Berlin. Es hört nicht auf. Noch eine Frau, die von Rechten bedroht wird, der dritte Fall in Hessen. Wieder führt die beste Spur zur Polizei.
Es werden immer mehr. Nach der Anwältin Seda Basay-Yildiz und der Wiesbadener Linken-Fraktionschefin Janine Wissler ist jetzt bekannt geworden, dass die Kabarettistin Idil Baydar sowie die Bundestagsabgeordnete Helin Evrim Sommer ebenfalls von Rechtsextremisten bedroht werden. Sommer ist Mitglied der Berliner Linkspartei. Die drei anderen Fälle spielen alle in Hessen. Und jedes Mal führt bei ihnen die Spur zur Polizei.
Landespolizeipräsident Udo Münch wurde am Dienstag in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Er hatte Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) zu spät informiert, dass auch im Fall Basay-Yildiz die Spur zu einem Rechner der Polizei führt. Beuth hatte Informationen angemahnt. „Die erforderliche Sensibilität“, die er erwartet habe, sei ihm nicht erbracht worden. Er will die Polizei auf den Prüfstand stellen, genauer: die bisherigen Informationswege.
Achtmal Anzeige erstattet – jeder Fall wurde eingestellt
Der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sagte unserer Redaktion, selbstverständlich hätte die Information an Beuth weitergegeben werden müssen, dass es eine unerlaubte Polizeicomputer-Abfrage gegeben habe. „Diese Information ist von hoher politischer Brisanz.“ Er schenke aber Münchs Darstellung Glauben, „dass er die brisante Information nicht bewusst wahrgenommen habe“. Wendt ist überzeugt davon, „dass es keine rechten Netzwerke in der hessischen Polizei gibt“. Lesen Sie auch: Rechte Drohmails: Hessens Polizeipräsident tritt zurück
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte zuvor einen Bericht der „Frankfurter Rundschau“ bestätigt, dass es neben Basay-Yildiz „weitere Fälle“ gebe. „Wir haben mehrere Drohschreiben gegen mehrere Geschädigte.“ Namen wollte sie nicht nennen.
Mehrmals mit dem Tode bedroht
Kabarettistin Baydar wurde 2019 nach eigenen Aussagen mehrmals mit dem Tode bedroht. Achtmal erstattete sie Anzeige, achtmal verliefen die Ermittlungen im Sande. Sie verliert das Vertrauen in die Polizei. In einem Fall kamen die anonymen Nachrichten von einer Plattform namens „5vor12“. Baydar erzählte der „Zeit“, dass die Plattform bereit war, die Daten rauszurücken, die Polizei aber nicht danach gefragt hatte. „Offenbar hat der Unterbau der Polizei umgangenmehr Möglichkeiten als die Polizei.“
Die Drohschreiben als Fax, Mail, Brief, SMS werden mit „NSU 2.0“ unterschrieben – ein Bekenntnis zum Rechtsterrorismus. Sie weisen laut „Frankfurter Rundschau“ Ähnlichkeiten in Aufbau und Wortlaut auf. Bisher sind nur Frauen bedroht worden, zwei von ihnen mit Migrationshintergrund.
Daten über einen Polizeicomputer abgefragt
Das deutet auf Rassismus hin. Offenbar enthalten alle Schreiben persönliche Daten, die über einen Polizeicomputer abgefragt worden sind. Der ebenso fatale wie nahe liegende Verdacht: Der Täter ist entweder Polizist oder hat Zugang zum Apparat. Er hat Insiderwissen. Beuth geriet unter Druck.
Als Dienstherr müsste er seine Beamten in Schutz nehmen. Der CDU-Mann darf aber auch nicht den Eindruck erwecken, blauäugig zu sein. Beuth ist misstrauisch geworden. Er schloss öffentlich ein rechtes Netzwerk bei der Polizei nicht aus; wissend, dass er damit sowohl Aufmerksamkeit erzeugen als auch Widerspruch provozieren würde. Lesen Sie auch: Sonderermittler sucht „NSU 2.0“-Autor – auch in der Polizei
GdP-Landeschef Grün: „Keine Beweise oder Anhaltspunkte“
Der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Andreas Grün, sieht „keine Beweise oder Anhaltspunkte“ für ein rechtsextremes Netzwerk seiner Kollegen. Zwischen den Verdachtsfällen gebe es „keine interaktive Kommunikation oder Vernetzung“.
Grün räumt ein, „die Fälle lasten schwer auf der hessischen Polizei“. Interne Ermittlungen sind oft delikat. Der Zusammenhalt in Polizeireihen ist groß. Kritiker sprechen von einem falsch verstandenen Korpsgeist. Grün: „Wir kommen da wirklich sehr schlecht voran.“
Esken: Rechtsextremismus entschlossener zu bekämpfen
SPD-Chefin Saskia Esken dagegen rief die Politik dazu auf, Rechtsextremismus bei der Polizei entschlossener zu bekämpfen. „In den letzten Monaten häufen sich die Hinweise auf rechtsextreme und gewaltbereite Täter und Netzwerke in den Reihen der Sicherheitsbehörden“, sagte sie unserer Redaktion. „Für die Politik muss das ein Alarmzeichen sein, jetzt endlich konsequent zu handeln.“
Die Verdachtsfälle bei der hessischen Polizei müssten auch den politisch Verantwortlichen deutlich machen, „dass es sich hier nicht um bedauerliche Einzelfälle handelt“, betonte Esken. Die Empfängerinnen der Drohmails hätten eine lückenlose Aufklärung der Hintergründe verdient.
Unterbau der Polizei umgangen
Innenminister Beuth übertrug die Ermittlungen nun dem Direktor der Kriminaldirektion im Polizeipräsidium Frankfurt, Hanspeter Mener. Der 54 Jahre alte Kriminalist soll direkt der Präsidentin des Landeskriminalamtes, Sabine Thurau berichten. So wird der Unterbau der Polizei umgangen. Beuth legt einen Bypass.
Mener soll die Fälle analysieren. „Ziel ist es, den oder die Täter aus der Anonymität zu reißen“, so Beuth. Mener ist ein Profi, bis 2018 war er für die Bekämpfung von schwerer und organisierter Kriminalität zuständig. Basay-Yildiz macht sich ihren Reim auf die Sonderermittlung.
Man fühle sich „wie ein Mensch zweiter Klasse“. Nachdem sie 2018 mehrere Morddrohungen erhalten hatte, hat sich Beuth nie bei ihr gemeldet. Den Sonderermittler setzte er ein, als mit Wissler eine Politikerin bedroht wurde.
(mit gau)