Berlin. Moria ist zerstört – mehr als 12.000 Migranten sind über Nacht obdachlos. Eine deutsche Krankenpflegerin erzählt von der Lage vor Ort.
Das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ist nach dem Ausbruch mehrerer Brände in der Nacht zum Mittwoch fast vollständig abgebrannt. Noch in der Nacht begannen die Behörden mit der Evakuierung des Lagers. Mehr als 12.000 Menschen flohen in Panik. Es gebe keine Verletzten, aber mehrere Menschen mit leichten Rauchvergiftungen. Die griechische Regierung verkündete am Mittwochmorgen den Ausnahmezustand auf Lesbos.
Die Krankenpflegerin Christine Schmitz unterstützt seit Anfang August ein Team von Medical Volunteers International (MTI) auf Lesbos. Der Verein setzt medizinische Fachkräfte für eine begrenzte Zeit ehrenamtlich in Krisengebieten ein – auch im Flüchtlingscamp Moria. Wir haben mit der Berlinerin darüber gesprochen, wie sie die derzeitige Situation auf Lesbos erlebt.
Brand im Flüchtlingscamp Moria: Eine Krankenpflegerin berichtet
Christine Schmitz: „Ich bin seit dem 4. August auf Lesbos und unterstütze dort das Team von MTI in der hausärztlichen Versorgung und Wundversorgung. Die meisten Menschen haben Krätze, die furchtbar infiziert ist, weil es nicht genügend Wasser und Seife zum Waschen gibt.
Wir hatten am 2. September den ersten Corona-Fall, dann gestern, am 8. September, 35 bestätigte Infektionen. Es gab Massentests, und wie überall bringt die Pandemie viel Angst mit sich und das mag sicherlich zur Anspannung und Eskalation im Lager beigetragen haben.
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Wir schlafen nachts in unserem Haus in Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, und waren somit nicht im Lager. Allerdings sind wir in der Nacht informiert worden von den internationalen Kollegen und Dolmetschern, dass es brennt. Laut ihnen haben die Brände immer weiter zugenommen. Ab einem bestimmten Moment gab es vier verschiedene Stellen, an denen es gebrannt hat.
Das Lager ist quasi komplett abgebrannt – es steht fast kein Zelt mehr
Das Lager ist jetzt abgeriegelt. Wir sind bislang noch nicht wieder dort gewesen. Das was wir gehört haben, ist, dass nur noch ganz wenige Menschen dort sind. Das Lager ist quasi komplett abgebrannt. Es steht fast kein Zelt mehr. Das Camp war vorher total überfüllt, die Zelte standen eng beieinander. Es war sehr heiß und hat sehr lange nicht mehr geregnet – man kann sich also vorstellen, wie schnell sich so ein Feuer ausbreiten kann.
Wir konnten in der Situation nicht viel machen. Und auch bis jetzt ist alles sehr angespannt und unübersichtlich hier. Es ist völlig unklar, wohin all die Menschen geflohen sind. Und vor allem: Es gibt über 700 unbegleitete Minderjährige. Wir machen uns große Sorgen: Wo sind sie? Was machen sie? Wo werden die heute Nacht schlafen?
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Die Menschen müssen in europäischen Ländern aufgenommen werden
Uns haben schon einige Menschen um Decken gebeten, weil sie befürchten, dass sie nun draußen schlafen müssen. Und uns fehlen leider Informationen von den griechischen Behörden, was jetzt getan wird. Ganz kurzfristig braucht es Wasser, Lebensmittel, medizinische Versorgung und Schutz – vor allem für die alleinreisenden Frauen, die ja oft schon auf der Flucht und manchmal im Lager nachts auf dem Weg zur Toilette vergewaltigt wurden.
Und wenn man sich das mal vorstellt: Ein Mensch hat das Trauma aus dem Herkunftsland – denn man flieht ja nicht freiwillig –, dann die Flucht, das Leben in Moria, die Pandemie – und jetzt auch noch diese Katastrophe!
Meine Befürchtung ist, dass weiterhin nichts geschieht und Europa sich nicht kümmert. Aber die Menschen müssen aufgenommen werden in europäischen Ländern, in denen es mehr Platz und bessere medizinische Versorgung gibt – auch für die Corona-Infizierten. Am besten wäre es, wenn Herr Seehofer und Deutschland die Vorreiterrolle übernehmen würden. Zivilcourage wird von der Bevölkerung, von ihnen und mir gefordert, jetzt ist es an ihm, dass er Zivilcourage zeigt und das C in seinem Parteinamen neu entdeckt.”