Berlin. Das erste Vakzin gegen Covid-19 kommt aus Mainz und gilt als hochwirksam. Einige Staaten haben es längst bestellt – noch vor der EU.
Der erste Impfstoff gegen Covid-19 liegt vor, und Jens Spahn treibt eine Frage um: Als deutscher Gesundheitsminister könne er schwer erklären, „wenn in anderen Regionen der Welt ein in Deutschland produzierter Impfstoff schneller verimpft würde als in Deutschland selbst“.
Die EU hat mit vielen Firmen Verträge abgeschlossen, aber zunächst nicht mit Biontech aus Mainz, dem Spitzenreiter im weltweiten Rennen um den ersten Impfstoff. Eilig versichert EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Dienstag, der Vertrag sei ausgehandelt und unterschriftsreif. Spahn hofft nun auf bis zu hundert Millionen Impfstoff-Dosen für Deutschland.
Allerdings: Die Zahl der Impfdosen lässt sich nicht automatisch gleichsetzen mit der Zahl der Menschen, die damit geimpft werden können. Im Fall des Biontech-Impfstoffes ist es beispielsweise so, dass jeder Mensch zwei Dosen über einen bestimmten Zeitraum bekommen muss. Indes, mehrere Hundert Millionen Dosen sind vorab verkauft worden: an die USA, Japan und Kanada. – und der Partner von Biontech, der Pharmariese Pfizer, ist ein amerikanisches Unternehmen…
Wofür wird Biontech gefeiert?
Der Impfstoff BNT162b2 ist fertig. Seine Wirksamkeit gegen Corona gibt Biontech-Chef Ugur Sahin mit mehr als 90 Prozent an. Das sei „außergewöhnlich“. Sein Plan war von Anfang an, einen Impfstoff in Rekordzeit zu entwickeln und 2021 mit Herstellung und Verteilung zu starten. Deshalb holte er Pfizer ins Boot.
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Die Amerikaner haben große Produktionsanlagen, übernahmen die Hälfte der Entwicklungskosten und verpflichteten sich nach Informationen des „Spiegel“, im Erfolgsfall weitere 748 Millionen zu zahlen. Es wird erwartet, dass sich beide Firmen die Einnahmen teilen werden. Bis Ende 2021 sollen 1,3 Milliarden Dosen produziert werden. Kein Wunder, dass Biontech die Finanzmärkte in Goldgräberstimmung versetzt hat. Die Mainzer haben die adäquate Firmenadresse. Sie sitzen „An der Goldgrube 12“.
Wer steht hinter dem Erfolg?
Entwickelt wurde BNT162b2 federführend von Sahin und seiner Frau Özlem Türeci. Beide haben das Unternehmen 2008 mit dem Wissenschaftler Christoph Huber gegründet. Im Oktober 2019 ging Biontech an die US-Technologiebörse Nasdaq. Die Corona-Pandemie war in weiter Ferne, für 15 US-Dollar (12,72 Euro) wurden die ersten Wertpapiere ausgegeben.
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Der Bruttoerlös von 150 Millionen Dollar lag unter den Erwartungen. Großer Fleiß und Leidenschaft für ihren Beruf machte die beiden Einwandererkinder reich – und zu Hoffnungsträgern. An ihrem Hochzeitstag, erzählte Özlem Türeci einmal, standen sie und ihr Ehemann Ugur Sahin morgens noch im Labor. Von dort aus machten sie sich auf den Weg zur Trauung – und gingen zurück an die Arbeit.
Türeci hat die Geschichte ihrer Hochzeit einmal der „Süddeutschen Zeitung“ erzählt, 2009 war das, für einen Artikel über ihre Arbeit in der Krebsforschung. Damals waren die beiden mit ihrer ersten Firma Ganymed Pharmaceuticals vor allem in Fachkreisen bekannt als Hoffnungsträger im Kampf gegen den Krebs.
Als Kind nach Deutschland gekommen
Sahin kam mit vier Jahren nach Deutschland. Türeci ist hier geboren. Sie ist die Tochter eines türkischen Arztes, der sich im Raum Oldenburg in Niedersachsen niederließ. Mit einem Medizinstudium im Saarland tritt sie in seine Fußstapfen. Ugur Sahin wuchs in Köln auf, als Sohn eines Fabrikarbeiters, der im Rahmen des Anwerbeabkommens mit der Türkei zu Ford gekommen war.
Neben Fußball interessieren Sahin als Kind vor allem populärwissenschaftliche Bücher – und wecken ein Forschungsinteresse, das ein Leben lang anhält. Nach dem Abitur in Köln geht er zum Medizinstudium an die Universität der Domstadt.
Jahre später erinnert er sich, wie seine Mitstudierenden nach Ende der Vorlesung nach Hause gegangen seien – und er zurück ins Labor, manchmal bis vier Uhr nachts. Özlem Türeci lernt er als junger Arzt kennen, am Universitätsklinikum in Homburg im Saarland.
Beide bewegt die Frage, wie man Krebs heilen kann. Um daran zu forschen, gehen sie an die Universität Mainz, wo Sahin bis heute Professor und Türeci Privatdozentin ist. Doch vom Rahmen universitärer Forschung fühlen sie sich bald eingeengt.
Weil ihnen wissenschaftliche Ergebnisse nicht schnell genug in der Versorgung der Patienten ankommen, gründen Sahin und Türeci 2001 ihr erstes Unternehmen, Ganymed Pharmaceuticals, das 2016 für mehr als 400 Millionen Euro verkauft wird. 2008 folgt die Gründung von Biontech, mit Türeci als Leiterin der Forschungsabteilung und Sahin als CEO.
Das Ziel sei nicht weniger als eine „Revolution“ der Krebstherapie, so Sahin. Doch als die Nachricht von der Verbreitung des Coronavirus die Runde macht, ist klar: Krebs muss warten.
Hat die EU bei der Impfstoffverteilung geschlafen?
Am Mittag kommt von der EU-Kommission die Meldung, der Vertrag zur Lieferung des Impfstoffs sei fertig ausgehandelt. Von der Leyen kündigt an, „morgen genehmigen wir einen Vertrag über bis zu 300 Millionen Dosen“. Zusammen würde das für 150 Millionen Menschen reichen (zwei Impfungen), etwa ein Drittel der EU-Bevölkerung.
Die Verträge sind geheim, der Kaufpreis unbekannt. „Dies ist der vierte Vertrag mit einem Pharmaunternehmen über den Kauf von Impfstoffen. Und es wird noch mehr kommen. Weil wir ein breites Portfolio an Impfstoffen brauchen, die auf verschiedenen Technologien basieren“, versichert von der Leyen. Deutschland ist quasi doppelt abgesichert.
Denn nicht nur über den EU-Vertrag hat es Anspruch auf Impfdosen. Weil es sich um deutsche Firmen handelt, unterstützt das Bundesforschungsministerium sowohl Biontech als auch Curevac und das Dessauer Unternehmen IDT Biologika bei der Entwicklung eines Impfstoffs mit rund 750 Millionen Euro. Im Gegenzug haben sich die Firmen verpflichtet, im Erfolgsfall Deutschland mehrere zehn Millionen Dosen Impfstoff zur Verfügung zu stellen.
Welche Impfstoffe sind sonst noch im Rennen?
Weltweit laufen laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 200 Impfstoffprojekte. Davon befinden sich nach Angaben des Verbands forschender Arzneimittelunternehmen (vfa) neben dem Präparat von Biontech/Pfizer neun weitere Kandidaten in der dritten und letzten Studienphase vor einer möglichen Zulassung. Darunter ein Vakzin der Universität Oxford und des Pharmaunternehmens AstraZeneca und ein Impfstoff des US-Unternehmens Moderna.
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Wie lange dauert es, bis die breite Bevölkerung geimpft ist?
Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, rechnet vor: Würden täglich 100.000 Menschen geimpft, wären nach 150 Tagen erst 15 Millionen Deutsche geschützt. Er vermutet: Ein bis zwei Jahre könnte es dauern, bis 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind.