Berlin. Taucht ein neuer Corona-Hotspot auf, läuft die Suche nach der Schuld. Waren es Grenz- oder Partygänger? Fragen, die nicht weiterhelfen.
Vor ein paar Wochen, als die Corona-Entwicklung noch nicht ganz so dynamisch war, hagelte es Eilmeldungen aus dem beschaulichen Garmisch-Patenkirchen: Eine junge US-Amerikanerin soll mit ihren Corona-Symptomen und positivem Test heftig feiernd von Kneipe zu Kneipe gezogen sein und so als „Superspreader“ der Stadt am Fuß der Zugspitze einen massiven Ausbruch beschert haben.
Doch nach Massentests und genaueren Analysen der Neuinfektionen in der Stadt konnte kein Zusammenhang mit dem Verhalten der jungen Frau gefunden werden.
Corona: Wie eine 26-jährige Frau in Garmisch unter Verdacht geriet
Anderer Fall: Im Sommer kam es in Göttingen zu einem Corona-Ausbruch in einem Hochhauskomplex. Schnell war von einer Großfamilie mit Migrationshintergrund die Rede, die über mehrere private Feiern das Virus weitergereicht haben soll. Die Stadt sprach von Treffen in einer Shisha-Bar. Erhärten ließen sich die Vorwürfe nicht, die Beweislage blieb dünn.
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Und beim Tönnies-Ausbruch standen schnell rumänische und bulgarische Leiharbeiter unter Verdacht, das Virus vom Besuch in der Heimat eingeschleppt zu haben – auch hier fehlten belastbare Belege.
Nun das bayerische Rottal-Inn an der österreichischen Grenze; der aktuelle Super-Hotspot mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 260 Infektionen auf 100.000 Einwohner, seit Dienstag im Lockdown. Die Grenzgänger sind’s, rufen die bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml und Landrat Michael Fahmüller. Beweise? Fehlanzeige.
Corona-Ausbruch: Schuld sind immer die anderen
Fällt was auf? Klar, es sind irgendwie immer die anderen, die Fremden, die schuld sein sollen an neuen Ausbrüchen. Diejenigen, die nicht in das Raster des gesitteten deutschen Mittelstandes passen. Einer sachlichen Überprüfung halten diese diffusen Verdächtigungen selten stand. Bestes Beispiel ist dafür auch die Jugend, die für die dramatischen Zuwächse in den vergangenen zwei Wochen den Kopf hinhält.
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So müssen sich Teenager und junge Erwachsene von der etablierten Politik anhören, sie sollten sich zusammenreißen und ihren Beitrag leisten – doch wer sagt eigentlich, dass junge Menschen mehr illegale Partys feiern und öfter das Abstandsgebot und Maskenpflicht missachten als, sagen wir, die Elterngeneration?
Die Corona-Disziplin ist in Deutschland groß
Tatsache ist: In einer freien, weltoffenen und multikulturellen Gesellschaft, die schließlich Deutschland ausmacht, gibt es viele Gelegenheiten, sich anzustecken. Dennoch ist Deutschland bislang relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen. Das ist sicher zu einem großen Teil der Disziplin der Menschen im Land zu verdanken – und damit jedem Einzelnen.
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Doch Deutschland ist keine unbefleckte Insel inmitten einer unkontrollierten Pandemie. Letztlich kann sich niemand völlig entziehen, selbst wenn er oder sie im Homeoffice arbeitet und auf Reisen, Feiern und Kultur verzichtet. Aber das Risiko lässt sich mit Vernunft deutlich reduzieren.
Die Suche nach der Schuld vergiftet das Klima
Pauschale Schuldzuweisungen etwa, die auch die tschechische Mutter treffen, die zum Arbeiten nach Deutschland pendelt, vergiften das Klima – wie auch das Raunen hinter vorgehaltener Hand über vermeintlich Corona fördernde Verhaltensweisen von Migranten aus dem osteuropäischen Raum.
Wer immer nur auf der Suche nach Schuldigen ist, wer immer nur mit dem Finger auf andere zeigt, gerät schnell in eine Art Hexenjagd, die viel zu häufig die Falschen trifft. Das gefährdet nicht nur die friedliche Nachbarschaft zwischen Ländern, Landkreisen, Städten und jedem Einzelnen. Es bringt auch nichts. Im Kampf gegen die Pandemie ist der kritische Blick auf sich selbst wohl der beste – und effektivste – Schutz.
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