An Rhein und Ruhr. Sie schuften für Billiglohn in Schlachthöfen und leben in heruntergekommenen Unterkünften. Zwei Leiharbeiter erzählen von ihrem Arbeitsalltag.

Viorel Bendei sitzt auf seinem Bett mit der lila Wolldecke und stopft sich eine Zigarette. Er ist aufgebracht. „Ich fühle mich wie streunender Hund, sie respektieren mich nicht“, schimpft er. Seit Ende November schuftet er in einem Schlachthof im niederländischen Scherpenzeel, jetzt hat er genug: „Das ist die reine Verarschung“, schnaubt er und zieht den Rauch der Gestopften tief in seine Lunge. Nächste Woche will er seinen Vertrag mit seiner Leiharbeitsfirma kündigen. Er kann reden. Er will reden.

Elten, ein Ortsteil von Emmerich, direkt an der niederländischen Grenze. Inmitten einer bürgerlichen Nachbarschaft mit wuchtigen Backsteinhäusern steht ein völlig heruntergekommenes Gebäude, von dessen Wänden die gelben Holzschindeln abfallen. Hier wohnen Viorel Bendei und neun andere Leiharbeiter. Der 42-Jährige stammt aus dem Kreis Mehedinti im Südwesten Rumäniens.

Seit einem halben Jahr in Deutschland

In Elten lebt er seit einem halben Jahr in einem kargen Raum. Schmale Metallspinde, eine Herdplatte, zwei Betten, ein Tisch, darauf eine Vase, aus der eine Plastikrose ragt. Eine nackte Glühbirne erhellt den Raum, an der Wand über Bendeis Bett hängen seine Jacken, vom Griff des Fensters baumelt eine kleine Ikone. Im Haus hat sich der Geruch von kaltem Tabakqualm eingefressen. Als der Rumäne hierher kam, lebten in dem Raum drei Menschen, ein Bett hat er schon entfernt. Jetzt ist er allein.

Bendei spricht kein Englisch, kein Deutsch. Das ist eines der Probleme, wenn Journalisten versuchen, mit den Leiharbeitern Kontakt aufzunehmen, die zu Tausenden in den grenznahen Kommunen am Niederrhein leben, aber jenseits der Grenze arbeiten. Diesmal ist ein Dolmetscher dabei.

In seiner Heimat als Tagelöhner gearbeitet

In seiner Heimat, erzählt der hagere Mann mit dem schmalen Gesicht und den großen Händen, hat er sich als Tagelöhner in der Landwirtschaft durchgeschlagen. Harte Arbeit macht ihm nichts aus. Bevor er nach Elten kam, war er ein paar Monate bei einem Bauern in Cloppenburg als Erntehelfer beschäftigt. Ein toller Job sei das gewesen. 2300 Euro netto, 50 Euro Essenszuschuss pro Woche, Unterbringung in einem Wohncontainer. „Es war alles sehr respektvoll“, sagt er.


Respekt. Das ist ein Wort, das häufig fällt. Respekt ist Viorel Bendei wichtig. Es gibt keinen Respekt bei seinem neuen Arbeitgeber. Als er nach der Erntesaison im Internet nach einer neuen Anstellung suchte, landete er bei türkischen Vermittlern, die ihn zu einer niederländischen Leiharbeitsfirma lotsten. Jetzt malocht er im Auftrag dieser Firma in einem Schlachthof in Scherpenzeel, von morgens 4 bis nachmittags um 14 Uhr. Er kramt aus einer Tasche in seinem Spind seine letzte Monatsabrechnung.

Am Ende des Monats bleiben 1100 Euro

Knapp 1700 Euro brutto. Jede Menge Abzüge. Alleine für das Bett berechnet ihm die Firma 334 Euro. Am Ende stehen 1100 Euro netto für einen brutalen Job, der auf die Knochen geht. „Bei uns kippen immer wieder Leute ohnmächtig auf das Fließband, weil sie erschöpft sind. Das Fließband ist schnell wie der Ferrari von Schumacher.“ Er stößt den Rauch durch die Nase, hinter der Brille blitzen seine Augen wütend. „Die Leute werden nicht respektiert.“

Als Viorel Bendei in Elten ankam, lebten drei Menschen in diesem Raum.
Als Viorel Bendei in Elten ankam, lebten drei Menschen in diesem Raum. © Funke Foto Services GmbH | Thorsten Lindekamp


Die Heizung im Haus funktioniert nicht, im Gemeinschaftsbad stand wochenlang das Wasser, bevor sich die Firma erbarmte und jemanden zum Reparieren schickte. Immerhin rennen hier keine Ratten herum, wie Bendai das in der ersten Unterkunft in den Niederlanden erlebt hat. Die vergangenen Wochen haben das Fass für ihn zum Überlaufen gebracht. „Ich habe heftige Schmerzen in der linken Seite. Das habe ich immer wieder gesagt. Es interessiert niemanden.“

Heute ist er zu Hause geblieben. Er weiß, deswegen wird ihm die Firma 100 Euro vom Lohn abziehen. Es ist ihm egal. Viorel Bendei hat mit seinem Job abgeschlossen. Er will nur zurück nach Rumänien.

Gewerkschaften kritisieren schon seit geraumer Zeit die prekäre Situation osteuropäischer Leiharbeiter als moderne Sklaverei. In den vergangenen Wochen ist das Schicksal der Arbeiter durch die Corona-Krise sichtbarer geworden. In deutschen und niederländischen Schlachthöfen gab es Masseninfektionen. Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ordnete die Kontrolle der Sammelunterkünfte auch derjenigen Leiharbeiter an, die jenseits der Grenze arbeiten, aber in Deutschland untergebracht sind.

Die Gesundheitsbehörde des Kreises Kleve hat nach langem Zögern seit dem 31. Mai 54 Kontrollen in Bedburg-Hau, Emmerich, Goch, Kalkar, Kleve, Kranenburg und Rees durchgeführt. Es seien „verschiedene Beanstandungen“ festgehalten worden, so die Kreisverwaltung. Seuchenhygienische, bauordnungsrechtliche und arbeitschutzrechtliche.

Der Gocher Bürgermeister Ulrich Knickrehm drückt es drastischer aus. Man habe teils „katastrophale Zustände“ vorgefunden. In Emmerich mussten 10 Häuser unter Quarantäne gestellt werden, nachdem Bewohner positiv auf das Corona-Virus getestet wurden. In Goch 19.

Ein junger Mann, der Angst hat, seinen Job zu verlieren

In einer der insgesamt 38 bekannten Sammelunterkünfte in Emmerich wohnt Costi. Mitte 20, füllig, ein misstrauischer aber freundlicher junger Mann. Er will seinen richtigen Namen nicht nennen und keine Fotos, bitte, er hat Angst, seinen Job zu verlieren. Er sitzt in der Küche seiner Unterkunft, sie ist nicht ganz so heruntergekommen, wie das Haus, in dem Viorel Bendei wohnt.

Costi ist privat untergebracht, zusammen mit einigen anderen Rumänen. Bis vor kurzem hat er in einer Unterkunft der Zeitarbeitsfirma gelebt, für die er seit 2017 schuftet. Zehn Personen waren sie. In drei Zimmern. Jeder musste 350 Euro monatlich zahlen. Der junge Mann wird ebenfalls in einem Schlachthof in den Niederlanden eingesetzt. Auch er zeigt seine letzte Abrechnung. Die Zeitarbeitsfirma zieht ihm 120 Euro für die Unterbringung ab, obwohl er jetzt selbst die Miete für seine Unterkunft zahlt.

Mindestlohn? Costi lacht ungläubig

Nach seinen fünf Tagen regulärer Arbeit malocht Costi samstags noch in einem anderen Schlachthof. Für zehn Stunden bekommt er 70 Euro. Er lacht ungläubig, als er hört, dass es in den Niederlanden einen Mindestlohn von mehr als 10 Euro gibt.„Von meinem ersten Arbeitslohn habe ich nur 800 Euro übriggehalten. Sie haben mir eine Vermittlungsgebühr von 300 Euro abgezogen und noch einmal 90 Euro, weil sie mich angemeldet haben.“

Auch Costi ist wütend. Kürzlich ist ein Arbeiter, den er sehr gut kennt, in einem Schlachthof von einem Mitarbeiter der Zeitarbeitsfirma geschlagen worden. „Er hat nur gesagt, dass er keine Überstunden machen kann, weil er erschöpft ist. Der Mann von der Firma hat gesagt, dass er hier nicht zu Hause sei und sie das zu entscheiden hätten. Dann hat er ihn ins Gesicht geschlagen.“

Während des Gesprächs fährt ein Auto vor dem Haus vor. Costi wird unruhig, flüstert: „Schnell, das ist der Vermieter, er darf uns nicht sehen.“ Er drängt uns aus der Küche ins Schlafzimmer, in dem der aufdringliche Geruch eines Vanille-Wunderbaums hängt. Erst als das Auto wieder wegfährt, kann das Interview weitergehen.


Die Zeitarbeitsfirma, erzählt Costi, sei durch den verstärkten Kontrolldruck unruhig geworden. Kollegen von ihm in einer anderen Unterkunft hätten die Anweisung bekommen, ihre Matratzen auf den Dachboden zu bringen, damit nicht festgestellt werden kann, wie viele tatsächlich in der Unterkunft schlafen. Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Krise würden sie auch nicht mehr zu sechst, sondern zu dritt in den Kleinbussen zur Arbeit gefahren, die sie morgens um 3 Uhr abholen. Für den Transport zahlt er übrigens 40 Euro im Monat.

Mit triefender Nase zur Arbeit

Die Corona-Ausbrüche hätten die Beschäftigten natürlich beunruhigt, sagt der junge Mann. Aber wenn Leute Symptome gezeigt hätten, sei das dem Arbeitgeber egal gewesen. „Auch wenn die Nase getrieft hat, mussten die trotzdem arbeiten.“ Warum er überhaupt unter diesen Bedingungen weiterarbeitet? „In Rumänien habe ich als Pflasterer gearbeitet. Da habe ich 900 Euro im Monat bekommen. Die Arbeitsbedingungen in Rumänien waren aber wirklich miserabel.“

Im Kreis Kleve sind etliche niederländische Zeitarbeitsfirmen tätig. Die größten heißen Horizon und Reyhan. Eine „kooperative Zusammenarbeit“ mit den Zeitarbeitsfirmen in der Corona-Krise könne „in der Regel nicht bestätigt“ werden, heißt es lakonisch aus der Kreisverwaltung.