Berlin. Bund plant nach Corona-Infektionen Maßnahmen gegen prekäre Verhältnisse in der Fleischindustrie. Habeck fordert Fleisch-Mindestpreis.

Schlachthöfe sind die neuen Brennpunkte der Corona-Krise in Deutschland. In den vergangenen Tagen waren Hunderte Mitarbeiter in Coesfeld und Oer-Erkenschwick (Nordrhein-Westfalen), Bad Bramstedt (Schleswig-Holstein) und zuvor in Birkenfeld (Baden-Württemberg) positiv auf das Coronavirus getestet worden. Durch diese Lage ist eine neue politische Diskussion über ein altes Thema entbrannt.

Die Kritik entzündet sich an den Produktions- und Arbeitsbedingungen sowie an den extrem beengten Wohnverhältnissen von ausländischen Billigarbeitern in der deutschen Fleischindustrie. Vor diesem Hintergrund will sich das Corona-Kabinett am Mittwoch mit dem Thema befassen und Regelungen beschließen. Eigentlich hatten die Gespräche am Montag stattfinden sollen, doch es gebe noch Beratungsbedarf, hieß es am Montag aus Regierungskreisen in Berlin.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte Vorschläge für eine Änderung des Arbeitsschutzgesetzes an. Berichten zufolge sieht die Vorlage ein weitgehendes Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen vor. Bislang ist ein Großteil der Beschäftigten nicht bei den Fleischerei-Unternehmen selbst angestellt. Die Arbeiter kommen oft über Werkverträge und teils mehrere Subunternehmer aus Ost- und Südosteuropa nach Deutschland.

Merkel spricht von „erschreckenden Nachrichten“ der Fleischbranche

In vielen Fällen teilen sich mehrere Arbeitskräfte eine gemeinsame Wohnung oder leben in Sammelunterkünften. Das Infektionsrisiko ist dadurch besonders hoch. Das „Sub-Sub-Subunternehmertum“ und die teils kriminellen Unterbringungsformen seien die „Wurzel des Übels“, bemängelte Heil. Die Gesellschaft dürfe nicht länger zuschauen, wie Menschen aus anderen europäischen Ländern hierzulande ausgebeutet würden.

Auch die Union ist für Änderungen aufgeschlossen. Aus der Fleischbranche kämen „erschreckende Nachrichten“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der vergangenen Woche bei der Regierungsbefragung im Bundestag. „Gerade bei der Unterbringung gibt es erhebliche Mängel.“

Die rheinland-pfälzische CDU-Vorsitzende, Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, verlangte wie der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), Bußgelder bei Arbeitszeitverstößen in Schlachthöfen deutlich anzuheben. „Der Bußgeldrahmen sollte von 15.000 auf 30.000 Euro erhöht werden“, so Klöckner. Die SPD-Fraktion im Bundestag will strengere Regeln auch in anderen Branchen.

Grüne wollen Mindestpreis für Fleisch

Die Grünen fordern nun eine grundlegende Reform der Fleischproduktion in Deutschland. In einem sieben Punkte umfassenden Plan, der unserer Redaktion vorliegt, verlangt Grünen-Chef Robert Habeck unter anderem einen Mindestpreis für Tierprodukte, ein Verbot von Werkverträgen über Subunternehmen, bessere Haltungsbedingungen für Tiere, eine „korrekte Entlohnung“ der Mitarbeiter und eine Ausweitung der staatlichen Kontrollen in den Betrieben.

Im Lebensmitteleinzelhandel dürfe ein Mindestpreis für tierische Produkte, der auch die Produktionskosten berücksichtige, nicht mehr unterschritten werden. Warum manche Lebensmittel in der Corona-Krise deutlich teurer geworden sind, lesen Sie hier.

Auch die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) verlangt von der Bundesregierung scharfe Maßnahmen im Umgang mit der Fleischindustrie. Die Regierung müsse „mit neuen Gesetzen und glasklaren Regeln den Weg für eine grundlegende Reform der Fleischindustrie ebnen“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft, Freddy Adjan, unserer Redaktion. Das System der Werkverträge habe die schlimmsten Zustände in der Branche ermöglicht.

Fleischindustrie wehrt sich gegen Vorwürfe

Die Fleischindustrie wies den Vorwurf, flächendeckend Hygienestandards und Arbeitsschutzbestimmungen zu unterlaufen, zurück. Inzwischen seien die Belegschaften von 22 Betrieben in mehreren Bundesländern auf das Virus getestet worden, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Verbands der Deutschen Fleischwirtschaft, Heike Harstick, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Von den 9710 bis Sonnabend vorliegenden Testergebnissen seien nur 48 positiv. Dem Verband gehören auch die Firmen Westfleisch, Vion und Müller an, in deren Betrieben die Corona-Ausbrüche festgestellt wurden. Der Deutsche Bauernverband wandte sich gegen das von Heil geplante Verbot von Werkverträgen in Schlachthöfen. „Es ist zu befürchten, dass ein pauschales Verbot von Werksvertragskonstruktionen die Corona-Situation in den Betrieben und Unterkünften nicht verbessert“, erklärte der Generalsekretär Bernhard Krüsken.