Berlin. In der zweiten Folge des FUNKE Talks „Corona – und dann?!“ sprach Minister Jens Spahn über die Krise. Darum ging es in dem Gespräch.
Jens Spahn kommt just in time vom Flughafen zum Live-Talk mit den Funke-Lesern. Der Gesundheitsminister war tagsüber in Genf. Bei der Weltgesundheitsbehörde (WHO) verkündete er im Namen der Bundesregierung, dass Deutschland seinen WHO-Beitrag auf die Rekordsumme von mehr als 500 Millionen Euro aufstocken wird. Für die WHO, die auf dem ganzen Globus gegen die rasant fortschreitende Ausbreitung der Corona-Pandemie kämpft, ist das ein wichtiges und zählbares Signal nach dem Ausstieg der USA.
Von der internationalen wechselt Spahn dann am Abend auf die Funke-Bühne. Zum zweiten Mal veranstaltete die Funke Mediengruppe gemeinsam mit den Buchhandlungen Thalia und Mayersche sowie dem Herder Verlag das Talk-Format „Miteinander Reden“. Das Gespräch mit dem Gesundheitsminister, das vom Chefredakteur der Berliner Zentralredaktion Jörg Quoos moderiert wurde, ist auf allen Newsportalen der Funke Mediengruppe zu sehen. Die Zuschauer erlebten einen CDU-Politiker, der nach vier Monaten Krisenmanagement selbstbewusst auf viele Erfolge des Staates hinwies, die Bürger aber zu Achtsamkeit ermahnte. Die Sorge scheint angebracht.
Jens Spahn warnte im Live-Talk vor Stigmatisierung
Denn Millionen Menschen schauen mit Beginn der Sommerferien sorgenvoll nach Nordrhein-Westfalen, wo in den Landkreisen Gütersloh und Warendorf die ersten neuen Lockdowns nach der Masseninfektion in einer Großschlachterei des Tönnies-Konzerns verhängt wurden. Spahn warnte davor, die von den Einschränkungen betroffenen rund 640.000 Einwohner an den Pranger zu stellen. Bürger mit Autokennzeichen aus Gütersloh und Warendorf seien teilweise beschimpft, deren Autos zerkratzt worden. Diese „Art von Stigmatisierung“ sei falsch. „Das sind am Ende eher Opfer der Umstände“, sagte Spahn. Lesen Sie hier: Lockdown in Gütersloh – das ist jetzt wichtig
Das Virus könne jeden in jeder Region zu jeder Zeit erwischen. Einzelne Bundesländer wollen nun Sommerurlauber aus Ostwestfalen nicht mehr beherbergen. Spahn riet dazu, sich als Betroffener freiwillig testen zu lassen. Wer einen frischen, negativen Test vorweise, könne auch reisen. Generell betonte der Gesundheitsminister, er könne nicht garantieren, dass es im Herbst/Winter zu keiner zweiten Corona-Welle kommen werde. „Das Virus ist noch da.“
Kann man einen Konzern wie Tönnies für einen Corona-Ausbruch verantwortlich machen?
In Genf bei der WHO hätten ihn viele gefragt, wie Deutschland bislang so gut durch die Krise gekommen sei. Darauf könnten alle in der Gesellschaft stolz sein. „Wir haben ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl, wo ich auch dafür werbe, das wir uns das erhalten: eine Art Corona-Patriotismus.“
Zurückhaltend zeigte sich Spahn bei der Frage, ob man den Fleischkonzern Tönnies für einen Corona-Ausbruch wie in Ostwestfalen haftbar machen könnte? Das würde umgekehrt auch bedeuten, dass man allen, die ohne ihr Wissen andere ansteckten, mit dem Kadi drohe. „Wenn Sie aus all dem Haftungsfälle machen, wer soll sich dann noch melden?“ Entscheidend für die Gesundheitsbehörden sei, dass Bürger mit Symptomen sich weiterhin meldeten.
Verständnis für Ärger über Hin und Her bei Schutzmasken
Keine klare Position bezog der CDU-Politiker im Streit um die Schließung von Schulen und Kitas. Nachdem Wissenschaftler wie der bekannte Berliner Virologe und zwischenzeitliche Merkel-Berater Christian Drosten zu Beginn der Pandemie davor warnten, Kinder könnten das Virus ähnlich wie Erwachsene verbreiten, deuten neue Studien daraufhin, dass Kinder und Jugendliche keine „Virenschleudern“ sind.
War es falsch und überzogen, dass Schulen und Kitas geschlossen wurden, wollten viele Funke-Leser von Spahn wissen. Er meinte, das sei schwer zu beantworten. Es gebe noch keine abschließenden Belege zum Infektionsgeschehen bei Kindern. Die Entscheidung in südlichen Bundesländern für Schulschließungen seien aber sehr nachvollziehbar gewesen.
Von dort stammten viele Österreich-Urlauber, die sich in den Winterferien im Ski-Ort Ischgl mutmaßlich das Corona-Virus eingefangen hatten. Besorgt zeigte sich Spahn, was die wochenlangen Schließzeiten emotional und sozial bei Kindern und Jugendlichen angerichtet hätten. Deshalb sei es ihm wichtig, untrer Abwägung des Infektionsgeschehens nach den Sommerferien möglichst wieder zurück in den Regelbetrieb zu kommen. Lesen Sie hier: Ausbreitung des Coronavirus – Welche Rolle spielen Kinder?
Hin und Her bei Maskenpflicht – Spahn zeigt Verständnis
Verständnis zeigte Spahn für den Ärger vieler Leser und Internet-User über das Hin und Her bei den Schutzmasken. Erst bekamen die Bürger zu hören, die Masken seien überflüssig bis kontraproduktiv. Dann wurden sie plötzlich bundesweit Pflicht. Hat der Staat auf Zeit gespielt, weil anfangs schlicht zu wenig Masken verfügbar waren?
„Ich verstehe den Verdacht“, sagte Spahn. Aber wie bei den Schulen habe es im Verlauf der Pandemie neue wissenschaftliche Erkenntnisse über den Nutzen von Mund-Nasen-Masken gegeben. Gibt es in Deutschland genug Masken für eine mögliche zweite Welle? Das bejahte der Gesundheitsminister. Stand heute seien rund zwei Milliarden Masken im Zulauf. 700 Millionen Masken davon seien bereits verfügbar. Die Hälfte davon sei an Länder, Ärzte und Krankenhäuser verteilt worden, die andere Hälfte komme in die nationale Reserve.
Spahn: Ohne die App noch zwei bis drei Tage Verzögerung bei Meldung
Stolz zeigte sich Spahn, dass die neue Corona-Warn-App der Bundesregierung mehr als 13 Millionen Mal heruntergeladen wurde. Das seien mehr Anwender als in allen anderen EU-Ländern für vergleichbare Apps. US-Riesen wie Apple und Google hätten beim programmieren der Warn-App von deutschen Ingenieuren lernen können. Die App sein freiwillig und dezentral, sauge den Akku nicht leer und habe keine versteckten Hintertüren zum Mitlesen von Daten. „Das ist bis hierhin schon ein Erfolg.“ Besitzer älterer Smartphones allerdings sind sauer, dass die App auf ihren Geräten nicht läuft. Spahn räumte ein, dass das etwa 15 Prozent der Handy-Nutzer betreffe. Wenn die anderen 85 Prozent aber die App nutzen, könnte der Rest auch so effektiv geschützt werden.
Mit der App könnten Kontakte deutlich schneller nachverfolgt werden als vorher. Hatte es ohne die App – „das darf man gar nicht zu laut sagen“ – noch zwei bis vier Tage Verzögerung gegeben zwischen einem positiven Testergebnis und der Information der betroffenen Person durch das Gesundheitsamt, gehe das nun innerhalb von Stunden. Lesen Sie hier: Corona-App – Knappe Mehrheit der Deutschen hat Vertrauen
Jens Spahn will Armin Laschet weiterhin bei Kanzlerkandidatur unterstützen
Zum Ende des rund einstündigen Talks ging es auch noch um die offenen Machtfragen in der Union. Im Dezember wird ein neuer CDU-Chef gewählt, im Januar soll die Kanzlerkandidatur zwischen CDU und CSU geklärt werden. Gönnt Spahn Markus Söder den Ruhm, den sich der bayerische Ministerpräsident als zupackender Corona-Krisenmanager erworben hat? „Ich freue mich für ihn.“ Es sei gut, dass Zutrauen und Vertrauen in den Staat gestiegen seien. Die Lehre aus der Krise sei, dass am Ende allein der Staat die nötige Sicherheit biete.
Und die hohe Zustimmung zu seiner Arbeit als Gesundheitsminister? Spahn meinte dazu trocken: „Wer beliebt sein will, kann auch Sänger werden.“ Wichtiger sei, wem die Bürger zutrauten, das Land zu führen. Spahn hatte auf eigene Ambitionen auf den CDU-Vorsitz verzichtet und Ende Februar erklärt, Armin Laschet zu unterstützen. Nicht erst seit Gütersloh gibt es Kritik am NRW-Ministerpräsidenten. Bleibt es beim Team Laschet/Spahn? Klare Ansage von Spahn: „Das ist so.“
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