Berlin. In der Coronavirus-Pandemie muss der Haushalt ein Steuer-Milliarden-Loch verkraften. Finanzminister Scholz sucht nach einer Lösung.
Die Corona-Krise hat viele Helden hervorgebracht. Die Kassierinnen an den Supermarktkassen. Die Krankenschwestern und Notärzte auf den Intensivstationen. Jetzt zählt auch Hartmut Hüsges dazu. Dem Referatsleiter in der Grundsatzabteilung des Bundesfinanzministeriums erfuhr am Donnerstag eine große Ehre. Als Deutschland auf die Horrorzahlen der schlimmsten Steuerschätzung der Nachkriegszeit wartete, nahm sich dessen Chef, Finanzminister Olaf Scholz, die Zeit, Hüsges zu danken.
Kurz vor dem Ruhestand habe der lang gediente Beamte, der mit seinen Kollegen aus den Ländern, der Bundesbank und weiteren Fachleuten die zu erwartenden Einnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden schätzt, Heroisches vollbracht. „Wahrscheinlich war noch keine Steuerschätzung so schwer wie diese. Ich bewundere diejenigen, die die Zahlen errechnen, auf die wir uns alle verlassen“, sagte Scholz. Das sei eine „sehr hohe Kunst“.
Weniger euphorisch präsentierte der Sozialdemokrat jene Zahlen, die der Beamte Hüsges und seine Mitstreiter in den vergangenen zwei Tagen akribisch berechnet haben. Die Corona-Krise reißt ein riesiges Loch in die Staatskassen. Erstmals seit der Finanzkrise 2009 sinken die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen. Sie müssen im laufenden Jahr mit 98,6 Milliarden Euro weniger auskommen, als noch im November vorhergesagt.
Coronavirus-Pandemie: Scholz kämpft um seinen Haushalt
Scholz versuchte den Eindruck zu vermitteln, dass trotz der beispiellosen Einnahmeausfälle kein Grund zu Unruhe oder gar Panik bestehe. „Willkommen in der neuen Normalität“, sagte der Vizekanzler. Allein der Bund muss mit knapp 44 Milliarden Euro weniger kalkulieren. Scholz hatte in seinem Nachtragshaushalt zunächst mit knapp 34 Milliarden Euro gerechnet.
Auch in den folgenden Jahren muss der Bund den größten Teil der Einnahmeverluste hinnehmen. Sie summieren sich 2020 bis 2024 auf 171,1 Milliarden Euro. Für die Länder beträgt das Minus im Gesamtzeitraum 95,5 Milliarden Euro, für die Kommunen 45,7 Milliarden Euro.
Scholz sähe es als Fehler, die Wirtschaft nicht zu stimulieren
Die Steuerschätzung sei nur eine Momentaufnahme, sagte Scholz. Das Virus sei eine Naturkatastrophe. Was da noch auf Deutschland, Europa und die Welt zukomme, sei ungewiss. Dennoch sei Europas größte Volkswirtschaft gut gewappnet, meinte Scholz. Die von Bund und Ländern aufgelegten Rettungsprogramme seien international gesehen mit am größten. Bislang habe Deutschland rund 335 Milliarden Euro gegen die Krise ausgegeben.
Dazu kämen nun die Steuermindereinnahmen sowie 819 Milliarden Euro an staatlichen Garantien für Kredite, die Banken an Unternehmen vergeben. Mehrmals spricht Scholz von der „Bazooka“ (einer Panzerbüchse im Zweiten Weltkrieg), die er herausgeholt habe, um gegen die Krise anzufeuern.
Nicht verkneifen will er sich den Hinweis, dass für Deutschland ein Rückgang der Wirtschaftsleistung von gut sechs Prozent vorhergesagt wird – ähnlich wie in Schweden, das mit seinen eher laschen Anti-Corona-Maßnahmen Kritikern hierzulande als Gegenmodell des rigiden deutschen Krisenmanagements dient.
Coronavirus-Pandemie: Kommunen sollen milliardenschwere Unterstützung bekommen
Es könne gut sein, „dass wir es mit dem Mittelweg ganz gut hinbekommen haben“, glaubt Scholz. Sicher kann er sich aber noch nicht sein. Deshalb folgt er dem Rat der Steuerschätzer und will die Experten im September noch einmal außerplanmäßig rechnen lassen, bevor der Haushalt für 2021 aufgestellt wird. Bereits Anfang Juni will die Regierung ein großes Konjunkturprogramm auf den Weg bringen.
Alles andere, als die Wirtschaft im richtigen Moment zu stimulieren, wäre wirtschaftspolitisch ein schwerer Fehler: „Den werde ich nicht machen“, sagte Scholz. Details wollte er noch nicht verraten. Die Digitalisierung müsse vorangetrieben werden, ebenso der Klimaschutz.
Milliardenschwere Unterstützung sollen die Kommunen bekommen. Städten und Gemeinden drohen bis zu 13 Milliarden Euro an Gewerbesteuern wegzubrechen. Viele Bürgermeister und Kämmerer sehen sich bereits gezwungen, geplante Bauprojekte auf Eis zu legen oder Neueinstellungen zu verschieben. Geht es nach Scholz, der schon vor der Krise an einer Lösung für die Altschulden bastelte, wird der Bund das verhindern. Noch gibt es aber keine Lösung.
100-Milliarden-Lücke plagt den Haushalt
In Nordrhein-Westfalen, wo viele Not leidende Kommunen beheimatet sind, regiert Ministerpräsident Armin Laschet. Er will CDU-Chef und Kanzler werden. Einen Befreiungsschlag für die Kommunen will die Union nicht allein dem sozialdemokratischen Finanzminister überlassen. Aber wer soll die gewaltigen Krisenkosten bezahlen? Muss der Bund sparen, müssen Union und SPD sich von teuren Versprechen lossagen?
Die überraschende Antwort von Scholz erinnerte an einen früheren TV-Werbespot für eine bei Senioren beliebte Kaffeemarke: „Alles soll so bleiben, wie es ist.“ Trotz der 100-Milliarden-Lücke könne sich die Regierung alles leisten, was sie sich vorgenommen habe. „Wir brauchen nicht gegen die Krise anzusparen, und wir wollen das auch nicht.“
Er kündigte auch an, dass der Bund notfalls mit Steuergeld den Sozialkassen in der Krise helfen werde, wenn deren Rücklagen aufgezehrt sein sollten. Zuletzt hatten die Krankenkassen vor höheren Beiträgen gewarnt, wenn der Bund nicht einspringe. Lesen Sie auch: Nach der Corona-Krise – spart das Land nicht kaputt!
Streit um Haushalt – Widerspruch kommt von der Union
Nicht ganz so entspannt wie Scholz zeigt sich der Koalitionspartner. Der Chefhaushälter der CDU/CSU-Fraktion, Eckhardt Rehberg, warnte vor ausufernden Kosten der Krise. Es sei zwar richtig, dass der Bund dafür jetzt hohe Schulden aufnehme. Die Gesundheit der Menschen und die Stabilisierung der Wirtschaft hätten Vorrang. „Dennoch müssen wir maßhalten.
Nicht jeder Wunsch ist sinnvoll und erfüllbar“, sagte Rehberg. Steuererhöhungen hat Kanzlerin Merkel derzeit ausgeschlossen. Die CSU würde gern Steuern senken. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter hält das für falsch: „Sie sind konjunkturpolitisch wenig hilfreich, weil die Leute das Geld eher aufs Sparkonto legen werden.“
Scholz hat bislang 156 Milliarden Euro an Schulden aufgenommen. Es könnten noch mehr werden. Davon müssen 100 Milliarden Euro von 2023 an getilgt werden. Der Bundestag hat dazu einen 20-Jahres-Tilgungsplan beschlossen. Jedes Jahr fünf Milliarden Euro, bis 2042. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans ist das zu ehrgeizig. Er fürchtet, dass dem Bund damit Spielräume für Investitionen verloren gehen.
Olaf Scholz: In der Coronavirus-Krise zum möglichen Kanzlerkandidat
Scholz erwiderte, der Bundestag habe das mit sehr breiter Mehrheit beschlossen. Außerdem sei es keine „besondere Anstrengung“, ein paar Milliarden für die Schuldentilgung abzuzwacken.
So selbstbewusst kann ein Finanzminister auftreten, den die Corona-Krise in eine Schlüsselrolle und unverhofft wieder in eine gute Ausgangslage für die SPD-Kanzlerkandidatur gebracht hat. Dabei stand Scholz vor einem halben Jahr scheinbar vor den Trümmern seiner Karriere, als die Parteimitglieder ihn nicht als Vorsitzenden wollten.
Fast genauso schnell wie die Karriere des früheren Hamburger Bürgermeisters soll sich die Wirtschaft nach Einschätzung der Steuerschätzer erholen. Sie gehen davon aus, dass bereits 2021 die Steuereinnahmen wieder fast auf Vorkrisenniveau liegen.
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