Märtyrer oder Gangster? Debatte um Gedenken an George Floyd
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Washington. In Amerika agitieren inzwischen nicht mehr nur rechte Kreise gegen eine angebliche „Heldenverehrung“ des Polizeiopfers George Floyd.
Was hat der immer noch globale Wellen schlagende Tod von George Floyd in Minneapolis mit Rücktrittsforderungen gegen den CDU-Kreisvorsitzenden Thaddäus Kunzmann im baden-württembergischen Esslingen zu tun?
Die Antwort ist bei einer jungen, prominenten Schwarzen in Amerika zu suchen, die sich der besonderen Wertschätzung von Präsident Donald Trump und rechtsnationalistischer Kreise erfreut.
Candace Owens, 31, Polit-Aktivistin, hat in einem mittlerweile mehrere Millionen Mal angeklickten Video den alten Grundsatz „Über die Toten nur Gutes” über Bord geworfen und den durch brutale Polizeigewalt ums Leben gekommenen Floyd nach Kräften zu demontieren versucht.
George Floyds Tod: Polit-Aktivistin hält Brandrede gegen Gedenken
Unter dem Titel „Geständnis: Ich unterstütze George Floyd nicht, und ich lehne es ab, ihn als Märtyrer zu sehen. Aber ich hoffe, seine Familie bekommt Gerechtigkeit” zieht Owens gegen angebliche Bestrebungen vieler Medien und der schwarzen Community zu Felde, den 46-Jährigen zum „Helden” zu stilisieren, dessen gewaltsames Ableben das Tor zu gesellschaftlichen Reformen gegen den allgegenwärtigen Rassismus geöffnet habe.
Akribisch listet Owens auf, dass Floyd unter anderem wegen Diebstahl und Drogenmissbrauch seit 1998 sieben Mal jeweils für mehrere Monate im Gefängnis gesessen habe. Später korrigiert sie sich sarkastisch: „Es waren neun Verurteilungen”. Gesondert herausgestellt wird von ihr ein Raubüberfall auf eine schwangere Afro-Amerikanerin, bei dem Floyd seine Waffe auf den Bauch des Opfers gerichtet haben soll.
Tod von George Floyd – Fotos der Unruhen
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Candace Owens Sicht gilt in afro-amerikanischen Kreisen als „anti-schwarz“
Aus Owens Sicht, die sie regelmäßig an ihre 2,5 Millionen Twitter-Abonnenten weiterreicht, könne der bei der Trauerfeier am Dienstag in Houston als „sanfter Riese” und „wundervoller Vater und Freund” bezeichnete Ex-Basketballspieler keinen Vorbild-Charakter haben.
Grundsätzlich stellt Owens zudem in Abrede, dass Floyds Tod für rassistisch motivierte Polizeigewalt stehe. Das sei ein „Mythos”, sagt sie – obwohl offizielle Statistiken das Gegenteil belegen – und behauptet: Das Risiko eines Polizisten, von einem Schwarzen erschossen zu werden, sei 18 Mal höher als umgekehrt.
Owens Intervention gilt in in afro-amerikanischen Kreisen als „anti-schwarze” Minderheitsmeinung. Schwarze Kommentatoren im US-Fernsehen warfen der Chefin der Trump-nahen Jugendorganisation „Turning Point USA” vor, den Tod Floyds zu relativieren, weil er vorbestraft war.
Dass dies kein Kriterium sein könne, zeige der Lebensweg der Bürgerrechts-Ikone schlechthin, schreibt ein Kommentar der „Chicago Tribune”. Dr. Martin Luther King wurde fast 30 Mal hinter Gittern geschickt.
Martin Luther King – Kampf für Rechte
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Diskussion schwappt nach Deutschland über
Weiße Nationalisten und Rechtsextreme fühlen sich seit Tagen in sozialen Netzwerken durch die Attacke von Owens anspornt – und bestätigt. Dort taucht der Name Floyd häufig in Verbindung mit dem Begriff „thug” auf – was so viel wie Verbrecher bedeutet.
Eine Wortwahl, die nicht nur Angehörige Floyds als ehrabschneidend empfinden. Was den republikanischen Kongress-Abgeordneten Mo Brooks aus Alabama nicht davon abhielt, auf Twitter zu schreiben, es sei falsch, wenn „Lügenpresse, Demokraten und Sozialisten einen Junkie und Gangster für politische Zwecke vergöttern”.
In dieses via Facebook und Twitter nach Europa herübergeschwappte Fahrwasser begab sich auch Thaddäus Kunzmann. Der neben seiner CDU-Tätigkeit auch als Demografiebeauftragter Baden-Württembergs agierende Politiker schrieb auf Facebook, er finde den Tod von George Floyd „schlimm”. Aber: „Zur Wahrheit gehört auch, das Floyd ein Gewaltverbrecher mit beträchtlichem Vorstrafenregister war. Niemand von uns wollte ihm in der Nacht begegnen. Ich finde, dass gehört zur Wahrheit dazu.”
Nach Rücktrittsforderungen der SPD („Kunzmann darf unser weltoffenes Land nicht mehr repräsentieren“) zog der Christdemokrat seinen Beitrag zurück. Es sei der Eindruck entstanden, „dass ich den Tod von Floyd aufgrund seines Vorstrafenregisters relativieren will. Das will ich ausdrücklich nicht.“
Nach Floyds Tod weitere Fälle von Polizeigewalt in den USA
Unterdessen tauchen im Gefolge von Floyds Schicksal ähnlich gelagerte Fälle von Polizeigewalt auf, bei denen auch der Schlüsselsatz „I can’t breathe” (Ich kann nicht atmen) fiel.
Im März starb in Tacoma südlich von Seattle der 33-jährige Manuel Ellis während einer Festnahme. Der Schwarze wurde des Autoeinbruchs verdächtigt. Es gab eine auf Video aufgezeichnete Auseinandersetzung mit vier Cops, in der Ellis mehrfach beklagte, er bekomme keine Luft mehr. Die Autopsie ergab neben einem Drogenbefund und Herzschwäche als Kern-Todesursache: Atemstillstand nach Gewaltanwendung.
Die Beamten sind vom Dienst suspendiert. Jay Inslee, der demokratische Gouverneur des Bundesstaates Washington an der Westküste, ordnete wegen des Verdachts der Befangenheit der zuerst tätig gewordenen Staatsanwälte die Neuaufnahme von Ermittlungen in einem anderen Gerichtsbezirk an.
Bereits im Mai 2019 starb der 42 Jahre alt Afro-Amerikaner Derrick Scott, als ihn drei Polizisten in Oklahoma City am Boden festhielten. Verdacht: Waffenbesitz. Das entsprechende Video wurde erst in dieser Woche von der Polizei veröffentlicht. In einer Sequenz ist zu hören, wie Scott nach seinen Medikamenten verlangt und röchelt: „Ich kann nicht atmen.” Ein Officer sagt deutlich vernehmbar: „Das ist mir egal. Du kannst sehr gut atmen.” Scott verlor wenig später das Bewusstsein und starb im Krankenhaus. Diagnose: Lungen-Kollaps.
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