Berlin. In der Bundeswehr kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen auf Soldatinnen – im vergangenen Jahr es gab 345 Verdachtsfälle.

In der Bundeswehr ist es im vergangenen Jahr zu mehr Verdachtsfällen auf sexuellen Übergriffe gekommen. Das zeigen neue Zahlen, welche die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, jetzt bekannt gegeben hat. Demnach waren es im vergangenen Jahr 345 gemeldete Fälle, 2014 seien noch 64 gewesen, sagte Högl der Nachrichtenagentur dpa.

In diesem Jahr zeichnet sich laut Högl indes ein Rückgang ab – bisher seien es 131 gemeldete Fälle. Högl sieht in der Pandemie eine mögliche Erklärung dafür. Die geringeren Zahlen könnte „coronabedingt sein: vermehrtes Homeoffice, keine Feiern mit Alkohol“.

Generell beobachtet Högl in der Bundeswehr inzwischen in vielen Bereichen einen sensibleren Umgang mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung. „Heute werden solche Vorkommnisse grundsätzlich gemeldet, auch dürfte die Anzeigenbereitschaft der Betroffenen höher sein“, konstatierte die Wehrbeauftragte. Das bedeutet, dass weniger Vorfälle im Dunkeln bleiben. Lesen Sie auch: Wie rechtsextreme Soldaten die Bundeswehr unterwandern

Sexuelle Übergriffe in der Bundeswehr – begünstigt durch männlich geprägte Strukturen?

Es sei festzustellen, so Högl, dass die Bundeswehr keine Form der sexuellen Belästigung, wenn sie bekannt werde, toleriere und solchen Vorwürfen „ernsthaft und gründlich“ nachgehe. Nicht in allen Fällen bestätige sich der Verdacht.

Dennoch stellt sich die Frage: Gibt es in der lange Zeit männlich dominierten Bundeswehr Strukturen, die solche Übergriffe womöglich begünstigen? Die Wehrbeauftragte sieht das nicht. „Feststellen kann man lediglich, dass es bei erhöhtem Alkoholkonsum – wie auch im Rest der Gesellschaft – zu vermehrten sexuellen Belästigungen kommt“, sagt Högl. Auch interessant: Bundeswehr: Sind deutsche Soldaten dick, doof und schwach?

Außerdem würden „viele Taten in oder nach einer Beziehung verübt“. Konkrete Studien hierzu gebe es zwar nicht. Sie gehe aber davon aus, dass es bei der Bundeswehr nicht häufiger als im Rest der Gesellschaft zu solchen Übergriffen komme. Vermutlich sogar seltener.

Prozess: Hauptfeldwebel wird Vergewaltigung und sexuelle Nötigung vorgeworfen

Die Wehrbeauftragte ist eine Art „Anwältin der Soldaten“. Sie ist von der Regierung unabhängig und wird vom Bundestag eingesetzt. Kern ihrer Aufgabe ist es, über die Wahrung der Grundrechte von Soldatinnen und Soldaten auch durch Vorgesetzte zu wachen. Lesen Sie auch: Bundeswehr: Deutsche wollen die Wehrpflicht zurück

Ein besonders Aufsehen erregender Fall aus der Bundeswehr, in dem Grundrechte mutmaßlich verletzt wurden, wird seit Donnerstag in Thüringen vor dem Amtsgericht Gera verhandelt. Es stehen schwere Vorwürfe im Raum. Wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und „der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen“ muss sich ein 45 Jahre alter Hauptfeldwebel verantworten.

Der Ausbilder und Vorgesetzte soll gegenüber zwei Soldatinnen sexuell übergriffig geworden sein. Einer Soldatin soll er mit der Veröffentlichung von Nacktbildern gedroht und sie so zu Sex gezwungen haben. Zu den Vorfällen soll es in einem Panzerpionierbataillon gekommen sein. Für den Prozess sind bislang drei weitere Verhandlungstermine bis Mitte September geplant. Auch interessant: Elitesoldat der KSK als Islamist enttarnt und entlassen