Washington/Berlin/Paris. Nach dem Tod von George Floyd gehen weltweit die Menschen auf die Straße. In Deutschland wollen Politiker den Rassismus aufarbeiten.
Zwei Wochen nach dem von Polizisten verursachten tragischen Tod des schwarzen Amerikaners George Floyd haben am Wochenende überall auf der Welt Menschen gegen Rassenhass und willkürliche Polizeigewalt demonstriert. Unter dem Motto „Black Lives Matter“ (Schwarze Leben zählen) versammelten sich Zehntausende in Paris, Madrid, London oder Sydney.
Auch in vielen deutschen Städten gingen die Menschen auf die Straße. Allein in München waren es 25.000 Demonstranten. In Berlin, Hamburg und auch Stuttgart kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und Festnahmen.
Donald Trump würdigt Anliegen der Demonstranten mit keinem Wort
Amerika selbst fand an diesem Wochenende eine kraftvolle Antwort auf die Versuche von Präsident Donald Trump, die Demonstrationen als das Werk von Chaoten und Anarchisten zu denunzieren. In Dutzenden Städten wie Atlanta, Chicago, Los Angeles, Seattle, Dallas, New York, Philadelphia und Boston gingen am Samstagabend Hunderttausende auf die Straße, um friedlich, aber entschlossen nach Jahrzehnten rassistisch grundierter Polizeigewalt gegen Afroamerikaner und andere Minderheiten für Reformen einzutreten.
Mit ihrer Gewaltfreiheit entzogen die Demonstranten Präsident Trump die Rechtfertigung für den Einsatz der Nationalgarde in der Hauptstadt: Trump kündigte am Sonntag per Twitter an, die Reservisten seien nach Hause geschickt worden, könnten aber schnell wieder aktiviert werden. Alles sei schließlich unter Kontrolle.
Trump, der sein Twitter-Megafon sonst wie einen Daddel-Automaten benutzt, blieb ansonsten nahezu stumm. Einmal twitterte er in Großbuchstaben „Recht Ordnung“. Beim zweiten Mal ließ er seine 80 Millionen Abonnenten wahrheitswidrig wissen, dass die Teilnehmerzahl in Washington „viel geringer als erwartet“ gewesen sei. Zum Kernanliegen der Demonstranten, die aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten stammten, äußerte er sich mit keinem Wort.
Washingtons Bürgermeisterin benennt Platz vor Weißem Haus um
Die Bunkermentalität eines von Zigtausenden eingekreisten Präsidenten wurde optisch und symbolisch verstärkt durch einen neuen, über zwei Meter hohen schwarzen Metallzaun, der über fast sechs Kilometer um das Weiße Haus hochgezogen wurde.
Washingtons schwarze Bürgermeisterin Muriel Bowser, die sich als lokale Gegenspielerin Trumps profiliert, konterte die Käfig-ähnliche Abkapselung, in dem sie den Platz vor dem Weißen Haus in „Black Lives Matter“-Plaza umbenennen ließ. Der Ort war in grauer Vorzeit ein Umschlagplatz für Sklaven.
- Hintergrund: „Black Lives Matter“: Das steckt hinter der Bewegung
Obwohl in Frankreich die Behörden wegen der Corona-Pandemie mehrere Demonstrationen verboten hatten, versammelten sich am Samstagabend allein in Paris nach Angaben des Innenministeriums 5500 Menschen; landesweit seien es 23.300 gewesen. Bereits in der vergangenen Woche hatten in einer Pariser Vorstadt Tausende Menschen gegen den Tod des Schwarzen Dama Traoré im Jahr 2016 demonstriert. Traoré war wie Floyd im Polizeigewahrsam am Boden fixiert worden.
Tod von George Floyd – Fotos der Unruhen
Deutsche Politik lobt die friedlichen Antirassismusdemonstrationen
Auch wenn es in Berlin, Hamburg oder Stuttgart zu Auseinandersetzungen und Festnahmen kam: Die deutsche Politik lobte quer durch die Parteien die überwiegend friedlichen Aktionen.
„Zigtausende Demonstranten in aller Welt stehen auf, weil der gewaltsame Tod von George Floyd durch einen Polizeieinsatz in den USA kein Einzelfall ist“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken unserer Redaktion. Auch in Deutschland gebe es latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte. Esken forderte eine unabhängige Stelle zur Aufarbeitung von Gewalt und Rassismus bei der deutschen Polizei. Für Rassisten und Rechtsextremisten in Uniform dürfe es keinen Platz geben.
Der bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) betonte, zwar seien die Beamten weit entfernt von Gewaltexzessen wie in manchen amerikanischen Städten. Doch „auch in Deutschland gibt es immer wieder rassistisches Unwesen.“ Über den großen Zuspruch zu den Antirassismusdemonstrationen in Deutschland freue er sich sehr, sagte Herrmann unserer Redaktion.
Dem SPD-Bundestagsabgeordneten Karamba Diaby ist das sogenannte Racial Profiling ein Dorn im Auge, bei dem Menschen aufgrund ihres Erscheinungsbildes oder bestimmter ethnischer Merkmale polizeilich kontrolliert werden. Er forderte eine entsprechende Änderung des Bundespolizeigesetztes.
Viele Demonstranten halten die Abstandsregeln nicht ein
Bei allem Lob wächst aber die Sorge vor einer neuen Ausbreitung der Corona-Pandemie durch die Demonstrationen – denn Abstandsregeln und Maskenpflicht sind kaum durchzuhalten, wenn Zehntausende auf den Beinen sind.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärte nun, die in Deutschland positive Entwicklung der Corona-Pandemie dürfe nicht durch die Demonstrationen gefährdet werden. Zwar gingen die Infektionszahlen zurück, das verleite aber zu dem Eindruck, das Virus sei nicht mehr da. Spahn: „Dieser Eindruck trügt“.
Auch Rainer Wendt klagt über eine fehlende Bereitschaft der Demonstranten zum Infektionsschutz. „Die meisten Teilnehmer hielten sich nicht an die Abstandsregeln“, sagte der Chef der Polizeigewerkschaft. Der Polizei sei es nicht möglich gewesen, bei der Masse an Menschen die Vorschriften durchzusetzen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei es aber richtig gewesen, nicht dagegen einzuschreiten.
Wendt warb für mehr Verständnis für die Einsatzkräfte: Sie müssten sich auch selbst schützen, sowohl vor Infektionen als auch vor der Gewalt von Teilnehmern der Demonstrationen: „Häufig wird vergessen, dass Polizistinnen und Polizisten ganz normale Bürgerinnen und Bürger sind, die Familien haben und mitten unter uns leben und auch das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz verspüren.“
Der Gewerkschaftschef warnte zudem vor einer Verschärfung der Konflikte, sollten die Infektionszahlen wieder steigen: „Spätestens wenn es eine nächste Infektionswelle gibt und Lockerungen rückgängig gemacht werden müssen, werden die Konflikte an Zahl und Härte zunehmen“, so Wendt.
Über die Ansteckungsgefahr in Gruppen, die draußen zusammenkommen, ist wenig bekannt. Einen Einfluss könnte der Lärm bei Demos haben: Wie feucht die Aussprache ist, hänge unter anderem von der Lautstärke beim Sprechen ab, erklärte kürzlich das Helmholtz Zentrum in München.
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