Washington/Nashville. Im US-Wahlkampf verlief die letzte TV-Debatte der Kandidaten zivilisierter. Aber Donald Trump konnte Biden keinen Schlag versetzen.
Die Erleichterung über das Ausbleiben eines abermals destruktiven Schrei-Duells zwischen Donald Trump und Joe Biden ist registriert. Ebenso die Anerkennung für eine Moderatorin, Kristen Welker, die unter hohem Druck eine souveräne Vorstellung als „Dompteurin” der beiden Präsidentschaftskandidaten ablieferte.
Ab Montag, dann sind es noch neun Tage bis zur Wahl, die rund 50 Millionen Amerikaner per Briefwahl oder vorgezogene Stimmabgabe bereits absolviert haben, werden Umfragen Auskunft darüber geben, ob die Fernseh-Debatte die diesmal verschwindend kleine Gruppe von unentschlossenen Wählern (unter 5 %) bewegen konnte; und wenn ja, in welche Richtung. Der Ticker zum Nachlesen: Trump gegen Biden – So lief die TV-Debatte
Für Donald Trump ist die Antwort existenziell. Er liegt in fast allen seriösen Umfragen teils deutlich hinter Biden, dem Buchmacher die größeren Chancen auf einen Wahlsieg einräumen. Nach ersten Schnell-Analysen hat der Amtsinhaber seinem Rivalen keinen Schlag versetzen können, der das Rennen noch auf den Kopf stellen könnte. Im Gegenteil. Viele Beobachter sehen Biden als Punktsieger, der seine Position im Kampf ums Weiße Haus weiter festigen konnte. Aus drei Gründen:
Donald Trump gehen die Giftpfeile gegen Joe Biden aus
Seit über einem Jahr strickt Trump an der Erzählung, sein vier Jahre altes Gegenüber sei ein Fall für die Geriartrie. „Er weiß gar nicht, dass er lebt”, sagte Trump dutzendfach auf seinen Kundgebungen, um Biden als früh-dement zu porträtieren. Bei beiden TV-Debatten hat der 77-Jährige abseits einiger Wortfindungsstörungen das Gegenteil bewiesen. Auch das Bemühen, den seit fast 50 Jahren moderat in der Mitte verorteten Ex-Senator als „Trojanisches Pferd” für den linken Flügel der Demokraten und als radikalen Sozialisten zu skizzieren, hat nicht funktioniert.
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Bidens Programmatik von der Gesundheitspolitik bis zum Thema Energie/Fracking verheißt etwas anderes. Bleibt noch die seit Wochen immer stärker zutage getretene Absicht, Biden als „korrupten” Politiker zu brandmarken, der seiner Familie zum Wohlstand verhalf, indem er etwa seinem Sohn Hunter zugestanden haben soll, mit dem Familien-Namen in Russland, der Ukraine und China millionenschwer Kasse zu machen. Alle Ansätze – via Trump-freundliche Medien oder in letzter Minute aufgebotene Zeugen - einen Skandal vom Zaun zu brechen, sind bisher gescheitert.
In der Debatte brachte Trump pauschale, teils kryptische Vorwürfe, die allenfalls regelmäßige Fox News-Konsumenten halbwegs nachvollziehen konnten. Der Konter von Biden, dem in der Bevölkerung entschieden mehr Glaubwürdigkeit bescheinigt wird als Trump, war unmissverständlich: „In meinem ganzen Leben habe ich nicht einen Penny von einer ausländischen Quelle angenommen.“ Biden drehte den Spieß um: Warum hat Donald Trump ein Konto bei einer chinesischen Bank? „Geben Sie Ihre Steuererklärungen frei“, blaffte er den Präsidenten an, „oder hören Sie auf, über Korruption zu reden.“ Lesen Sie hier: Wahlkampf nach Corona – Trump verspricht Kuss für jeden
Trump lebt in einer anderen Corona-Wirklichkeit
Amerika hat am Donnerstag einen traurigen Rekord gebrochen. Zum ersten Mal seit Juli wurden an einem Tag mehr als 73.000 Virus-Infektionen gemeldet. In diesem Nachrichten-Umfeld bescheinigt sich Trump erneut non-chalant, bei der Bewältigung der Krise, an der allein China die Schuld trage, nicht er, einen „tollen Job” gemacht zu habe. Ohnehin sei die Pandemie bald überwunden, das Virus werde verschwinden und vorher durch wirksame Impfstoffe bekämpfbar sein, die noch in diesem Jahr zur Verfügung stünden. Amerika müsse lernen, „mit dem Virus zu leben”.
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Er hingegen sei nach überstandener Erkrankung und First-Class-Behandlung „immun”. Leben? In einer Zeit, in der alle 24 Stunden über 1000 Amerikaner Covid-19 erliegen? Joe Biden ging der Hut hoch: „Die Menschen lernen, damit zu sterben!”, sagte er. Trump trage Mitverantwortung für den weltweit beispiellos hohen Verlust von über 220 000 Toten. Amerika drohe ein „dunkler Winter”, zumal Impfstoffe nach Einschätzung von Trumps eigenen Epidemie-Experten nicht vor Mitte 2021 für breite Bevölkerungsschichten zur Verfügung stehen werden. Bidens Fazit hallt nach: „Jeder, der für so viele Tote verantwortlich ist, sollte nicht Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika bleiben.” Lesen Sie hier: Obama greift Trump aggressiv an: „Unfähig“
Trump hat kein Programm für eine zweite Amtszeit
Wie will Trump die durch Corona zerrüttete Wirtschaft, in der immer noch über zwölf Millionen Amerikaner arbeitslos sind und zuletzt acht Millionen in die Armut abrutschten, abseits von ersten Höhenflügen der Börsen wieder aufbauen? Wann kommt ein „brandneuer, wunderschöner” Ersatz (O-Ton-Trump) für die von ihm zerschossene Krankenversicherung „Obamacare” seines Vorgängers, die vor allem die Belange von Menschen mit kostenträchtigen Vorerkrankungen berücksichtigt?
An keine Stelle des Wahlkampfes hat Trump bisher nachvollziehbar aufgezeigt, wie eine Fortsetzung seiner Präsidentschaft aussehen würde. Das Programm bin ich, ist seine Botschaft. Mehr als die Hälfte der Amerikaner will die „Sendung mit dem Trump“ nach beständigen Umfragen zu urteilen nicht mehr sehen.
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