Berlin. Marxistin Janine Wissler und Reformerin Susanne Hennig-Wellsow kandidieren für den Vorsitz der Linken. Wohin steuern sie die Partei?

Wenn in der Linken Führungsfragen zu klären sind, bleibt eines meist nicht aus: Streit. Umso erstaunlicher ist es, wie ruhig es derzeit unter den Genossen zugeht. Die bisherigen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger haben nach achtjähriger Amtszeit angekündigt, auf dem Parteitag Ende Oktober nicht erneut zu kandidieren. Seither stellt sich die Frage, wer die Nachfolge antritt.

Klar ist, dass es wieder eine Doppelspitze wird. Und wie es aussieht, könnten erstmals zwei Frauen an die Spitze der Partei rücken: die Chefin der Linken-Fraktion im hessischen Landtag, Janine Wissler, und ihre Amtskollegin aus Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow. Beide Genossinnen haben unlängst ihre Kandidaturen angekündigt. Vernehmbaren Widerspruch aus den eigenen Reihen gibt es nicht. Die Chancen des Ost-West-Tandems stehen offenbar gut.

Da ist zum einen Hennig-Wellsow. Sie gilt als tragende Säule der einzigen Linken-geführten Regierung der Repu­blik unter Ministerpräsident Bodo Ramelow. Am 5. Februar dieses Jahres wurde die 42-Jährige wortwörtlich mit einem Schlag bundesweit bekannt: Sie knallte dem von AfD, CDU und Liberalen überraschend gewählten Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) mit Todesverachtung einen Blumenstrauß vor die Füße. Der Eklat schlug überregional Wellen. Kemmerich verzichtete später auf das Amt, Ramelow wurde erneut Regierungschef.

Susanne Hennig-Wellsow gilt als nüchterne Realpolitikerin

Susanne Hennig-Wellsow wirft Thomas Kemmerich nach der Wahl in Thüringen die Blumen vor die Füße.
Susanne Hennig-Wellsow wirft Thomas Kemmerich nach der Wahl in Thüringen die Blumen vor die Füße. © ddp images/Marcus Scheidel | MARCUS SCHEIDEL

Die studierte Diplompädagogin führt die Fraktion seit 2014 und gilt als nüchterne Realpolitikerin, selbst wenn sie in Thesen- und Strategiepapieren den Sozialismus beschwört. In Bezug auf eine mögliche Koalition mit Grünen und SPD auf Bundesebene ist Hennig-Wellsow offen, stellt aber Bedingungen. Ihre Partei verweigere sich nicht grundsätzlich UN-Blauhelmeinsätzen ohne Kampfauftrag, „aber Rüstungsexporte lehnen wir ab und Kampfeinsätzen der Bundeswehr werden wir nicht zustimmen“.

Auch was einen Regierungschef Olaf Scholz (SPD) im Falle von Rot-Rot-Grün anbelangt, legt sich Hennig-Wellsow nicht fest. „Das weiß man jetzt nicht“, antwortet sie auf die Frage, ob Scholz der richtige Kanzler wäre. Andere in der Linken hätten an dieser Stelle längst abgewunken.

Geboren wurde Hennig-Wellsow 1977 in Demmin in Mecklenburg-Vorpommern, seit 1982 lebt die Linke-Politikerin in Erfurt. Ihre Mutter war Standesbeamtin, der Vater leitender Polizist bei der Kripo in Erfurt. Beide Eltern waren in der SED und blieben später Anhänger von PDS und Linkspartei. Einen Großteil ihrer Kindheit und Jugend verbrachte Hennig-Wellsow in der Eishalle und arbeitete sich nach der Wende bis in den nationalen Eisschnelllaufkader hoch. Doch es reichte nicht, um bei internationalen Wettkämpfen ganze vorn mitzulaufen.

Hennig-Wellsow erfährt überwiegend positives Echo

So begann sie nach dem Studium, ihre politische Karriere aufzubauen, erst als Mitarbeiterin in der PDS-Landtagsfraktion, ab 2004 dann als Abgeordnete. Mit ihrem sechsjährigen Sohn und ihrem Mann, dessen Nachnamen sie nach der Heirat hinzunahm, führt die Genossin ein bürgerliches Leben im komfortablen Südviertel Erfurts. Auch der Bundesparteitag der Linken, auf dem Hennig-Wellsow antritt, findet in Erfurt statt. Wenn es läuft wie erwartet, könnte es ein erfolgreiches Heimspiel werden.

Durch die ersten Reaktionen sieht sich Hennig-Wellsow ermutigt. „Es gab überwiegend ein positives Echo, in der Partei, aber auch in der Öffentlichkeit“, sagt sie unserer Redaktion. Mit den wenigen negativen Reaktionen könne sie gut umgehen, „ich habe schon immer polarisiert“.

Das gilt wohl noch mehr für die drei Jahre jüngere Mitbewerberin Janine Wissler aus Hessen. Die 39-jährige stellvertretende Bundesvorsitzende wird dem weit linken Lager innerhalb der Partei zugeordnet. Kritiker nennen sie gar eine Radikale. Erst vor wenigen Tagen hat Wissler bekannt gegeben, ihre Mitgliedschaft im Unterstützerkreis des Netzwerks „Marx21“ sowie bei der Sozialistischen Linken und der „Bewegungslinken“ aufzugeben. Die ersten beiden Gruppierungen werden im Verfassungsschutzbericht erwähnt. „Marx21“ etwa ziele auf die „Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung“ und lehnt Regierungsbeteiligungen ab.

Wissler betont, ihr Schritt sei keine Aufgabe von Positionen, sondern eine klare Trennung. Wenn man für den Bundesparteivorsitz kandidiere, könne man nicht gleichzeitig in innerparteilichen Strömungen sein. „Mein Anspruch ist, ich möchte für die Partei Die Linke sprechen und nichts anderes.“

Janine Wissler ist seit 2009 Linke-Fraktionschefin in Hessen

Janine Wissler verteilt den „Linksruck“ beim Protest 2001 in Frankfurt gegen den Krieg in Afghanistan.
Janine Wissler verteilt den „Linksruck“ beim Protest 2001 in Frankfurt gegen den Krieg in Afghanistan. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content

Dennoch zeigt sich Wissler im politischen Alltagsgeschäft mitunter auch weniger dogmatisch. Die Linke sei im Bund zum Regierungswechsel bereit, „wenn er mit Politikwechsel einhergeht“, sagte Wissler vor Kurzem. Als Voraussetzungen nennt sie eher Punkte, die nicht sonderlich radikal anmuten: mehr soziale Gerechtigkeit, wirksamen Klimaschutz, eine gerechtere Teilung von Reichtum sowie eine friedliche Außenpolitik und ein Ende der Bundeswehreinsätze. Da müsse man „am Ende schauen, ob man dafür Partner findet“.

Die unverheiratete Wissler stammt aus Dreieich im Landkreis Offenbach und studierte in Frankfurt am Main Politikwissenschaft. Während dieser Jahre jobbte sie in einem Baumarkt und engagierte sich ab 2004 in der Hartz-IV-kritischen Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG).

2008 gelang der Linken und auch Wissler zum ersten Mal der Sprung in den hessischen Landtag. Dort ist sie seit 2009 Fraktionschefin und wird selbst von politischen Gegnern wegen ihrer Scharfzüngigkeit respektiert. In einer Landtagsdebatte vor einigen Monaten etwa nahm Wissler die AfD wegen eines Rechtschreibfehlers in einem Antrag aufs Korn: „Fürsorge schreibt man nicht mit h. Mit Sorgen um den Führer hat das nämlich nichts zu tun.“ Der Plenarsaal johlte, die Szene ging durch die sozialen Medien.

Zugleich ist Wissler eine der prominenten Empfängerinnen von rechtsex­tremistischen Drohschreiben, die mit dem Kürzel „NSU 2.0“ unterzeichnet sind und im Sommer verschickt wurden. Einschüchtern oder gar von ihrem Ziel abbringen lässt sich Wissler davon nicht. Sie könne sich „sehr gut vorstellen“, mit Hennig-Wellsow als weibliche Doppelspitze die Linke anzuführen.