Berlin. Corona-Pandemie: Linke-Chefin Katja Kipping will Familien zusammenbringen – und verteidigt ihre Forderung nach einer Vermögensabgabe.

Hinter Katja Kipping hängen Bilder von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht an der Wand. Die sozialis­tischen Ikonen inspirieren die Linke-Chefin in der Corona-Pandemie ganz besonders, wie sich im Interview mit unserer Redaktion zeigt.

Der Staat steigt bei der Lufthansa ein, nimmt Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe auf – das Drehbuch des Krisenmanagements könnte von der Linkspartei stammen. Fühlen Sie sich als Siegerin?

Katja Kipping: Die alte Gewissheit, dass der Markt schon alles regelt, verdampft vor unser aller Augen. Das ist ein Erkenntnisfortschritt. Trotzdem stellt die Regierung die Weichen in die falsche Richtung. Unser Anliegen war nie, dass man bedingungslos Staatsknete an Großkonzerne wie die Lufthansa gibt. Die einfachste Bedingung ist, dass man auf Boni und Gewinnausschüttung verzichtet. Aber es muss auch Sozialauflagen geben. Dass bei der Lufthansa jetzt 22.000 Stellen gekürzt werden sollen, ist inakzeptabel.

Finden Sie den Weg zurück in die Normalität?

Kipping: Was heißt Normalität? Schon vor der Pandemie basierte unser Wirtschaften auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur. Mir geht es nicht um ein Zurück in den Vor-Corona-Zustand, sondern um den Aufbruch in eine neue Kultur des gemeinsamen Wirtschaftens. Wir wollen Bahn und Lufthansa zu einem öffentlichen Mobilitätsunternehmen fusionieren. Das schafft Synergien und bringt auch den Klimaschutz voran.

Wir ahnen, wie Ihr Vorschlag zur Schuldentilgung aussieht.

Kipping: Wenn die Schuldenbremse wieder greift, drohen Kürzungsarien im Sozialen, bei Bildung und Kultur. Um das zu verhindern, müssen wir Millionen-Erbschaften, Millionen-Vermögen und Millionen-Gewinne stärker heranziehen. Wir schlagen eine einmalige Vermögensabgabe vor. Das gab es schon mal als Lastenausgleich nach dem Zweiten Weltkrieg.

Damals wurden Vermögen eingezogen, die über einer Grenze von 5000 D-Mark lagen. Aber Corona ist kein Weltkrieg.

Kipping: Man muss kein Sozialist sein, um eine Vermögensabgabe einzuführen. Sonst wäre Adenauer sicher nicht auf die Idee gekommen. Für Privatbesitz gibt es nach unserem Konzept hohe Freibeträge, und selbst bewohnte Immobilien wären von der Abgabe nicht berührt. Auch bei Betriebsvermögen sollen hohe Beträge unangetastet bleiben. Die einmalige Vermögensabgabe muss eine dynamische Staffelung haben – angefangen bei zehn Prozent.

Das Grundgesetz sieht Enteignung in dieser Form nicht vor.

Kipping: Eine Abgabe ist keine Enteignung. Im Grundgesetz ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums verankert. Der immense Reichtum einiger weniger ist nicht allein durch ihre Eigenleistung entstanden. Vieles ist bedingt durch Geburts­lotterie. Die Hochvermögenden haben einen Großteil über Schenkungen und Erbschaften bekommen. Wir müssen sie stärker zur Kasse bitten.

„Wir sind bereit, in eine Bundesregierung zu gehen“ – Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke,  in der Berliner Parteizentrale.
„Wir sind bereit, in eine Bundesregierung zu gehen“ – Katja Kipping, Parteivorsitzende Die Linke, in der Berliner Parteizentrale. © FUNKE Foto Services | Joerg Krauthoefer

Finden Sie in der Pandemie auch neue Argumente für Ihr Lieblingsprojekt: ein bedingungsloses Grundeinkommen?

Kipping: Auf jeden Fall. Die Pandemie hat uns noch einmal vor Augen geführt, dass man ganz schnell ohne eigenes Verschulden vor dem existenziellen Aus stehen kann. Daher ist es so wichtig, dass es ein finanzielles Fundament gibt, auf dem man stehen kann – ganz gleich, was passiert. In der Linken werden wir nach der Bundestagswahl einen Mitgliederentscheid zum bedingungslosen Grundeinkommen durchführen. Bisher wird es in unserer Partei kontrovers diskutiert.

Welche Höhe schwebt Ihnen vor?

Kipping: Ich orientiere mich an der Armutsrisikogrenze, die je nach Berechnung zwischen 1050 und 1300 Euro im Monat liegt. Aber wir müssen in der Pandemie auch mehr über die älteren und pflegebedürftigen Menschen in den Heimen sprechen. Bei ihnen ist das Risiko eines schweren oder tödlichen Krankheitsverlaufs besonders hoch. Und sie leiden besonders, wenn sie von ihren Angehörigen getrennt sind. Das ist eine enorme menschliche Belastung. Daher wünsche ich mir für die Alten- und Pflegeheime eine Politik des Ermöglichens.

Bitte konkret.

Kipping: Wir sollten ein Bundesprogramm auflegen für sogenannte Besuchslotsen – nach dem Motto „Kaffee mit Oma, na klar!“. In jedem der rund 12.000 Alten- und Pflegeheime in Deutschland sollte mindestens eine Stelle für Besuchslotsen geschaffen werden. Die Pflegekräfte haben so viel zu tun, dass sie kaum Zeit haben, auch noch Treffen mit den Angehörigen zu organisieren – und zwar so, dass die Regeln des Infektionsschutzes eingehalten werden. Im Sommer geht das im Garten oder über den Gartenzaun, aber im Winter braucht man dafür Besuchszimmer mit Virenbarrieren. Corona wird uns noch eine ganze Weile beschäftigen. Wir können Menschen in Alten- und Pflegeheimen nicht über viele Monate isolieren. Gerade für Demenzkranke ist jeder Sozialkontakt wichtig.

Wer soll Besuchslotse werden?

Kipping: Es gibt jede Menge Personal, das gerade dem eigenen Beruf nicht nachgehen kann: im Veranstaltungsbereich, der Kulturpädagogik oder in der Tourismusbranche. Das müssen keine gelernten Pflegekräfte sein, aber sie sollten gewisse Fähigkeiten haben im kommunikativen Umgang. Diesen Leuten könnte man in der Corona-Zeit gezielt einen vorübergehenden Einsatz als Besuchslotse anbieten – nach einem kurzen Lehrgang in Fragen des Infektionsschutzes.

Was ist mit den Schulen? Ist eine Wiederaufnahme des Regelbetriebs zu verantworten, während die Zahl der Neuinfektionen rasant steigt?

Kipping: Die Politik hätte die Ferienzeit stärker nutzen müssen - etwa um zusätzliche Räume zu akquirieren. Niemand sollte so tun, als könne man einfach zum Normalbetrieb übergehen. Es gibt Lehrkräfte und auch Schülerinnen, die Risikogruppen angehören. Die dürfen jetzt nicht vergessen werden. Wir werden weiterhin eine Kombination aus Präsenzunterricht und digitalem Lehrbetrieb brauchen.

Wie denken Sie über Maskenpflicht im Unterricht?

Kipping: Die Lehrkräfte sollten ausstrahlen, dass es gut ist, wenn Masken getragen werden. Bei den ganz Kleinen besteht auch die Gefahr, dass sie die Masken unsachgemäß benutzen, hier ist ein aufklärender Gestus wichtig. Im Unterricht könnten Visiere aus Plexiglas, wo man das Gesicht sieht, die bessere Alternative sein. Ich sehe mit einer gewissen Sorge, dass jetzt unglaublich viel diskutiert wird über Repression und höhere Strafen. Stattdessen sollte Politik noch besser die vielen unterstützen, die sich verantwortlich verhalten wollen. Wir sollten zum Beispiel erst einmal Masken-Automaten an Bahnhaltestellen aufstellen, bevor wir diejenigen bestrafen, die keine tragen.

Bei den Corona-Verharmlosen, die sich ohne Maske zu Großdemonstrationen versammeln, werden Sie mit Appellen nicht viel erreichen…

Kipping:Diese Demonstrationen sind besorgniserregend. Zum einen, weil organisierte rechtsextremistische Strukturen dahinterstehen. Zum anderen, weil offen dazu aufgerufen wird, sich rücksichtslos zu verhalten. Gleichwohl ist mein Eindruck, dass man das über Repression nicht lösen kann. Die Gefahr ist groß, dass von den Strafen nicht zuerst die Corona-Verharmloser betroffen sind, sondern beispielsweise die alleinerziehende Mutter, die mit Kind an der Hand zur Bahn gehetzt ist und aus dem Alltagsstress heraus ihre Maske zu Hause vergessen hat. Im übrigen sehnt sich diese krude Coronaverharmloser-Szene doch richtig danach, in so einen Corona-Rebellen-Status zu kommen und für das Nichtzahlen von Bußgeldern ins Gefängnis zu gehen. So scharf ich diese Demonstranten verurteile - wir werden das nicht über Repression lösen.

Wenn Sie die passenden Antworten haben auf die Pandemie: Warum ist die Linkspartei – nach einer Niederlagenserie bei wichtigen Wahlen – in den Umfragen noch weiter gesunken?

Kipping: Vor Corona hatten wir zehn Prozent, und in der Corona-Krise haben alle Oppositionsparteien verloren. Im Übrigen hatten wir auch Wahlerfolge, zum Beispiel in Thüringen und Hamburg. Aber mich treibt diese Frage natürlich um. Viele unserer inhaltlichen Alternativen haben Zuspruch bei weit über 50 Prozent. Meine Beobachtung aus vielen Gesprächen ist: Bei den Menschen gibt es einen gewissen Zweifel, ob wir unsere Forderungen auch umsetzen können. Daher müssen wir jetzt wirklich ausstrahlen, dass wir diese grundlegenden Alternativen umsetzen wollen und können. Solange die Union an der Regierung ist, wird das aber nichts.

Was bedeutet es überhaupt noch, links zu sein, Katja Kipping?

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    Heißt: Sie wollen endlich regieren.

    Kipping: Ich werbe dafür, dass wir Folgendes ausstrahlen: Um die notwendigen sozialökologischen Veränderungen umzusetzen, sind wir bereit, in eine Bundesregierung zu gehen. Dazu brauchen wir soziale Mehrheiten links der Union.

    Reicht es dafür?

    Kipping: Wir müssen bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr auf jeden Fall zweistellig werden. Dann ist vieles möglich. Es geht um eine Richtungsentscheidung fürs Land – ganz gleich, wer für die Union antritt: Armin Laschet kann nicht richtig Krise, Friedrich Merz will die Axt an den Sozialstaat legen, und Markus Söder zeigt erst mal Angela Merkel sein Schloss. Keiner von denen sollte Bundeskanzler werden.

    Olaf Scholz oder Robert Habeck – wen würden Sie lieber zum Kanzler wählen?

    Kipping: Entscheidend ist ein Regierungsprogramm, das alle garantiert vor Armut schützt, die Mitte besserstellt – und mit Klimaschutz und Friedenspolitik für eine gute Zukunft auf diesem Planeten sorgt. Im Übrigen: Die Grünen könnten sich auch für Annalena Baerbock entscheiden.

    Acht Jahre – länger als Sie steht niemand in Deutschland an der Spitze einer Partei …

    Kipping: … und das mit 42. (lacht)

    Treten Sie beim Parteitag im November noch einmal an?

    Kipping: Wir haben einen klaren Fahrplan vereinbart. Ich werde erst zwei Monate vor dem Parteitag meine Entscheidung kundtun.

    Ist die Entscheidung denn gefallen?

    Kipping: Ja, schon im Frühjahr.

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