Berlin. Corona-Auflagen sind oft juristisch nicht wasserdicht. Eilig bessern Bund und Länder nach: Das Infektionsschutzgesetz wird verschärft.
Sie haben es eilig. An diesem Freitag Beratung im Bundestag, dann Expertenanhörung, danach Parlamentsbeschluss, am 18. November Sondersitzung im Bundesrat. Im Schweinsgalopp wird das Infektionsschutzgesetz verschärft.
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach im Parlament von einer „rechtliche Klarstellung“, damit die meist von den Ländern verhängten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie besser vor Gerichten Bestand hätten. Dort sind etliche Klagen gegen Corona-Auflagen anhängig. Und nicht chancenlos ...
Corona-Regeln: 187 Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe
Vor den Verwaltungsgerichten häufen sich die Klagen. Das Bundesverfassungsgericht zählte bisher 187 Beschwerden und 53 isolierte Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Wie das Gericht auf Anfrage unserer Redaktion mitteilte, gingen allein zum erst seit diesem Montag geltenden Lockdown vier Verfassungsbeschwerden und zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ein. Gegen diese Klagen wollen sich Spahn und die Länderchefs juristisch immunisieren.
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Kubicki stört sich an der Eile
Es gehe darum, sehr allgemeine Formulierungen zu konkretisieren, sagt SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. In Wahrheit geht es darum, binnen zwölf Tage Grundrechtseinschränkungen besser abzusichern. Parlamentsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) warnt im MDR davor, so ein sensibles Vorhaben „übers Knie zu brechen“.
Richterbund begrüßt Präzisierung
Wenn Richter einzelne staatliche Auflagen außer Kraft setzen, hat das zwei Effekte: Weniger Infektionsschutz und eine uneinheitliche Praxis – je nach Klage und Gerichtsstand. „Durch die jetzige Konkretisierung sind wir auch der Auffassung, dass es zu einer bundeseinheitlicheren Regelung kommt“, betont Mützenich.
Das Vorgehen hat einen weiteren Vorteil, den Mützenich unerwähnt lässt. Mitte des Monats will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den 16 Ministerpräsidenten ein Zwischenfazit des Lockdows ziehen. Kommen sie zum Ergebnis, dass der Lockdown verlängert oder verschärft werden muss, dann hätten Bund und Länder schon ihre juristischen Hausaufgaben gemacht.
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Ein Wink mit dem Zaunpfahl
Sie hätten nebenbei einen Makel ihrer Corona-Politik beseitigt. Denn ein häufiger Vorwurf lautet, die Parlamente seien zu wenig beteiligt gewesen. Das ist mehr als eine Stilfrage, wie Sven Rebehn, Geschäftsführer des Deutschen Richterbundes, in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ klar machte: Grundrechtseingriffe auf der Grundlage eines im Parlament breit diskutierten und beschlossenen Gesetzes haben auch „bessere Aussichten, einer Überprüfung durch die Gerichte standzuhalten“.
Nachdem Oberverwaltungsgerichte angemahnt hatten, Eingriffe stärker per Gesetz und nicht nur Verordnung zu regeln, schrieben Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) am 30. Oktober den Ländern einen Brief. Ein Wink mit dem Zaunpfahl?
Neuer Paragraf mit Schutzmaßnahmen
„Wir glauben, dass sich die Akzeptanz in der Bevölkerung noch erhöhen wird, wenn die tragenden rechtlichen Erwägungen benannt werden“, heißt es in der Argumentationshilfe. Daraufhin ergriff Bayern die Initiative im Bundesrat für eine Präzisierung des Infektionsschutzgesetzes.
Gesundheitsminister Spahn soll nach eigenem Ermessen unter anderem den internationalen und nationalen Reiseverkehr besser kontrollieren können. Wer aus einem Risikogebiet nach Deutschland reisen will, wird zu einer digitalen Einreiseanmeldung verpflichtet. Fortgeführt wird die Regelung, dass Eltern einen Verdienstausfall erhalten, wenn ihr Kind in Quarantäne muss. Lesen Sie auch: Reisen während Corona: Kommt das Ende der Zettelwirtschaft?
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„Präzisiert“ wird auch die Ermächtigung, bei Bedarf Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum zu erlassen, das Abstandsgebot anzuordnen, ferner die Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung oder Verbote und Beschränkungen für Kultur- und Freizeiteinrichtungen.
Hinzu kommen Verbote und Auflagen für Sportveranstaltungen, die Schließung von Schulen und Kitas beziehungsweise Auflagen für ihren Betrieb. Genannt sind überdies Beschränkungen für Übernachtungsangebote, Betriebs- oder Gewerbeuntersagungen, die Schließung von Gastronomie, Einzel- oder Großhandel, Auflagen für Gewerbe, Einzel- und Großhandel, Alkoholverbote auf bestimmten öffentlichen Plätzen oder zu bestimmten Zeiten. Manches gilt längst, manches wurde schon beschlossen (Reiseanmeldung), anderes ist als letztes Mittel gedacht, so etwa die Schließung von Kitas und Schulen.