Berlin. Ärger an mehreren Fronten für die AfD: Ein erratischer Kurs in der Corona-Krise und ein neuer, alter Machtkampf führen ins Umfrageloch.
Der blaue Balken, er schrumpft. Gleich zwei Umfragen sahen die AfD in dieser Woche unter zehn Prozent. Das sind Gefilde, in denen sich die Partei lange nicht wiederfand – und wo sie sich jetzt möglicherweise für eine Weile einrichten muss. Denn die AfD befindet sich in gleich mehreren Krisen.
Da ist zum einen der Umgang mit der Corona-Pandemie. Für keine Oppositionspartei ist es einfach zu punkten, wenn alle Augen sich auf die Regierung richten, die eine akute Gefahr bekämpft. Doch die AfD tut sich schwerer als andere. Während die einen früh harte Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus forderten und der Bundesregierung Nichtstun vorwarfen, konnten sich andere nicht einmal einigen, ob der Erreger überhaupt bedrohlich ist.
Währenddessen kanalisierten neue Akteure wie „Widerstand2020“ auf den Straßen den Unmut über die Maßnahmen. Nun versucht man, sich nachträglich an die Spitze der Proteste gegen die Beschränkungen zu setzen – mit mäßigem Erfolg.
AfD in der Krise: Der Streit ist existenzbedrohend
Doch ein erratischer Kurs in der Corona-Krise ist nicht das größte Problem der Partei. Denn mit dem Rausschmiss des ehemaligen Brandenburger Landeschefs und Mitglied des Bundesvorstands, Andreas Kalbitz, ist in der AfD ein Streit ausgebrochen, der das Potenzial hat, existenzbedrohend zu werden.
Formal geht es um die Frage, ob Kalbitz’ Aufnahme in die AfD im Frühjahr 2013 rechtens war. Eine Mehrheit des Bundesvorstands hatte vor zwei Wochen entschieden, die Mitgliedschaft des 47-Jährigen für nichtig zu erklären, weil er frühere Mitgliedschaften in der inzwischen verbotenen rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) und bei den Republikanern nicht angegeben habe.
Machtkampf in der AfD – wer gibt den Ton an?
Tatsächlich geht es um die Frage, wer in der Partei den Ton angibt – der offiziell aufgelöste „Flügel“ oder das Lager um Parteichef Jörg Meuthen, das sich als gemäßigt versteht. Meuthen sieht sich juristisch im Recht und von der Mehrheit der Partei gedeckt.
Das Kalbitz-Lager fordert nach wie vor einen Sonderparteitag, Björn Höcke, enger Verbündeter von Kalbitz und Galionsfigur des Rechtsaußen-Lagers in der Partei, spricht von „Verrat“. Das ist mehr als ein Knirschen im Gebälk. Das sind die Geräusche, die eine Partei macht, wenn die Konstruktion, auf der ihre bisherigen Erfolge ruhen, droht, zusammenzubrechen.
AfD: Parteiströmungen „rechts“ und „sehr rechts“
Die Spannung zwischen dem Teil der Partei, der sich gern als stramm konservativ, aber bürgerlich gibt, und denen, die wie Höcke den Platz der AfD auf der Straße sehen, ist nicht neu. Tatsächlich hat das Zusammenwirken dieser Strömungen der gesamten Partei lange gut gedient: Der „Flügel“ um den Thüringer Landeschef mobilisierte vor allem in Ostdeutschland, holte für die Partei die Stimmen vieler ehemaligen Nichtwähler und derer, die bei „Pegida“ und seinen zahlreichen Ablegern ihre Wut auf die Straße trugen.
Das andere Lager heftete sich das Etikett „bürgerlich“ ans Revers und ging auf Stimmenfang bei ehemaligen Unions- und FDP-Anhängern. Wenn wieder einmal deutlich wurde, wie wenig bürgerlich Teile der Partei tatsächlich sind – weil ein Abgeordneter zum Beispiel in Chats rassistische und gewaltverherrlichende Bilder verschickt oder Mitarbeiter der rechtsextremen „Identitären Bewegung“ angehören – knirschte man bei den sogenannten Gemäßigten mit den Zähnen, beschwichtigte aber nach außen.
Auch interessant: Warum die AfD in Grenzregionen besonders stark ist
„Für die Partei war es bislang ein produktiver Konflikt zwischen den unterschiedlichen Strömungen“, sagt der Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje, der die AfD seit langem beobachtet. „Aber wer Radikalisierung endlos weitertreibt, endet in extremistischen Abgründen.“
Verfassungsschutz sieht in Auflösung des „Flügels“ Augenwischerei
Vor genau so einem Abgrund sieht der Verfassungsschutz die Partei, das hat Behördenchef Thomas Haldenwang klargemacht. Das Netz des „Flügels“ sehen die Nachrichtendienste als erwiesenermaßen rechtsextrem an, die offizielle Auflösung der Gruppe seitdem als Augenwischerei. Der Gesamtpartei droht deshalb immer noch die Beobachtung – und damit Stimmenverluste und Parteiaustritte von zahlreichen Beamten.
Parteichef Meuthen blickt auf das kommende Jahr, in dem sechs Landtage und der Bundestag gewählt werden, und will eine Beobachtung verhindern – auch, weil er selbst erwägt, für die Partei in den Bundestag zu gehen.
Doch der Versuch, rechtsextremes Gedankengut in der Partei zurückzudrängen, ist gefährlich, davon können die ehemaligen Vorsitzenden Bernd Lucke und Frauke Petry berichten. Meuthen fahre deshalb eine Doppelstrategie, sagt Hillje. „Nach innen bezeichnet er den Rauswurf als rechtliche Frage, nach außen verkauft er ihn als politischen Akt“, erklärt Hillje.
Meuthens Manöver ist riskant
Es ist ein riskantes Manöver. Behält Meuthen recht, und Kalbitz bleibt ausgeschlossen, ist eine Beobachtung damit noch lang nicht abgewendet. Setzt Kalbitz sich durch, wird Meuthen als Parteichef kaum zu halten sein.
Der Geschasste jedenfalls denkt gar nicht daran, sich einfach geschlagen zu geben. Kalbitz hat seine Ankündigung umgesetzt, juristisch gegen den Rauswurf vorzugehen, bereits in die Tat umgesetzt und das Parteischiedsgericht angerufen. Auch zivilrechtlich will er gegen die Entscheidung vorgehen. Parteienrechtler räumen ihm gute Erfolgsaussichten ein.