Berlin. Ab dem 1. Juli gilt die abgesenkte Mehrwertsteuer. Was bringt sie? Wie profitiert die Wirtschaft? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Weniger zahlen für Joghurt und Brötchen, aber auch für neue Autos und Küchen: Bis Ende des Jahres sollen Kunden von einer niedrigeren Mehrwertsteuer profitieren. Die Senkung, die am Montag in Sondersitzungen von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde, ist ein Kernstück des Konjunkturpakets, mit dem die Regierung nach der Corona-Krise die Wirtschaft ankurbeln will. Wir erklären, was sie bringt:
Mehrwertsteuer-Senkung: Wie viel können Konsumenten sparen?
Es gibt in Deutschland zwei Mehrwertsteuersätze. Für Waren des täglichen Bedarfs, zum Beispiel Lebensmittel, Bücher, Zeitschriften oder Bahntickets, gilt ein niedriger Satz von sieben Prozent. Er sinkt Anfang Juli auf fünf Prozent. Rein rechnerisch verbilligt sich ein 50-Euro-Einkauf im Supermarkt um 93 Cent.
Sinken wird auch der reguläre Satz für alle Produkte oder Dienstleistungen. Statt bisher 19 Prozent will der Staat nur noch 16 Prozent. Bei großen Anschaffungen kann sich dies bemerkbar machen. Eine neue Küche sollte statt bisher 10.000 Euro dann nur noch 9.747 kosten, es ergibt sich eine Ersparnis von 253 Euro.
Niedrigere Mehrwertsteuer: Wer gibt die Prozente weiter?
Im Einzelhandel können Kunden häufig jetzt schon von den niedrigeren Preisen profitieren: Aldi, Lidl, Edeka und Rewe haben angekündigt, die Senkung weiterzugeben oder haben die Preise bereits reduziert.
Beim Handelsverband HDE rechnet man damit, dass die meisten Einzelhandelsunternehmen das so handhaben werden, der Konkurrenzdruck sei groß. Aber: Im Endpreis für die Kunden müsse die Senkung nicht immer eins zu eins sichtbar werden, weil die Preise sich ja aus vielen verschiedenen Faktoren zusammensetzen, so HDE-Sprecher Stefan Hertel. Wenn beispielsweise Rohstoff- oder Weltmarktpreise steigen oder fallen, so habe dies Einfluss auf die Preise in den Regalen.
Auch bei größeren Anschaffungen soll sich der Impuls bemerkbar machen. Der Verband der Automobilindustrie hat bereits erklärt, die Senkung weitergeben zu wollen.
Wird der Handel jetzt überall und für jedes Produkt die Preise senken?
Der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld, ist diesbezüglich skeptisch. „Im Sachverständigenrat gehen wir davon aus, dass die Mehrwertsteuer-Senkung zu etwas mehr als der Hälfte an die Konsumenten weitergegeben wird“, sagte der Freiburger Ökonom unserer Redaktion. Doch der Effekt könnte sich ausgleichen, indem im kommenden Jahr weniger konsumiert wird, warnt Feld.
Auch der oberste Verbraucherschützer Klaus Müller glaubt nicht, dass alle Händler die Mehrwertsteuersenkung weitergeben werden, kündigte aber an: „Als Verbraucherschützer werden wir darauf achten, dass die Entlastung auch wirklich bei den Kunden ankommt.“
Einen Zwang, die Preise anzupassen, gibt es nach Angaben der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ) nicht. „Im Rahmen der üblichen Preisgestaltung steht es Unternehmen, Dienstleistern und Geschäftstreibenden frei, ihre Preise beizubehalten und dadurch ihre Gewinnspanne zu erhöhen“, sagt VZ-Sprecherin Mechthild Winkelmann.
Die Kunden könnten nicht unbedingt erkennen, ob ein Händler den Vorteil an seine Kunden weitergibt. Denn rechtlich muss er nur den Gesamtpreis auszeichnen. Anders ist es, wenn auf der Rechnung, dem Bon oder der Quittung die Mehrwertsteuer ausgewiesen wird. Dann sieht der Käufer direkt, ob der von der Absenkung profitiert. „Auf keinen Fall darf der Kunde Rechnungen selbstständig mit Hinweis auf den reduzierten Satz kürzen“, warnt Winkelmann. Sonst könne der Kunde in Zahlungsverzug geraten.
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Mehrwertsteuer-Senkung: Ändert sich die Wohnungsmiete?
Die Grundmieten für private Wohnungen sind ohnehin von der Mehrwertsteuer befreit. Hier ändert sich folglich nichts. Allerdings sind einigen Posten der Nebenkostenabrechnung mehrwertsteuerpflichtig. Es kann damit gut sein, dass sich dies in der Abrechnung im kommenden Jahr positiv niederschlägt.
Wie steht es um Verträge, die schon vor der Absenkung geschlossen wurden?
Laut Verbraucherzentrale kommt es stets auf den Zeitpunkt an, in dem eine Ware geliefert oder ein Dienst verrichtet wurde. „Wird die Lieferung verschickt, gilt das Versanddatum“, ergänzt Winkelmann. Wird das im Januar bestellte Auto im zweiten Halbjahr ausgeliefert, gilt der verringerte Steuersatz. Anders verhält es sich, wenn der Maler im Juni den ersten Teil der Wohnung streicht und im Juli den zweiten Teil. Der Maler stellt beide Leistungen gesondert mit den jeweils geltenden Steuersätzen in Rechnung.
Mehrwertsteuer: Sind schon alle Details geklärt?
Es gibt noch einige offene Fragen. So fehlen noch Bestimmungen des Finanzministeriums, wie beispielsweise mit Handyverträgen verfahren werden soll. Auch überlegen Unternehmen, bei denen die Ermäßigung nur wenige Cent betragen wird, wie sie die Steuersenkung anders weitergeben können. Verkehrsbetriebe denken darüber nach, als Bonus kostenlos Fahrräder zu transportieren.
Wird den Unternehmen so geholfen?
Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) rechnet damit, dass die Mehrwertsteuersenkung die Nachfrage stärken und so die Konjunktur beleben wird. Doch es gibt einen entscheidenden Haken, warnt DIHK-Steuerchef Rainer Kambeck gegenüber unserer Redaktion: „Für die Betriebe steht ein enormer Umstellungsaufwand an, und das in sechs Monaten gleich zweimal.“ Die Mehrwertsteuer müsse schließlich immer ausgewiesen werden, etwa auch bei Anzahlungen, Vorschüssen oder Abrechnungen von Teilleistungen.
Die Bundesregierung beziffert den Umstellungsaufwand für die Unternehmen auf knapp 240 Millionen Euro. Für „deutlich zu niedrig angesetzt“ hält das Kambeck und appelliert an die Finanzverwaltungen, sich zwischen Unternehmen mit Beanstandungen zurückzuhalten.
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Gesenkte Mehrwertsteuer: Wird die Maßnahme verlängert?
Erst einmal sollen die niedrigeren Steuersätze nur bis Endes dieses Jahres gelten. „Der Konsumanreiz entsteht gerade auch dadurch, dass der Steuervorteil nur bis zum Ende des Jahres winkt“, sagte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter Borjans unserer Redaktion. Doch unter anderem SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich und CSU-Chef Markus Söder haben bereits laut über eine Verlängerung nachgedacht. Möglich, dass sie dabei einen Blick auf den Kalender geworfen haben: 2021 stehen sechs Landtagswahlen und die Bundestagswahl an.
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