Berlin. Prüfungen sind zurzeit eine Herausforderung. Was Corona für Abiturienten bedeutet – und wie der Nachteil für sie reduziert werden kann.

Lilith hatte einen klaren Plan für 2020. Bis Mitte April wollte die Gymnasiastin pauken bis zum Umfallen, dann die Abi-Klausuren schreiben, im Sommer ein paar Wochen in Italien jobben und zum Wintersemester Medizin studieren. Dann kam Corona – und die 18-Jährige wusste lange nicht, ob ihr Jahrgang überhaupt ein richtiges Abitur machen würde. Jetzt steckt sie mittendrin.

Doch reichen ihre Leistungen unter den heiklen Pandemie-Bedingungen noch für den strengen Numerus clausus der Mediziner? Nicht nur Lilith macht sich Sorgen um den Wert des Corona-Abiturs. Verbaut die Pandemie einem ganzen Jahrgang die Chancen?

Corona-Abitur: Kein Schüler soll wegen Corona Chancen verlieren

„Für den Abiturjahrgang 2020 darf kein Nachteil entstehen“, sagt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbands. Bei der Bewertung der Leistungen müsse man die besonderen Bedingungen, unter denen das Abitur in diesem Jahr stattfinde, berücksichtigen. „Corona darf nicht den Lebenslauf eines ganzen Jahrgangs abwerten“, sagte der Jurist unserer Redaktion.

Besondere Bedingungen? Seit Wochen protestieren Abiturienten gegen ein Abitur im Ausnahmezustand: Den einen fehlt die Ruhe zum Lernen, weil wegen der Schließungen von Kitas und Schulen die jüngeren Geschwister auch tagsüber zu Hause sind. Die anderen leiden unter der wochenlangen Unsicherheit in der Phase des Endspurts, unter dem Hin und Her der Kultusminister, die sich lange nicht auf eine einheitliche Linie beim diesjährigen Abitur einigen konnten.

Coronabonus für Abi-Note? Ein Nachteilsausgleich ist in Überlegung

Wieder andere erleben die bedrückte Stimmung der Eltern, denen Arbeitslosigkeit oder Existenznot droht. Viele haben auch schlicht Angst davor, sich oder Familienmitglieder anzustecken. Von gleichen Prüfungsvoraussetzungen könne jedenfalls nicht die Rede sein, warnen auch Experten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).

Die Bedingungen beim Distanzlernen seien in den vergangenen Wochen für die Schüler sehr unterschiedlich gewesen. Hinzu komme der enorme psychische Druck angesichts der Corona-Pandemie.

Masken statt Abifahrt und Abifeier: Die Abiturwochen sehen dieses Jahr für die Schüler anders aus als gewöhnlich.
Masken statt Abifahrt und Abifeier: Die Abiturwochen sehen dieses Jahr für die Schüler anders aus als gewöhnlich. © Deutsche Presse-Agentur | Matthias Bein

Doch was hilft das Verständnis, wenn Lilith und die anderen Abiturienten am Ende keine Studienplätze bekommen, weil ihr Abiturschnitt für den Numerus clausus zu schlecht ist? Wie lässt sich Chancengleichheit herstellen?

Jurist Bernhard Kempen macht eine klare Ansage: „Sollten die Leistungen der Schüler am Ende signifikant schlechter ausfallen als im Durchschnitt der letzten Jahre, dann erwarte ich einen Nachteilsausgleich. Alles andere wäre ungerecht.“ Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek denkt in diese Richtung: Man müsse jetzt beobachten, wie die Prüfungen laufen.

Abitur 2020: Aktuelle Rahmenbedingungen sollen berücksichtigt werden

„Wenn man deutschlandweit feststellt, dass sich die derzeitige Lage negativ auf die Noten auswirkt, kann gegebenenfalls nachgesteuert werden“, hatte die CDU-Politikerin jüngst im Interview mit unserer Redaktion angeregt.

Die Hochschulrektoren beobachten das Abschneiden der künftigen Studienanfänger ebenfalls aufmerksam: Sollte der Jahrgang deutlich schlechter abschneiden als der Durchschnitt der letzten Jahre, „müsste man sehr sorgfältig prüfen, woran das liegt und ob man darauf reagieren muss“, sagte Peter-André Alt, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz unserer Redaktion. Welche Möglichkeiten aber gäbe es, den Corona-Nachteil auszugleichen? Das müssen Studierende zur Corona-Krise wissen.

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    Die erste Variante liegt bei den Schulen selbst. Lehrer an Berliner Schulen bekamen bereits Ende April in einem Schreiben der Bildungsverwaltung mitgeteilt, wie sie mit den aktuellen Leistungen der Schüler umgehen sollen: Der „pädagogische Beurteilungsspielraum“ solle so ausgeübt werden, „dass gute Leistungen sich positiv auf die Notenbildung auswirken, eine Notenverschlechterung jedoch einen Ausnahmefall darstellen sollte“.

    Bei Schülern, die schlechter abschnitten als in den Monaten vor Corona, sollten die aktuellen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden. „Dabei spielt es eine erhebliche Rolle, dass die Gleichwertigkeit der Lernbedingungen zu Hause nicht sichergestellt werden kann.“ Heißt: Kein Schüler soll wegen Corona abrutschen.

    Bonus für Corona-Abitur wenn sich Noten verschlechtern

    Die zweite Variante könnte greifen, wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass sich der Abiturjahrgang 2020 trotz allem bundesweit im Schnitt gegenüber den Jahrgängen der letzten Jahre verschlechtert hat. Beim Hochschulverband, wo über 31.000 Hochschullehrer organisiert sind, gibt es bereits erste Überlegungen dazu:

    „Wenn die Abiturnoten 2020 im Schnitt 0,4 oder 0,5 Punkte schlechter wären, müssten die Schüler einen Bonus bekommen“, sagt Verbandspräsident Kempen. Dazu müssten nicht gleich die Abiturzeugnisse geändert werden.

    „Denkbar wäre zum Beispiel, dass die Hochschulen bei den zulassungsbeschränkten Fächern einen angemessenen Bonus gewähren. Dazu müssten sich die Länder und die Hochschulrektoren auf eine bundesweit einheitliche Regelung einigen.“ Sollte Abiturientin Lilith auf einen Abi-Schnitt von 1,4 statt 1,0 kommen, hätte sie mit einem solchen Bonus dann immer noch Chancen auf einen Medizinstudienplatz.

    Der Zeitplan für eine solche Lösung ist allerdings knapp: „Durch das späte bayerische Abitur werden wir erst im Juli sämtliche Ergebnisse haben. Dann muss schnell eine Entscheidung fallen, damit es für die Bewerbungen zum Wintersemester reicht“, mahnt Kempen.

    Abiturprüfungen machen nur kleinen Teil der Leistungen aus

    Ministerin Karliczek und Hochschulrektorenpräsident Alt wollen erst einmal abwarten und geben sich optimistisch: Er glaube nicht, dass der Abiturjahrgang 2020 wegen der Corona-Krise schlechtere Startchancen an den Hochschulen habe, sagt Alt. „Die Schüler haben zwar einige Wochen Unterricht verloren, doch das wird vermutlich nicht dazu führen, dass sie beim Abitur flächendeckend schlechter abschneiden.“

    Man dürfe ja nicht vergessen, dass die Abiturprüfungen nur einen kleinen Teil der Gesamtleistung ausmachten. Auch Karliczek findet, „dass die Abiturienten gut mit der Situation klarkommen“.

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    Viel größere Sorgen macht sich Hochschulpräsident Alt um die jetzigen elften und zwölften Klassen: „Für die Schüler, die in einem Jahr ihr Abitur machen wollen, ändert sich gerade sehr viel“, warnt der Germanist. „Ein Schulsystem, das von heute auf morgen größtenteils in den digitalen Betrieb umschaltet, kann man nicht einfach mit dem herkömmlichen System vergleichen.“

    Coronavirus: Abi-Jahrgang 2021 als großes Problem

    Von den jetzigen Oberstufenschülern werde gerade ein Maß an Selbstorganisation gefordert, das gerade den Jüngeren einiges abverlange. „Das muss man in Rechnung stellen, wenn man die Leistungen dieser Schüler am Ende bewertet.“ Anders als bei den aktuellen Abiturienten sieht Alt beim Abi-Jahrgang 2021 viel eher die Notwendigkeit, einen Bonus zu verteilen:

    „Es ist möglich, dass die durchschnittlichen Ergebnisse schlechter ausfallen als in den vergangenen Jahren, wenn wir erst 2021 wieder zum flächendeckenden Präsenzunterricht kommen.“ Sollte das geschehen, müsse man „über einen Ausgleich nachdenken, um die Chancengleichheit zu wahren“.

    Kommentar: Corona-Bonus für Schüler? Es droht ein Abi zweiter Klasse

    Die Hochschulen, sagt Alt, stellten sich bereits auf ein digitales Wintersemester 2020/21 ein. Auch bei den Schulen könnte es bis weit in das nächste Schuljahr hinein dauern, bis die Sondersituation beendet ist und wieder an allen Schulen regulärer Unterricht stattfinden kann.

    Möglicherweise komme es bei einer zweiten Infektionswelle sogar noch einmal zu einem Lockdown. „Wenn wir also überhaupt von einem Corona-Jahrgang sprechen, dann ist es der Abiturjahrgang 2021.“