Berlin . Sozialverbände lehnen eine Rückkehr zum verpflichtenden Zivildienst ab. SPD-Chefin Esken fordert genug Plätze für alle Freiwilligen.

Die Wehrpflicht in Deutschland schien bereits Geschichte zu sein. Dann kam die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) und mit ihr eine Debatte, ob junge Menschen nicht doch wieder zum Dienst verpflichtet werden sollten. Damit steht auch die Rückkehr einer anderen Institution im Raum: des Zivildiensts. Denn mit der Aussetzung der Wehrpflicht kam auch das Ende der Alternative zum Dienst an der Waffe. Seit 2012 gibt es keine Zivildienstleistenden mehr.

Nicht nur der Bundeswehr fehlten plötzlich Zehntausende junge Männer. Auch zahlreiche soziale Organisationen, bei denen bis 2011 Zivildienstleistende arbeiteten, mussten sich umstellen. Denn auch wenn mit dem Bundesfreiwilligendienst eine neue Möglichkeit geschaffen wurde, sich zu engagieren, bleibt die Zahl der Bufdis doch deutlich hinter der der Zivis zurück. Im Juni 2020 waren insgesamt 37.137 Bufdis aktiv – weniger als die Hälfte der 80.000 bis 90.000 Zivis, die in den Jahren vor Aussetzung der Wehrpflicht den Ersatzdienst geleistet hatten.

Zivildienst: Kommt die Dienstpflicht wieder?

Trotzdem sehen Sozialverbände die Wiedereinführung einer Dienstpflicht äußerst skeptisch. „Bei jemandem, der zu einem Dienst gezwungen wird, obwohl sie oder er lieber anfangen würde, so schnell wie möglich zu studieren oder ins Ausland zu gehen, ist die Motivation, die einen Freiwilligendienst zum Erfolg macht, nicht gegeben“, sagt Peter Neher, Präsident des Caritas-Verbands, „und dann haben beide Seiten nichts davon.“ Klüger sei es, gezielt in die Stärkung der Freiwilligendienste zu investieren, etwa durch ein höheres Taschengeld oder freie ÖPNV-Fahrten.

„Damit alle, die einen freiwilligen Dienst absolvieren möchten, dies auch tun können und genug Anerkennung dafür finden.“ Derzeit bekommen die Bundesfreiwilligen – zu denen, anders als beim Zivildienst oder freiwilligen sozialen, ökologischen oder kulturellen Jahren, auch ältere Menschen gehören – maximal 414 Euro Taschengeld. Zusätzlich können Einsatzstellen Berufskleidung, Unterkunft und Verpflegung stellen oder die Kosten dafür ersetzen.

Diakonie-Chef fordert mehr Anreize, sich zu engagieren

Bei der Diakonie stößt die Idee einer erneuten Verpflichtung junger Menschen ebenfalls auf wenig Gegenliebe. „Ich möchte mir keine genötigten Freiwilligen vorstellen, die schlecht gelaunt und unmotiviert mit dem Maßband die Dauer ihres sozialen Dienstes bei hochaltrigen Menschen oder Menschen mit Beeinträchtigungen messen“, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie unserer Redaktion.

Mündige Bürgerinnen und Bürger sollten selbst entscheiden, wo und in welchem Umfang sie sich engagieren. Die Forderung nach einer Dienstpflicht sei nicht zu Ende gedacht. „Die Arbeit mit Menschen kann schon von der Sache her keine reine Pflichtveranstaltung sein.“

Er plädiere dafür, dass alle nationalen wie internationalen Formate der Freiwilligendienste weiter gestärkt und attraktiver gemacht werden. Besser als die „sehr deutsche Pflichtdenke“ seien überzeugende Anreize, sich zu engagieren, sagte Lilie. Bei sozialen oder ökologischen Jahren solle nicht nur an Schulabgänger gedacht werden, sondern auch an Menschen, die mitten im Leben stehen und eine berufliche Neuorientierung suchen.

Saskia Esken (SPD) steht einem Pflichtjahr offen gegenüber

SPD-Chefin Saskia Esken steht einem Pflichtjahr für junge Menschen im Dienst der Allgemeinheit offen gegenüber. „Grundsätzlich würde ich es sehr begrüßen, wenn der Haushaltsgesetzgeber und die Regierung insgesamt sich aufmachen würde, all denen, die gerne so ein soziales Dienstjahr leisten wollen, auch einen Platz anzubieten“, sagte sie am Montag auf eine Frage zur allgemeinen Dienstpflicht.

Derzeit gebe es mehr Bewerber für das freiwillige soziale Jahr als Plätze. „Wenn wir so weit sind, dass wir allen einen Platz anbieten können, dann können wir gerne auch über ein verpflichtendes Jahr sprechen.“ Zugleich betonte Esken, dass sie gegen die Rückkehr der Wehrpflicht ist – auch mit Hinweis auf die sogenannte Wehrgerechtigkeit. „Da nach zehn Jahren den Schlüssel wieder umzudrehen, wäre ohnehin sehr schwierig, aber ich halte es auch für fragwürdig“, sagte sie.

Die Debatte über eine allgemeine Dienstpflicht ist nicht vollkommen neu: CDU-Chefin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte sich schon 2019 für einen Pflicht-Dienst für junge Menschen ausgesprochen.