Washington. Nach George Floyds Tod werden die Rufe nach einer Polizeireform in den USA lauter. Solche Reformen haben es aber traditionell schwer.

Wenn Val Demings Joe Bidens Vizepräsidentschaftskandidatin würde, wäre das Thema der Stunde in den USA – Polizeireform! – in den besten, allerdings von der Realität ernüchterten Händen. Die 63-jährige demokratische Kongress-Abgeordnete war von 2007 bis 2011 Chefin der Polizeidirektion in Orlando/Florida, die seinerzeit alles andere als einen guten Ruf besaß.

Demings, eine Schwarze, kennt all die Vorschläge und Kommissionsberichte, die nach tragischen Todesfällen, ausgelöst durch exzessive Polizeigewalt wie vor zwei Wochen im Fall George Floyd in Minneapolis, bislang unterbreitet wurden. Und die Gründe, warum der Fortschritt hier eine besonders lahme Schnecke ist.

Wenn Demings wie selbstverständlich klingend sagt, dass die Ausbildung von Cops ebenso wie die Regeln zur Gewaltanwendung geprüft werden müssten, wissen Experten, wo das Problem ist: Polizei in Amerika ist eine hyperlokale Angelegenheit. Die 18.000 „police departements” genießen große Autonomie. Wenn Sheriff x im gleichen Bundesstaat fortschrittliche Methoden oder alte Gewohnheiten auf den Index setzt, ist Sheriff y im Landkreis nebenan nicht zur Nachahmung verpflichtet.

Konkret: In Minneapolis, wo eine progressive Stadtratsmehrheit nach dem Fall Floyd gerade symbolisch die Auflösung der Polizeibehörde ankündigt (gemeint ist ein struktureller Neuaufbau, der die statistisch nachweisbare Benachteiligung von Schwarzen beseitigen soll), hat die von Officer Derek Chauvin an Floyd verübte Kniepresse ab sofort verboten. In anderen Teilen des Bundesstaates Minnesota sind „choke-holds” weiter erlaubt.

Der Ort des Todes von George Floyd ist heilig für die Bewohner von Minneapolis

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    US-Polizisten können für Gewalttaten kaum belangt werden

    Ob die ab Montag mit einem 136 Seiten langen Gesetzentwurf untermauerte Absicht der Demokraten im Repräsentantenhaus in Washington Erfolg verspricht, besagte Würgegriffe landesweit gänzlich aus dem Repertoire der Polizeien zu streichen, ist fraglich. Im republikanisch beherrschten Senat überwiegt die von Präsident Donald Trump verfolgte „Law and Order”-Linie.

    Auch mit ihrem zweiten wichtigen Standbein – Polizisten sollen für Fehlverhalten leichter juristisch belangt werden können – bewegen sich die Demokraten auf schwierigem Terrain. Polizisten in Amerika sind höchstrichterlich geschützt. Zwei Grundsatzurteile des Supreme Court in Washington (1967 und 1989) haben eine „qualifizierte Immunität” erzeugt.

    Nur wenn gegen Gesetze und die Verfassung verstoßen wird, sind Cops haftbar. Gewaltanwendung ist ihnen per se immer dann gestattet, wenn sie aus der Perspektive eines „vernünftig handelnden Beamten am Einsatzort” angezeigt erscheint. Oft reicht die Behauptung, der Beamte habe sich bedroht gefühlt – und darum geschossen.

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    Polizeigewerkschaften schützen Beamte vor Verfolgung

    Wer das politisch aufweichen will und den Tatbestand des „rücksichtslosen Gewalteinsatzes” einführen will, hat den erbitterten Widerstand der mächtigen Polizeigewerkschaften zu erwarten. Sie sind es, die in Verträgen mit den Gebietskörperschaften unter anderem die Aufklärung von Polizeibrutalität erschweren, weil Akten unter Verschluss gehalten werden. Das Kern-Argument der Lobbyisten nach tödlicher Polizeigewalt: Amerika ist bis an die Zähne bewaffnet (über 300 Millionen Waffen in Privatbesitz). Ergo müssten Beamte immer damit rechnen, dass ihr Gegenüber bewaffnet sei.

    Dass Polizisten binnen Sekunden unter schwierigsten Bedingungen über den Einsatz potenziell tödlicher Gewalt entscheiden müssten, sei notwendigerweise als mildernder Umstand zu bewerten. Resultat: Bei zirka 1000 Menschen, die nach Medienzählung (offizielle staatliche Statistiken gibt es bisher nicht) pro Jahr von der Polizei getötet werden, werden Polizisten nur in Ausnahmefällen angeklagt, geschweige denn verurteilt.

    Dies nachhaltig zu ändern, gehe nur über eine Veränderung der Ausbildung, sagt Chuck Wexler. Der Chef des „Police Executive Research Forum” hat nach Befragung von rund 300 Polizeidirektionen schon 2015 herausgefunden, dass bei der in den USA im Schnitt nur 19 Wochen dauernden Grundausbildung zum Polizisten knapp 110 Stunden auf Verteidigung und Schießen entfallen – aber nur acht Stunden auf zwischenmenschliche Konfliktbeilegung und Deeskalation.

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      Widerstandskräfte des traditionellen Polizei-Systems sind groß

      Polizisten intensiv nachzuschulen, gerade im Umgang mit psychisch Kranken, und dabei den Einsatz von Waffengewalt als absolute „ultima ratio” zu identifizieren, sei ein notwendiger Weg aus der Krise. Vereinzelt wird es bereits praktiziert. Wer in Austin, Texas, die Hilfe-Hotline 911 anruft, wird gefragt, was benötigt wird: Polizei oder Krisenintervention für psychisch Kranke? In Eugene/Oregon werden Fachleute für letzteres gleich mitgeschickt, wenn eine Polizeistreife auf Notrufeinsatz geht.

      Wie groß die Widerstandskräfte des traditionellen-Polizei-Systems sind, zeigt der Fall Ferguson. Dort wurde 2014 der junge Schwarze Michael Brown von der Polizei erschossen. Ähnliche, wenn auch bedeutend kleinere Protestwellen als heute gingen durchs Land. Es dauerte zwei Jahre, bis die Kleinstadt in der Nähe von St. Louis/Missouri zum ersten Mal einen schwarzen Polizeichef bekam. Obwohl die Bevölkerung zu 70 Prozent afroamerikanisch ist.

      Substanzielle Reformen – etwa die nachgewiesene Tatsache, dass schwarze Autofahrer überproportional oft angehalten und mit „Knöllchen” eingedeckt wurden, um die Stadtkasse zu füllen – bremste der Stadtrat aus. Solange, bis die damalige Justizministerin in Washington, Loretta Lynch, eine Schwarze, Ferguson verklagen ließ.

      Tod von George Floyd – mehr zum Thema Rassismus und Polizeigewalt