Berlin. Im Erdgasstreit zwischen Ankara und Athen kommt es zur Kollision von verschiedenen Rechtsansprüchen. Kann ein Krieg verhindert werden?

Seit der Entdeckung reicher Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer gibt es heftigen Streit um deren Ausbeutung zwischen Ankara und Athen. Die Beziehung der beiden Nato-Mitglieder ist extrem angespannt. Doch worum genau geht es bei dem Streit und wer hat Recht? Wie könnte eine Lösung aussehen?

Worum dreht sich der Streit?

Es geht um die Abgrenzung der Hoheits- und Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer. Unter dem Meeresboden werden Erdgasvorkommen vermutet. Das türkische Forschungsschiff „Oruc Reis“ sucht bereits seit August vor den griechischen Inseln Rhodos und Kostelorizo nach Erdgas.

Griechenland protestiert gegen das Vorgehen Ankaras. Die Regierung in Athen beruft sich auf das internationale Seerecht. Rechtsgrundlage hierfür ist das Seerechtsübereinkommen der UN, das 1994 in Kraft trat.

Die von 168 Staaten unterzeichnete Konvention legt fest, dass jedem Küstenstaat ausgehend von den Küstenlinien ein Gebiet von zwölf Seemeilen (rund 22 Kilometer) zusteht. Dieses ist Teil des Staatsgebiets und wird als Hoheitsgewässer oder auch Küstenmeer bezeichnet. Ausländische Schiffe dürfen passieren, bewaffneten Schiffen kann aber die Durchfahrt verweigert werden. Andere Staaten haben in diesem Gebiet keine Fischereirechte und dürfen ohne ausdrückliche Erlaubnis auch nicht nach Rohstoffen suchen. Hier gilt die Rechtsprechung des jeweiligen Staats.

Griechenland beansprucht unter Berufung auf die UN-Seerechtskonvention für jede seiner Inseln eine Ausschließliche Wirtschaftszone. Nach dieser Konvention kann ein Staat bis zu einer Ausdehnung von 200 Seemeilen (370 Kilometer) vor seinen Küsten allein über die natürlichen Ressourcen verfügen. Griechenland verfügt über mehr als 3000 Inseln. Einige davon liegen nur wenige Kilometer vor der türkischen Küste. Im Fall von Kostelorizo sind es etwa nur drei Kilometer.

Um diese Region im Mittelmeer dreht sich der Streit.
Um diese Region im Mittelmeer dreht sich der Streit. © dpa | dpa-infografik GmbH

Wenn Athen rigoros auf die Umsetzung der UN-Konvention für seine Inseln pocht, hieße das, dass für Ankara kaum Gewässer für die Rohstoffförderung übrig blieben – und dies, obwohl die Türkei über die längste Küstenlinie im Mittelmeer verfügt.

Allerdings könnte auch die Türkei theoretisch eine Ausschließliche Wirtschaftszone geltend machen. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen hat jeder Küstenstaat Anspruch auf mindestens 200 Seemeilen (370 Kilometer) Festlandsockel – dieser bezeichnet die natürliche Verlängerung des Festlandes auf dem Meeresgrund.

Hier hat der Staat das hoheitliche Recht zur wirtschaftlichen Nutzung der Bodenressourcen. Das Problem: Die Türkei hat das UN-Seerechtsübereinkommen nicht unterschrieben. Nach ihrer Auffassung haben die griechischen Inseln überhaupt keine eigene Wirtschaftszone.

Kann es im östlichen Mittelmeer zum Krieg kommen?

Der Erdgasstreit zwischen der Türkei und Griechenland hat sich in den vergangenen Monaten hochgeschaukelt. Beide Länder haben Kriegsschiffe in die Ägäis entsandt. Im August kam es zu einer Kollision zwischen einer griechischen und einer türkischen Fregatte.

Auch die Marine Frankreichs, das sich voll auf die Seite des EU-Mitglieds Griechenland gestellt hat, ist mit Schiffen in der Region präsent. Zudem verlegt Ankara nach türkischen Medienberichten starke Panzerbände aus dem Südosten des Landes an die Grenze zu Griechenland.

Der Krieg der Worte ist bereits in vollem Gange. Die türkische Regierung spricht unverhohlen von der Gefahr eines „Kriegs“, sollte Griechenland nicht nachgeben. Man werde die Griechen „begraben“ und „ins Meer werfen“, wenn sie sich mit der Türkei anlegten, drohte Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Athen wirft Ankara wiederum „Größenwahn“ und „Wichtigtuerei“ vor. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) warnt vor einem „Spiel mit dem Feuer“. Jeder noch so kleine Zündfunke könne „zur Katastrophe“ führen.

Recep Tayyip Erdogan zeigt sich im Erdgasstreit mit Griechenland unnachgiebig.
Recep Tayyip Erdogan zeigt sich im Erdgasstreit mit Griechenland unnachgiebig. © dpa | --

Können Nato oder EU in den Konflikt hineingezogen werden?

Sowohl die Türkei als auch Griechenland gehören der Nato an. Aber eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen zwei Mitgliedern des Militärbündnisses ist im Nato-Vertrag nicht vorgesehen. Am wahrscheinlichsten ist es, dass sich die meisten Staaten der Allianz im Kriegsfall in vornehmer Zurückhaltung üben würden und neutral blieben.

Allerdings enthält der EU-Vertrag in Art. 42 Abs. 7 eine eigene Beistandsklausel. Diese ist mit einer stärkeren Verpflichtung ausgestaltet als ihr Gegenstück in Art. 5 des Nato-Vertrages. Sollte die Türkei zuerst angreifen, wären die Mitglieder der EU verpflichtet, Griechenland beizustehen, unabhängig von Nato-Mitgliedschaften.

Welcher Staat ist im Recht?

Diese Frage kann man nicht eindeutig beantworten. Nach dem UN-Seerechtsübereinkommen können sowohl Staaten als auch Inseln einen Festlandsockel und eine Ausschließliche Wirtschaftszone beanspruchen – und damit die vorhandenen Rohstoffe. Die EU unterstützt die griechische Position.

Die Türkei beruft sich hingegen auf die Genfer Konvention über den Festlandsockel von 1958: Dieser gewährt das Recht zur wirtschaftlichen Nutzung des Meeresbodens über eine Strecke von 200 Seemeilen (370 Kilometer), gemessen ab der Küstenlinie. Es kommt also zu einer Kollision von verschiedenen Rechtsansprüchen.

Ankara beruft sich auf den nach dem Ersten Weltkrieg 1923 geschlossenen Lausanner Vertrag. In diesem Friedensvertrag wurde die Grenze im Meer auf der Mittellinie zwischen dem griechischen und dem türkischen Festland gezogen. Demnach sind die östlich liegenden griechischen Inseln Enklaven im türkischen Teil der Ägäis.

Wie ist die Position der Bundesregierung?

Die Bundesregierung vermeidet eine eindeutige Parteinahme und will eine Konfrontation verhindern. „Wir müssen über die strategische Bedeutung der Türkei nachdenken“, sagt ein hochrangiges Mitglied der großen Koalition.

Dabei geht es nicht nur um den 2016 vereinbarten Flüchtlings-Deal zwischen Brüssel und Ankara. Erwähnt wird auch die Rolle Erdogans bei den Konflikten in Libyen und in Syrien oder beim Atomstreit mit dem Iran.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat mehrmals versucht, in Telefonaten mit Erdogan und dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis die Wogen zu glätten. Die Kanzlerin bremst Forderungen, die Sanktionen gegen die Türkei drastisch zu verschärfen.

Maas fordert in Gasstreit mit Türkei Stopp von Militärmanövern im Mittelmeer

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    Wie könnte eine Lösung aussehen?

    Nach Einschätzung von Experten muss eine kriegerische Konfrontation in jedem Fall vermieden werden. Hinzu kommt, dass die Erdgasförderung zu teuer wäre und in Zeiten des Klimawandels nicht mehr richtig in die Landschaft passt.

    „Es besteht keine Mangelsituation auf dem Energiemarkt“, sagt Kirsten Westphal von der Berliner Denkfabrik Stiftung Wissenschaft und Politik. „Es wäre billiger, Erdgas einzukaufen, als die zyprischen Gasfelder zu erschließen.“

    Darüber hinaus gibt es im Völkerrecht auch ein Gewohnheitsrecht. So verweist die Präambel des UN-Seerechtsübereinkommens auf das Grundprinzip der „Gerechtigkeit“ und „Gleichberechtigung“. Im Fall eines Streits müssen demnach die Interessen aller beteiligten Staaten berücksichtigt werden.

    So lässt es das Seerecht zu, das sich Nachbarländer ungeachtet der 200-Seemeilen-Regelung auf eine Abgrenzung ihrer Wirtschaftszonen einigen. Frankreich und Großbritannien ist es nach vielen Jahren gelungen, bei den Wirtschaftszonen in den britischen Kanalinseln einen Kompromiss zu finden.

    Einen ähnlichen Weg könnten die Türkei und Griechenland ansteuern. Auch ein Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag oder des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg ist denkbar.