Berlin. Die Lockdowns stürzen viele arme Länder in Arbeitslosigkeit und Hungersnot. Dies wirkt als Brandbeschleuniger für bewaffnete Konflikte.

Das Coronavirus kennt keine Grenzen. Es macht vor keinem internationalen Konflikt, vor keinem Krieg halt. Die Lockdowns treiben viele Menschen in den ärmeren Ländern in die Arbeitslosigkeit. Die Nahrungsmittelpreise schießen nach oben, die Gefahr von Hungersnöten steigt. Das erhöht die Unzufriedenheit mit den Herrschenden.

„Der wirtschaftliche Zusammenbruch im Zuge der Corona-Krise wird Konsequenzen in allen Konfliktgebieten haben“, sagt Robert Malley, Präsident der Denkfabrik International Crisis Group, dieser Redaktion. „Wir stehen am Beginn einer Ära von Unruhen, die sich in einem Land nach dem anderen beschleunigen werden“, so Malley.

Bereits vor Corona seien viele Menschen aus Unzufriedenheit über die Politik im Irak, Sudan, Libanon, in Algerien oder Lateinamerika auf die Straße gegangen. „Das wird sich während der Pandemie noch verschlimmern“, prophezeit Malley.

Der Appell von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, während der Pandemie eine globale Waffenruhe auszurufen, verhallte weitgehend. Ein Überblick über fünf der aktuell größten Spannungsgebiete.

Coronavirus: In der Ukraine wird weiter gekämpft

Ukraine: Trotz der Hoffnungen auf eine Waffenruhe mitten in der Corona-Epidemie toben die Gefechte im Osten der Ukraine weiter. In dem seit 2014 andauernden Bürgerkrieg kämpfen ukrainische Regierungstruppen gegen pro-russische Rebellen. Mehr als 13.200 Menschen verloren bislang ihr Leben. Die Seuche schwappte sowohl über das von der ukrainischen Armee kontrollierte Gebiet als auch auf den Donbass über.

Die renommierte Johns-Hopkins-Universität in Baltimore (USA) registrierte bis Montag 15.648 Infizierte und 408 Todesfälle – Tendenz stark steigend. Um die Ausbreitung des Virus zu stoppen, wurden die fünf Grenzübergänge entlang der mehr als 400 Kilometer langen Kontaktlinie auf beiden Seiten dichtgemacht. Die Blockade trifft vor allem die Rentner im Donbass, die nun ihre Altersruhegelder auf dem von der ukrainischen Regierung überwachten Gebiet nicht mehr abholen können.

Doch an der politischen Front herrscht weitgehend Stillstand. Mit Blick auf die beim Pariser Gipfel der vier Staats- und Regierungschefs im Dezember vereinbarten Ziele gab es keine Einigung: Eine Waffenruhe bleibt ebenso in weiter Ferne wie die Entflechtung von militärischem Personal und Kriegsgerät oder die Schaffung neuer Übergänge entlang der Kontaktlinie.

Libyen: In den Lagern droht eine humanitäre Katastrophe

Libyen: Es war ein Alarmruf in Zeiten von Corona. Die UN-Unterstützungsmission für Libyen (UNSMIL) forderte eine Waffenruhe für das vom Bürgerkrieg schwer gezeichnete Land. Den Behörden solle damit die Möglichkeit gegeben werden, Libyen vor einer Ausbreitung des Coronavirus zu schützen, erklärte die UN-Mission. Bis Montag registrierte die Johns-Hopkins-Universität 64 Corona-Infizierte und drei Todesfälle im Land. Doch die Zahlen täuschen.

Das Virus kann sich mit rasender Geschwindigkeit ausbreiten: Es mangelt an medizinischem Personal und Hospitälern. Intensivbetten sind rar, eine Infrastruktur für Corona-Tests gibt es nicht. Gefahr droht vor allem in den Lagern, in denen rund eine Million Flüchtlinge aus Zentral- und Westafrika zusammengepfercht leben. Die UN warnen: Sollte sich das Virus dort ausbreiten, muss mit einer humanitären Katastrophe gerechnet werden.

Libyen: Auch zahlreiche ausländische Mächte mischen mit

Am Kriegsgeschehen in Libyen ändert das nichts. Der einflussreiche General Chalifa Haftar und Präsident Fajes al-Sarradsch von der schwachen Einheitsregierung liefern sich in den Außenbezirken der Hauptstadt Tripolis einen Kampf bis aufs Messer. Am 6. April feuerten Haftars Truppen Raketen auf die al-Hadba-Klinik, die für Covid-19-Patienten ausgestattet ist.

Haftar, dessen Truppen den Osten und Süden des ölreichen Landes kontrollieren, hatte seinen Vernichtungsfeldzug vor gut einem Jahr gestartet. Libyen war nach dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi 2011 ins Chaos gestürzt. Mehrere Hundert Milizen kämpfen seitdem um Einfluss.

Dabei mischen auch zahlreiche ausländische Mächte mit. Die Regierung ist mit der Türkei, Katar und Italien verbündet und setzt auch auf islamistische Milizen. General Haftar erhält Rückendeckung durch Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Syrien: Die Kämpfe in der Rebellen-Provinz Idlib haben nachgelassen

Syrien: Es ist ein kleiner Lichtblick in Corona-Zeiten: Die Kämpfe in der nordwestsyrischen Provinz Idlib haben nachgelassen. Das Gebiet ist die letzte Hochburg der Rebellen gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Islamistische Milizen haben dort die Oberhoheit. Die Türkei unterstützt diese im Kampf gegen Assad. Der wiederum hat Russland und den Iran an seiner Seite.

Die relative Beruhigung liegt zum einen daran, dass die syrischen Truppen ihre Offensive wegen der Corona-Krise eingefroren haben. Zudem hat Ankara den türkischen Soldaten in Nordsyrien wegen Covid-19 eine massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit verordnet. Nach den ersten Infektions-Fällen Mitte April im Nordosten ist die Angst vor einer massenhaften Ausbreitung groß. Laut Zählung der Johns-Hopkins-Universität gab es in Syrien bis Montag 47 Infektionen und drei Tote.

Syrien: Gefährdet sind vor allem die rund eine Million Flüchtlinge

Gefährdet sind vor allem die rund eine Million Flüchtlinge in der Provinz Idlib. Hunderttausende Zivilisten nahe der türkischen Grenze leben unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und ohne Zugang zu medizinischer Grundversorgung.

Coronavirus- Assad warnt vor Katastrophe in Syrien

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    Der Hauptgrund für ein Abflauen der Gefechte ist aber die Waffenruhe, auf die sich der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan am 5. März geeinigt hatten. „Aber das ist wahrscheinlich nur eine Atempause vor der nächsten Offensive der syrischen Regierung“, meint Robert Malley von der International Crisis Group.

    Afghanistan: 25 Millionen der 36 Millionen Einwohner könnten sich infizieren

    Afghanistan: In der Provinz Herat im Westen Afghanistans sind die ersten Menschen an Covid-19 erkrankt. Laut Johns-Hopkins-Universität wurden bis Montag 4402 Corona-Fälle im Land registriert, 122 Menschen verstarben. Experten rechnen angesichts des Mangels an Ärzten, Krankenhäusern und Corona- Tests mit einem exponentiellen Anstieg der Infektionskurve. Gesundheitsminister Firozuddin Firoz schlug bereits Alarm: „25 der 36 Millionen Einwohner des Landes könnten sich mit dem Coronavirus infizieren.“

    Die große Hoffnung der Amerikaner hat sich bislang nicht erfüllt. Die USA hatten Ende Februar ein Abkommen mit den radikal-islamischen Taliban unterzeichnet. Dies sah den schrittweisen Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan und Friedensgespräche zwischen Taliban und Regierung vor. Demnach wollen die Amerikaner bis Mitte Juli ihre Truppen von etwa 12.000 auf 8600 Soldaten reduzieren. Auch die Bundeswehr hat angekündigt, ihr Kontingent von etwa 1300 Soldaten herunterzufahren.

    Afghanistan: „Gewalt als wichtigster Hebel der Taliban“

    Im Zuge dessen stellten die Taliban, die mehr als die Hälfte des Landes kontrollieren, ihre Angriffe auf Truppen der internationalen Koalition ein. Sie verstärkten aber ihre Attacken auf die Streitkräfte der Regierung. An dieser Lage dürfte sich nichts ändern.

    „Die Taliban sehen Gewalt als ihren wichtigsten Hebel an. Sie fürchten, dass eine längere Unterbrechung der Kämpfe ihren inneren Zusammenhalt gefährden könnte“, unterstreicht Robert Malley von der International Crisis Group.

    Mali: Rund die Hälfte der Einwohner lebt unter der Armutsgrenze

    Mali: Das westafrikanische Mali ist eine Drehscheibe für Terrorismus, illegale Migration und organisierte Kriminalität. Ungefähr die Hälfte der 19 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Das Land hat ein altes und ein neues Problem. Das alte: Islamistische Milizen – Ableger vom IS oder von Al-Qaida – bekämpfen die Regierung in Bamako und terrorisieren die Zivilbevölkerung.

    Das neue: Die Corona-Pandemie verschärft die bereits massive Notlage der Menschen. Nach Berechnungen der Johns-Hopkins-Universität vom Montag gab es 704 Infektionen und 38 Todesfälle. Doch im Land grassiert die Angst vor einer rasanten Ausbreitung des Virus. Für die gesamte Bevölkerung gibt es gerade mal vier Betten auf Intensivstationen.

    Mali: EU und UN wollen das Land vor dem Kollaps bewahren

    EU und UN sind in Mali aus zwei Gründen militärisch präsent: Sie wollen das Land vor dem politischen Kollaps bewahren und neue Flüchtlingswellen vermeiden. Die große Koalition beschloss Anfang Mai ein neues Bundehrmandat für die Beteiligung an der EU-Ausbildungsmission EUTM.

    Es sieht eine Entsendung von bis zu 450 Soldaten vor, 100 mehr als bisher. Zudem ist die Bundeswehr an der UN-Mission Minusma in Mali mit bis zu 1100 Soldaten beteiligt. Bei Kampfeinsätzen macht die Bundeswehr hingegen – anders als die frühere Kolonialmacht Frankreich – nicht mit.

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