Berlin. Umweltministerin Svenja Schulze will einen Alleingang bei den Agrarsubventionen – und geht auf Konfrontationskurs zu Julia Klöckner.

Dass die Bundesbürger in der Corona-Pandemie vermehrt mit das eigene Auto statt Bus und Bahn nutzen, kann Bundesumweltministerin Svenja Schulze verstehen. Die Gefahr, dass der Klimaschutz ins Hintertreffen gerät, sieht die SPD-Politiker aber nicht. Beim Thema Atommüll nimmt sie die Bundesländer in die Pflicht.

Neun Monate Corona – wie sieht die Klimabilanz der Pandemie aus, Frau Schulze?

Svenja Schulze: Erste Zahlen zeigen, dass weniger geflogen und gefahren wird, dass der CO2-Ausstoß sinkt. Aber das ist alles nur vorübergehend, das nutzt auf Dauer nichts. So ein Lockdown ist ja kein Zukunftsmodell für den Klimaschutz. Wir brauchen strukturelle Veränderungen: raus aus der Kohle, rein in erneuerbare Energien.

Den Klimawandel könne man „nicht irgendwann einfach wegimpfen“, sagt Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Deshalb habe er vor der Erderwärmung mehr Respekt als vor der Corona-Pandemie. Geht es Ihnen auch so?

Schulze: Naja. Bei der Klimakrise wissen wir ganz genau, was wir tun müssen. Wir haben sozusagen den Impfstoff gegen die Klimaveränderungen schon. Jetzt kommt es darauf an, dass er auch eingesetzt wird. Wie wir uns in Deutschland auf den Weg gemacht haben – Stichwort Klimaschutzgesetz –, muss das auch europäisch passieren.

Was sagen Sie den Bürgern, die in der Pandemie von der Bahn auf das eigene Auto umsteigen?

Schulze: So geht es tatsächlich vielen Menschen im Moment. Sie fühlen sich alleine im Auto einfach sicherer. Wer kann ihnen das bei steigenden Infektionszahlen auch verdenken? Es kommt jetzt schließlich ganz entscheidend darauf an, Kontakte mit anderen so gut es geht zu vermeiden.

Ich selber fahre dennoch selten Auto, für kürzere Wege nehme ich am liebsten das Fahrrad. Aber ich fahre auch häufiger Bahn – und bin fest davon überzeugt, dass ich mit Maske gut geschützt bin. Und für die Zukunft gilt: mehr, bessere, saubere und sichere Busse und Bahnen, in denen man bequem fahren kann.

Was halten Sie von der Idee, der Gastronomie mit Heizpilzen – die mancherorts wegen ihres hohen Energieverbrauchs verboten worden sind – über den Winter zu helfen?

Schulze: Wenn der Einsatz von Heizpilzen ein Weg ist, die Gastronomie nach dem Shutdown wieder zu öffnen und damit ihr langfristiges Überleben zu sichern, dann sollten wir da nicht dogmatisch sein.

Wie groß ist das Risiko, dass der Klimaschutz in der Pandemie – ähnlich wie in der Finanzkrise 2008/09 – ins Hintertreffen gerät?

Schulze: Diesmal ist es uns gelungen, diese Gefahr abzuwenden. Schauen Sie sich allein das Konjunkturpaket an, das wir in Deutschland geschnürt haben. Wir haben 50 Milliarden Euro für Klimaschutz darin verankert. Das ist genau richtig. Die Klimakrise verschwindet nicht mit Corona.

Die Klimaschutz-Aktivistin Greta Thunberg ist wütend – gerade auch auf die EU, die eine Agrarreform auf den Weg gebracht hat. Das neue Subventionsgesetz werde „die ökologische Zerstörung vorantreiben“, schrieb die schwedische Schülerin auf Facebook. Stimmen Sie zu?

Schulze: Die EU-Agrarminister haben sich auf ein Minimum an Klima- und Umweltschutz geeinigt. Hier ist das letzte Wort aber wirklich noch nicht gesprochen. Ich hoffe, dass die EU-Kommission noch Verbesserungen erreichen wird in den weiteren Verhandlungen mit Rat und Parlament. Es muss mehr „Green Deal“ in die europäische Agrarpolitik hinein.

Der Kompromiss ist unter deutscher Ratspräsidentschaft verhandelt worden. Was genau werfen Sie Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor?

Schulze: Ich sage den Agrarministern insgesamt: Das reicht noch nicht für den Einsatz gegen Klimakrise und Artensterben. Aber die europäischen Beschlüsse sind nur die eine Seite der Medaille. Es gibt sehr großen Spielraum bei dem, was wir national tun können, also bei der Umsetzung der Agrarreform in Deutschland. Da müssen wir nächstes Jahr noch wichtige Gesetze beschließen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Schulze: Frau Klöckner hat gesagt, dass es einen Systemwechsel geben muss. Da sind wir einig – und genau den müssen wir dann auch vornehmen. Es reicht nicht, das Minimalniveau in Deutschland umzusetzen. Wir müssen mehr machen, als auf europäischer Ebene vereinbart worden ist. Dabei haben dann übrigens auch die vielen grünen Landesagrarminister die Gelegenheit, ihren Worten konkrete Taten folgen zu lassen.

Ich will, dass die Landwirtinnen und Landwirte fair entlohnt werden für die Leistung, die sie für die Gesellschaft bringen: Wer Natur und Klima schützt, wer sich um das Tierwohl kümmert, muss mehr Geld aus dem europäischen Agrarhaushalt bekommen als diejenigen, die das nicht tun. Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag mit den Landwirten.

Bitte konkret.

Schulze: Es geht um mehr artenreiche Lebensräume und weniger Pestizide. Bei der nationalen Umsetzung sollten wir festlegen, zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Artenvielfalt zu reservieren. Im bisherigen System der Agrarförderung sind es nur fünf Prozent, und es gibt unheimlich viele Schlupflöcher.

Wir brauchen mehr Blühflächen, wo Vögel und Insekten überleben können. Mit dieser Änderung hätten wir schon eine Menge erreicht – übrigens auch für den Klimaschutz. Wenn Böden weniger intensiv landwirtschaftlich genutzt werden, binden sie auch mehr CO2.

Das ändert sich in der EU-Landwirtschaftspolitik

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    Die Grünen fordern einen radikalen Umbau der Agrarförderung – hin zu einer Gemeinwohlprämie, die sich allein daran ausrichtet, welche Leistungen ein Landwirt für Natur- und Klimaschutz erbringt. So weit wollen Sie nicht gehen?

    Schulze: Der Systemwechsel muss kommen. Es ist nicht akzeptabel, Geld einfach nur für die landwirtschaftliche Fläche zu geben und nicht für gesellschaftlich gewünschte Leistungen der Landwirte. Gute Lebensmittel sind wichtig. Aber die Gesellschaft erwartet von der Landwirtschaftspolitik eben auch, dass sie zum Erhalt der biologischen Vielfalt beiträgt.

    Das Insektensterben zeigt, dass es so nicht weitergehen kann. Man kann das meinetwegen Gemeinwohlprämie nennen, was ich schon seit Jahren als Honorierung gesellschaftlicher Leistungen für den Natur-, Umwelt und Klimaschutz bezeichne.

    Ohne Atomkraft sei es praktisch ausgeschlossen, die globalen Klimaziele zu erreichen, hat soeben die Internationale Atomenergiebehörde IAEA festgestellt – und den deutschen „Sonderweg“ kritisiert. Was entgegnen Sie?

    Schulze: Wir brauchen keine Atomkraft, um die Klimaziele zu erreichen. Wir sind uns in Deutschland einig, dass wir auf erneuerbare Energien setzen. Drei Generationen haben die Atomkraft genutzt. Dreißigtausend Generationen werden sich mit den Hinterlassenschaften beschäftigen müssen. Das gilt übrigens auch für Europa: Wir müssen mit unseren Nachbarn intensiver darüber reden, wie ein klimaneutraler Weg auch in anderen Ländern ohne Atomkraft gelingt.

    Bei der Suche nach einem Endlager für hoch radioaktive Abfälle ist Deutschland einen Schritt weitergekommen. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung hat Regionen definiert, die geologisch infrage kommen – doch gibt es Widerstand: Bayern erklärt sich selbst für ungeeignet.

    Schulze: Wir haben uns gemeinsam auf ein strikt wissenschaftliches Verfahren geeinigt. Das Endlager wird an dem sichersten Ort entstehen. Ich rufe alle dazu auf, zu diesem Verfahren zu stehen. Keine Regierung entscheidet politisch, ob ein Gebiet geeignet ist. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen, auch nicht in Bayern. Wir haben eine Verantwortung für den Atommüll, die wir gemeinsam wahrnehmen müssen.

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    Die Bürger sollen mitreden, aber nicht mitentscheiden. Genügt das, um Proteste wie seinerzeit in Gorleben zu verhindern?

    Schulze: Die Beteiligung der Bürger ist ganz entscheidend. Wir müssen in diesem Verfahren transparent darstellen, dass sich aus der Geologie ergibt, warum bestimmte Orte infrage kommen und andere nicht. Nur so wächst Akzeptanz für das Endlager. Wir können die Hinterlassenschaft des Atomzeitalters nicht wegbeamen. Der Müll ist da.

    Kann in dem Endlager auch Atommüll aus anderen europäischen Staaten eingelagert werden?

    Schulze: Nein. Jedes Land muss sich sich selber um seinen Atommüll kümmern. In Deutschland haben wir auch gesetzlich festgeschrieben, dass kein Atommüllexport stattfinden darf. Das finde ich auch vernünftig.

    Warum sucht die EU kein gemeinsames Endlager?

    In Ländern wie Frankreich spielt die Atomkraft eine wesentlich größere Rolle als bei uns. Deswegen muss auch jeder für seinen Müll geradestehen.

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      Ein neuer Castortransport aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield ist auf dem Weg nach Hessen, in das Zwischenlager Biblis. Atomkraftgegner bereiten sich auf die Ankunft vor. Sind solche Transporte in der Pandemie zu verantworten?

      Schulze: Es gab noch deutschen atomaren Abfall aus der Wiederaufarbeitung im englischen Sellafield, zu dem vertraglich vereinbart war, dass wir ihn zurücknehmen. Wir können nicht sagen: Liebe Briten, behaltet mal unseren Müll.

      Auch nicht bis zum Ende der Pandemie?

      Schulze: Wir haben Verantwortung für den Müll, den wir nicht im Ausland liegen lassen können. Aus logistischen und auch aus genehmigungsrechtlichen Gründen kam eine Verschiebung nicht in Betracht. Natürlich müssen Hygienekonzepte gelten für die Polizisten, die den Transport schützen.

      Außerdem sind Castor-Proteste heute nicht mit denen von früher vergleichbar: Früher ging es um die große Frage, ob man für oder gegen Atomkraft ist. Heute dient ein solcher Transport nur noch der Abwicklung eines Atomzeitalters, das bei uns zum Glück schon kurz vor dem Ende steht.

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