Berlin. Für die in der Kritik stehende Fleischindustrie sollen künftig strengere Regeln gelten. Werkverträge soll es demnach nicht mehr geben.
In der Corona-Krise richtet sich der Blick der Öffentlichkeit seit einigen Tagen besonders auf einen Wirtschaftszweig: die Fleischindustrie. In etlichen Schlachthöfen in verschiedenen Bundesländern ist es zu Corona-Ausbrüchen unter den Mitarbeitern gekommen. Seitdem steht die Branche wegen ihres Umgangs mit den meist osteuropäischen Beschäftigten sowie wegen der Arbeitsbedingungen in den Schlachthofbetrieben in der Kritik.
Der Gesundheits- und Arbeitsschutz werde massiv vernachlässigt, rechtliche Standards durch Werkverträge und ein undurchsichtiges System von Sub-Sub-Unternehmen umgangen.
Die Bundesregierung will dies nicht länger hinnehmen. Das Kabinett beschloss am Mittwoch Maßnahmen, um gegen die Missstände in Schlachthofbetrieben vorzugehen. „Wir können nicht mehr von Einzelfällen sprechen, wir haben strukturelle Probleme“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in Berlin bei der Vorstellung der neuen Regeln, die in Schlachtbetrieben künftig gelten sollen.
„Besserer Arbeitsschutz in der Fleischwirtschaft ist dringend nötig“, betonte Heil, Selbstverpflichtungserklärungen der Branchen hätten nicht zum Erfolg geführt. Immer wieder entstünden neue „kreative Lösungen“, um Gesetze zu umgehen. Das will die Regierung nun deutlich erschweren.
- Lesen Sie den Kommentar: Die neuen Regeln für Schlachtbetriebe sind längst überfällig
Das sind die neuen Regeln für die Fleischindustrie
Werkverträge: Diese in der Fleischindustrie verbreitete Form der Beschäftigung soll ab kommendem Jahr weitestgehend verboten werden. Ab 1. Januar 2021 soll das Schlachten und die Verarbeitung von Fleisch nur noch durch Angehörigen des eigenen Betriebes zulässig sein. Der bisherige Weg, dass Unternehmen bestimmte Arbeiten bei anderen Firmen einkaufen, die sich dann um die komplette Ausführung kümmern, wird damit untersagt.
Heil setzt darauf, dass bisher ausgelagerte Beschäftigte nun schrittweise direkt bei den Betrieben angestellt werden. Die gesetzliche Neuregelung soll für Unternehmen gelten, deren Kerngeschäft das Schlachten und die Fleischverarbeitung ist. Ausgenommen sind laut Heil etwa kleinere Metzgereien sowie das Endkundengeschäft im Supermarkt. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) betonte, es gebe Zustände in der Fleischindustrie, „die sind nicht haltbar“. Die Betriebe müssen Verantwortung für ihre Arbeitnehmer übernehmen und könnten sich nicht „hinter Subunternehmen wegducken“.
Stechuhren und Bußgelder: Die aktuellen Geldstrafen bei Verstößen gegen gesetzlich Arbeitszeitregeln in Schlachthöfen werden verdoppelt. Die Bußgelder steigen von derzeit maximal 15.000 auf künftig bis zu 30.000 Euro. Schlachtbetriebe werden zugleich dazu verpflichtet, die Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter elektronisch zu erfassen. Dies soll verhindern, dass Beschäftigte im ungeregelten Schichtbetrieb arbeiten. Diese beiden Neuerungen können laut Heil bereits vor dem Jahreswechsel in Kraft treten.
Kontrollen: Die Inspektionen durch die Arbeitsschutzbehörden sollen ausgeweitet werden. Heil plant hierfür eine verbindlich festgeschriebene Kontrollquote.
Unterbringung: Die Fleischkonzerne werden verpflichtet, die zuständigen Behörden über den Wohn- sowie den Einsatzort von ausländischen Arbeitskräften zu informieren. Behördliche Kontrollen sollen auf diesem Wege erleichtert werden. Zudem prüft die Regierung Maßnahmen, wie die Schlachthofbetriebe dauerhaft auf Mindeststandards bei der Unterbringung von mobilen Arbeitskräften verpflichtet werden können.
Nach der Häufung von Corona-Infektionen steht die Unterbringung der Beschäftigten in beengten Sammelunterkünften in der Kritik, weil dadurch das Ansteckungsrisiko steigt. Das Gleiche gilt für den Transport zum Arbeitsplatz in Fahrzeugen, die den Beschäftigten wenig Raum zur Einhaltung der Hygieneabstände bieten.
Reaktionen: Der Arbeitgeberverband BDA kritisiert das Vorhaben der Regierung. Es sei „inakzeptabel, wenn Verstöße und Mängel von einzelnen Unternehmen in bestimmten Branchen“ missbraucht würden, um „erfolgreiche Instrumente“ wie Werkverträge abzuschaffen. Neben einzelnem unternehmerischen Fehlverhalten sei „auch staatliches Kontrollversagen ursächlich für die Fehlentwicklungen in der Fleischindustrie“.
Gewerkschafter sind hingegen voll des Lobes. Das Verbot von Werkverträgen komme „der Beseitigung eines Krebsgeschwürs gleich“, betont der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), Freddy Adjan.
Billigpreise sind weder für die Tiere noch für die Arbeiter gut
Die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) hält die Maßnahmen für überfällig. „Die Zustände in der Fleischindustrie sind schockierend und beschämend für Deutschland“, sagte die Direktorin der deutschen Niederlassung, Annette Niederfranke, unserer Redaktion. Es herrsche „eine Art Zwei-Klassen-System“. Die hohen Arbeitsschutz- und Gesundheitsstandards, für die sich Deutschland rühme, „gelten offensichtlich nicht für alle“.
Jetzt zeige sich, „dass in manchen Bereichen nicht genügend hingeschaut und kontrolliert wird und auch über Jahre keine Konsequenzen gezogen wurden“. Dabei seien die Zustände lange bekannt. Gesetzgeber, Kommunen und Verbraucher hätten die Probleme ignoriert. „Das ändert sich hoffentlich jetzt“, sagte Niederfranke.
Sie betonte, gerade den Konsumenten müsse „klar sein, dass Billigpreise mit der Ausbeutung von Menschen verbunden sein können“. Zugleich forderte sie „eine deutlich engere Verzahnung der Arbeitsinspektionen in angrenzenden EU-Staaten“. Die Kontrollbehörden in den Grenzregionen müssten sich enger absprechen.