanzler Gerhard Schröder zu einem trumpesken Versuch verleitet hatte, Merkel doch noch irgendwie zu verhindern.

Erfolglos. Auch in den eigenen Reihen war Merkel nur knapp einer Meuterei entkommen. Sie galt als Übergangskanzlerin.

Angela Merkel: In der Bonner Männerrepublik durchgebissen

15 Jahre ist das her. Eine ganze Generation, die nur eine Frau an der Spitze Deutschlands kennt, ist seither herangewachsen. Merkel ist länger im Amt als Konrad Adenauer . Wenn sie im Herbst nächsten Jahres freiwillig ausscheidet, wird sie mit dem „ewigen Kanzler“ Helmut Kohl gleichgezogen sein.

Mit Kanzlerjahren verhält es sich wie mit den Lebensjahren von Hunden: Sie sind mit normalen Menschenjahren nicht zu vergleichen, sondern in ihrer Dichte und Intensität ein Leben im Zeitraffer. Die Macht hat Merkel verändert. Zäh war sie schon damals, hatte sich als ostdeutsche, kinderlose Protestantin in der Bonner Männerrepublik durchgebissen. Aber sie war auch spröde und mitunter linkisch.

Nach Momenten der Unsicherheit wird man heute bei Merkel lange suchen müssen. Bei G7-Gipfeln oder Brüsseler Spitzentreffen ist sie nicht nur die Dienstälteste, sondern auch das Kraftzentrum, nach dem sich die anderen mehr oder minder begeistert ausrichten. Nur bei Donald Trump , dem US-Präsidenten, ist sie damit gescheitert.

Angela Merkel (CDU) wird am 22. November 2005 durch den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert vereidigt.
Angela Merkel (CDU) wird am 22. November 2005 durch den damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert vereidigt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb | dpa Picture-Alliance / BPA Guido Bergmann

Ihr Stil ist dabei gleich geblieben. Protestantisch-pragmatisch. Bis heute ist Merkel keine Lautsprecherin, sie verhandelt lieber in vertraulichen, kleinen Runden. Sie ist nach wie vor eine eher mittelmäßige Rednerin. Niederlagen steckt sie scheinbar unbewegt weg, nutzt aber spätere Gelegenheiten, um sich zu revanchieren. Sie kann warten, bis es die Großspurigen, die Aggressiven von selbst zerreißt. Kein Wunder, dass „Rumpelstilzchen“ ihr Lieblingsmärchen ist.

Die Merkelsche Wende kam in der Flüchtlingskrise

Und doch hat sie sich fundamental verändert. Die frühen Jahren waren geprägt von einer bemerkenswerten Anpassungsfähigkeit . Fast keine Position war ihr wichtig genug, um nicht im Zweifelsfall aufgegeben zu werden. Oft wartete sie ab, bis sie erspüren konnte, wohin der politische Wind wehte.

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Unter ihr wurden konservative Kehrtwenden vollzogen, etwa die Wehrpflicht ausgesetzt und der Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen, weil die Nuklearkatastrophe von Fukushima auch die Deutschen zutiefst verunsicherte. Die Gleichberechtigung entdeckte die einstige Frauenministerin Merkel erst als Thema, als sich eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gefunden hatte. Auch der Klimawandel beschäftigte sie lange nicht, obwohl sie als Umweltministerin dessen Dramatik viel früher begriffen hatte als andere.

Die Merkelsche Wende kam in der Flüchtlingskrise im Herbst 2015. In dieser schwierigen Situation beschloss sie, die Menschen aufzunehmen, die Grenzen offen zu lassen. Egal, was es (sie) kosten würde. Sie ertrug die Kritik, den Hass der Flüchtlingsgegner, die wachsende Nervosität der eigenen Partei – und wurde 2017 wiedergewählt. Um den Preis, dass das Land gespalten war.

Das sind die CDU-Vorsitzenden seit 1946

Konrad Adenauer gehörte zu den Begründern der CDU. Der aus Köln stammende Jurist war von 1950 bis 1966 CDU-Bundesvorsitzender. Seit 1946 war er bereits Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone. Von 1949 bis 1963 war Adenauer der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel: Seit 1946 standen sechs Männer und eine Frau an der Spitze der CDU. Hier stellen wir sie vor.
Konrad Adenauer gehörte zu den Begründern der CDU. Der aus Köln stammende Jurist war von 1950 bis 1966 CDU-Bundesvorsitzender. Seit 1946 war er bereits Vorsitzender der CDU in der britischen Besatzungszone. Von 1949 bis 1963 war Adenauer der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Angela Merkel: Seit 1946 standen sechs Männer und eine Frau an der Spitze der CDU. Hier stellen wir sie vor. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Ludwig Erhard, Vater des „deutschen Wirtschaftswunders“ und zweiter Bundeskanzler (1963 bis 1966), hatte den CDU-Vorsitz von 1966 bis 1967 inne.
Ludwig Erhard, Vater des „deutschen Wirtschaftswunders“ und zweiter Bundeskanzler (1963 bis 1966), hatte den CDU-Vorsitz von 1966 bis 1967 inne. © imago/ZUMA/Keystone | imago stock&people
Kurt Georg Kiesinger, dritter Bundeskanzler (1966 bis 1969), war von 1967 bis 1971 CDU-Chef. Schon 1933, im Jahr von Hitlers Machtübernahme, war Kiesinger in die NSDAP eingetreten. Das wurde ihm in den 1960er-Jahren vor allem von der „Außerparlamentarischen Opposition“ immer wieder vorgehalten.
Kurt Georg Kiesinger, dritter Bundeskanzler (1966 bis 1969), war von 1967 bis 1971 CDU-Chef. Schon 1933, im Jahr von Hitlers Machtübernahme, war Kiesinger in die NSDAP eingetreten. Das wurde ihm in den 1960er-Jahren vor allem von der „Außerparlamentarischen Opposition“ immer wieder vorgehalten. © imago/United Archives International | Personalities
Rainer Candidus Barzel war von 1971 bis 1973 CDU-Parteivorsitzender.
Rainer Candidus Barzel war von 1971 bis 1973 CDU-Parteivorsitzender. © imago | SVEN SIMON
Helmut Kohl war von 1973 bis 1998 CDU-Parteivorsitzender.
Helmut Kohl war von 1973 bis 1998 CDU-Parteivorsitzender. © imago/WEREK | imago stock&people
Kohl führte von 1982 bis 1998 als sechster Bundeskanzler der BRD eine CDU/CSU/FDP-Koalition und ist damit der Kanzler mit der längsten Amtszeit.
Kohl führte von 1982 bis 1998 als sechster Bundeskanzler der BRD eine CDU/CSU/FDP-Koalition und ist damit der Kanzler mit der längsten Amtszeit. © imago/imagebroker | imago stock&people
Wolfgang Schäuble, aktueller Bundestagspräsident, war von 1998 bis 2000 CDU-Parteivorsitzender.
Wolfgang Schäuble, aktueller Bundestagspräsident, war von 1998 bis 2000 CDU-Parteivorsitzender. © imago/ZUMA Press | Emmanuele Contini
Angela Merkel ist seit dem Jahr 2000 CDU-Vorsitzende. Seit 22. November 2005 ist die studierte Physikerin Bundeskanzlerin.
Angela Merkel ist seit dem Jahr 2000 CDU-Vorsitzende. Seit 22. November 2005 ist die studierte Physikerin Bundeskanzlerin. © Getty Images | Carsten Koall
Annegret Kramp-Karrenbauer war vom 7. Dezember 2018 bis Januar 2021 die Bundesvorsitzende der Partei.
Annegret Kramp-Karrenbauer war vom 7. Dezember 2018 bis Januar 2021 die Bundesvorsitzende der Partei. © dpa | Sebastian Gollnow
Der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet setzte sich Anfang 2021 gegen seine Konkurrenten Norbert Röttgen und Friedrich Merz durch. Er wurde CDU-Vorsitzender und trat als Spitzenkandidat im Bundestagwahlkampf 2021 an. Die Union verlor die Wahl. Laschet zog als einfacher Abgeordneter in den Bundestag ein und machte den Weg frei für eine neue CDU-Spitze.
Der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet setzte sich Anfang 2021 gegen seine Konkurrenten Norbert Röttgen und Friedrich Merz durch. Er wurde CDU-Vorsitzender und trat als Spitzenkandidat im Bundestagwahlkampf 2021 an. Die Union verlor die Wahl. Laschet zog als einfacher Abgeordneter in den Bundestag ein und machte den Weg frei für eine neue CDU-Spitze. © dpa | Bernd Weißbrod
Friedrich Merz folgt auf Armin Laschet. Der Sauerländer (*11. November 1955 in Brilon) ist seit dem 31. Januar 2022 Bundesvorsitzender der CDU. Seit 2021 sitzt Merz auch für die Partei im Bundestag.
Friedrich Merz folgt auf Armin Laschet. Der Sauerländer (*11. November 1955 in Brilon) ist seit dem 31. Januar 2022 Bundesvorsitzender der CDU. Seit 2021 sitzt Merz auch für die Partei im Bundestag. © dpa
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2018 musste Angela Merkel den Parteivorsitz abgeben

Die Unruhe blieb und führte dazu, dass Merkel Ende 2018 den Parteivorsitz abgeben musste, obwohl sie sich immer gegen eine Trennung von Parteivorsitz und Regierungsamt gewehrt hatte. Ihre Ankündigung, 2021 nicht mehr fürs Kanzleramt kandidieren zu wollen, war hingegen selbstbestimmt.

Die späte Merkel ist kompromisslos geworden. Nicht in den Details, aber in den großen Linien. In der Pandemie hat sich die promovierte Naturwissenschaftlerin früh für einen Kurs der Vorsicht und der harten Gegenmaßnahmen entschieden. Und sie hat immer weniger Geduld, jene dabei mitzunehmen, die ihren sorgenvoll-analytischen Blick nicht teilen wollen oder können.

Die Härte, mit der sie jetzt in der Corona-Krise den Bürgern Einschränkungen abverlangt, wendet sie dabei auch auf sich selbst an. Lesen Sie auch : Hohe Corona-Zahlen – Kommt die Lockdown-Verlängerung?

Noch unterstützt die Mehrheit der Bevölkerung den Kurs der Kanzlerin. Das kann sich aber schnell ändern. Doch Merkel weiß, dass sie nichts mehr zu verlieren hat. Sie hat eine Mission: das Land durch diese Pandemie zu bringen. Dafür wird sie am Ende ihrer Kanzlerschaft stehen.