Berlin. Markus Lanz wollte Verschwörungsmythen entlarven. Die Gäste warfen aber selbst mit fragwürdigem Halbwissen zum Coronavirus um sich.
Die Corona-Pandemie lässt einige Gräben in der deutschen Gesellschaft noch tiefer werden. War es auf den sogenannten Hygiene-Demos zuerst zu obskuren Schulterschlüssen von Links- und Rechtsradikalen, Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern gekommen, kommt es jetzt immer häufiger zu Gewaltausbrüchen. Markus Lanz wollte in seiner Sendung ergründen, worin diese Wut und krude Mythen gründen.
Der Amerikanistik-Professor Michael Butter, dessen Forschungsschwerpunkt Verschwörungstheorien sind, war dafür noch der geeignetste Gast. Was der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort und der Tier- und Naturdokufilmer Dirk Steffens zu dem Thema beitragen sollten, war dagegen etwas unklar. Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange konnte zumindest aus ihrem Arbeitsalltag über die Schwierigkeiten berichten, den Bürgern bestimmte Corona-Maßnahmen zu erklären.
Markus Lanz – das waren die Gäste:
- Dirk Steffens, Moderator
- Simone Lange, SPD, Oberbürgermeisterin von Flensburg
- Prof. Michael Butter, Amerikanistik-Professor
- Prof. Michael Schulte-Markwort, Psychiater
Experte bei „Markus Lanz“: Hygiene-Demos sind typische populistische Bewegung
Derzeit gibt es in der norddeutschen Stadt nur zwei aktive Corona-Infizierte. Da führe sie häufiger Gespräche, weshalb einige Maßnahmen immer noch nicht gelockert werden, bestätigte die SPD-Politikerin auf Nachfrage von Markus Lanz. Für die Wut der Demonstranten hat sie sogar Verständnis: „Was wir in Deutschland gerade erleben, ist, dass Leute auch deshalb auf die Straße gehen, weil sie ein Stück weit Vertrauen verloren haben“, sagte Lange.
Michael Butter ist da anderer Meinung. Die Menschen, die jetzt bei den Demos anzutreffen seien, würden schon seit mehreren Jahren bei Bewegungen wie Pegida mitlaufen, erklärte der Experte für Verschwörungsmythen. „Wir haben es mit einer typisch populistischen Bewegung zu tun, die es momentan schafft, Verschwörungstheoretiker und Nicht-Verschwörungstheoretiker zu vereinen“, sagte Butter.
Psychologe zu Corona-Demos: „Kollektive Angst wird zu bloßer Wut“
Für den Wissenschaftler ist der Unterschied zwischen rationaler Kritik am Vorgehen von Bund und Ländern und dem Glauben an eine Verschwörung klar auszumachen: „Es ist eine Sache, darüber zu diskutieren: Wie gefährlich ist dieses Virus und waren diese Maßnahmen angemessen? Es ist etwas völlig anderes, zu sagen, dass es dieses Virus überhaupt nicht gibt beziehungsweise dass alles ein großer Komplott ist.“
Laut Michael Butter geben Verschwörungstheorien Antworten auf Angst und Unsicherheiten – das mache sie auch gerade jetzt, während der Corona-Pandemie, so attraktiv. Angst ist das Stichwort für Michael Schulte-Markwort, der findet, dass die Kommunikation rund um das Coronavirus angenehmer sein müsste. „Warum benutzt man zum Beispiel das schreckliche Wort Durchseuchung und spricht nicht von Immunisierung?“, fragte der Psychologe im Talk bei Lanz.
Er sorgt sich, dass durch die Wortwahl der Politik in der Corona-Pandemie die Hygiene-Demos gar erst provoziert würden: „Diese kollektive Angst, die dann umschlägt in ein Gefühl der Entmündigung, wird zur bloßen Wut.“
„Markus Lanz“: Psychologe äußert fragwürdiges Halbwissen zu Corona
Weil sich der Kinder- und Jugendpsychiater so sorgt, dass unterbewusst zu viel Angst vor Corona geschürt werde, scheint er bei Markus Lanz eine entgegengesetzte Strategie fahren zu wollen. Schulte-Markwort spielte die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, nicht nur herunter – die ausgelöste Krankheit sei leicht – er argumentierte auch mit fragwürdigem Halbwissen: „Wir haben in Deutschland 8000 Menschen durch Corona verloren. Jährlich sterben 900.000 – das sollte man einfach mal so nebeneinander stehen lassen.“ Lesen Sie hier: Corona-Glossar: Die wichtigsten Begriffe rund um das Virus
Der Psychologe glaubt, dass es nur regionale Übersterblichkeiten durch Corona gäbe, beispielsweise auch in Italien. Dass die aktuellen Sterbestatistiken in vielen Ländern, die auf die Pandemie nicht so schnell reagiert haben wie Deutschland, mittlerweile eine deutliche Übersterblichkeit implizieren, ignoriert Schulte-Markwort. Er sei aber auch „kein Hellseher, kein Virologe oder Epidemiologe“.
- Alle aktuellen Entwicklungen zum Thema Coronavirus lesen Sie in unserem News-Blog: WHO warnt: Coronavirus verschwindet vielleicht nie wieder
Lanz zu Corona-Pandemie: Dirk Steffens vergleicht Tote mit Kirschblüten
Als ausgerechnet Dirk Steffens, der normalerweise die Dokureihe „Faszination Erde“ moderiert, dem Ganzen noch eins drauf setzte, indem er die Sterblichkeit durch Corona mit herunterfallenden Kirschblüten vergleicht, guckte Moderator Markus Lanz so skeptisch wie lange nicht mehr in seiner Sendung. Als der Psychologe in der Runde dann noch Schweden als Positiv-Beispiel anführte, kam Lanz aus den kritischen Nachfragen gar nicht mehr raus.
Schulte-Markwort, der die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf leitet, wünscht sich jedenfalls von seinem Fachgebiet ausgehend, dass Kitas und Schulen möglichst schnell wieder öffnen. Da Kinder keine Risikogruppe sind, gäbe es „überhaupt keinen Grund“ sie einzuschränken. Dass die jüngeren Familienmitglieder möglicherweise aber sogenannte „Superspreader“ des Virus sein könnten, ist wohl nicht in seine Überlegung eingeflossen.
Markus Lanz kann man dagegen nur wünschen, dass in der nächsten Sendung vorwiegend Experten sitzen, deren Fachgebiet zum Thema der Sendung passt. Gerade bei der sensiblen Diskussion über Verschwörungstheorien und Ängste in der Gesellschaft braucht es Talk-Gäste, die wissen, wovon sie sprechen.
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