Mehrhoog. Nazis machen sich in Hoerstgen breit. In Mehrhoog bei Hamminkeln kennt man das. Die Menschen dort haben Tipps für den Umgang mit Rechtsradikalen.
Als im Herbst vor vier Jahren Flüchtlinge in der Hogenbuschhalle untergebracht wurden, da zeigte sich, was sich in Mehrhoog verändert hat. Einige wenige Rechte pöbelten, sehr viel mehr Menschen packten mit an und unterstützten die Neuankömmlinge. Die Quelle der Welle dieser Hilfsbereitschaft, so glauben nicht Wenige, liegt in der Zeit, als das Dorf als „braunes Kaff am Niederrhein“ verschrien war, zugleich aber die Dorfgemeinschaft zusammenwuchs.
Mehrhoog, rund 7000 Einwohner, ein Straßendorf, das erst in den vergangenen Jahrzehnten gewachsen ist durch den Zuzug aus dem Ruhrgebiet. Um die Jahrtausendwende wurde die ländliche Idylle empfindlich gestört, ein gutes Dutzend junger Mehrhooger driftete nach ganz rechts außen ab.
Nazis in Mehrhoog: Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke
Glatze, Springerstiefel, Bomberjacke, der martialische Look der Nazi-Szene in den ausgehenden neunziger Jahren. Angsteinflößend. „Alte Leute haben die Straße gewechselt, wenn diese Typen ihnen entgegenkamen“, erinnert sich Michael Möllenbeck, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins von Mehrhoog und Ratsherr in Hamminkeln.
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Beim Landesverfassungsschutz erinnert man sich an die rechte Szene in Mehrhoog. Sie sei eingebunden gewesen in die damals im Kreis Wesel und den angrenzenden Kreisen aktive Kameradschaft Niederrhein, so eine Sprecherin des Landesinnenministeriums auf Anfrage unserer Redaktion.
Auch Kevin G., die Führungsfigur der „Volksgemeinschaft Niederrhein“ (VGN), sei damals in diesen Kreisen aktiv gewesen. Die VGN ist heute in Hoerstgen, einem Dorf bei Kamp-Lintfort, präsent und verstört dort die Menschen. Auf dem Grundstück des Neonazis G. finden regelmäßig Feiern statt, zu denen Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen.
Neonazis aus ganz Deutschland reisten nach Hamminkeln
Das klingt für Michael Möllenbeck vertraut: „Damals sind aus ganz Deutschland Nazis nach Mehrhoog gekommen, um Hitlers Geburtstag zu feiern, manchmal 100 Leute und mehr.“ Zeitzeugen erinnern sich an kleinere Aufmärsche, Kriegsspiele in den Wäldern und Biwaks auf dem Truppenübungsplatz. Regelmäßig wurden Jugendliche aus der linken Szene verfolgt, bedroht und verprügelt. Anfangs schaute die Dorfgemeinschaft weg.
„Das wächst sich aus“ oder „das betrifft uns doch nicht“, sei ihm beschieden worden, sagt Möllenbeck. „Mölle“, wie ihn alle im Dorf nennen, ärgerte sich. Er ist überzeugter Antifaschist. Es tat ihm weh zu sehen, wie Jungs abdrifteten, die er kannte, etwa der Torwart seiner Handballmannschaft, eigentlich ein netter Typ. „Die meisten waren einfach nur dumme Jungs“, sagt Möllenbeck. Möglicherweise, glaubt er, seien sie von außen angestiftet worden, von Leuten, die er die „Mantelträger“ nennt.
Staatsschutz warnte: Tochter wird bedroht
Der Landesverfassungsschutz weiß, dass die Mehrhooger Skinheads Verbindungen zum damaligen NPD-Kreisverband Wesel hatten. Möllenbeck stellte sich den Nazis entgegen und wurde von ihnen angefeindet. „Körperlich haben die mir nie etwas getan.“ Einmal allerdings habe ihn der Staatsschutz informiert: „Wir haben eine Bedrohungslage gegen ihre Tochter.“ Da wurde ihm mulmig.
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Fast genau vor 20 Jahren, im September 1999 fand die erste Demo gegen die Rechten statt, in Hamminkeln. Die Situation im Dorf änderte sich, als Burger King in Wesel eine neue Filiale eröffnete. Der Geschäftsführer, ein Mann mit Migrationshintergrund, wollte in Mehrhoog ein Haus bauen. Bekannte rieten ihm davon ab, wegen des Rufs des Dorfes. Er baute nicht.
Das war der Punkt, an dem Möllenbeck die Leute vom Gewerbestammtisch davon überzeugen konnte, dass man etwas tun muss. „Ich konnte ihnen klar machen, dass die Nazi-Aktivitäten sie sehr wohl betreffen. Den Bau-Unternehmer, der jetzt keinen Auftrag bekam, den Elektriker, den Installateur.“
2000 verkünden Vereine die Mehrhooger Erklärung
Der Widerstand gegen die braunen Umtriebe wurde im Dorf stärker und gipfelte im Dezember 2000 in einer gemeinsamen Erklärung sämtlicher Vereine des Dorfes, von den Anglern bis zu den Taubenzüchtern. „Wir wehren uns gegen Gewalt und Diskriminierung“ stand darin, und: „Wir zeigen Zivilcourage im Alltag.“
Holger Schlierf, zu dieser Zeit noch Beigeordneter in Hamminkeln, ab 2001 der Bürgermeister der Stadt, erzählt: „Ich hatte den Eindruck, die Leute waren es einfach leid. Sie haben Flagge gezeigt und Mut bewiesen.“ Mut, erinnert sich Schlierf, habe es gebraucht: „Die waren gewaltbereit. Das war eine schlimme Zeit.“
Ein tragischer Unfall beendet den Spuk
Im August 2003 kam es zu einem tragischen Unglück, das das Ende des braunen Spuks einläutete. Bei einem Autounfall starben drei der jungen Neonazis, noch heute erinnert eine kleine, verwitterte Gedenkstätte an der Straße nach Hamminkeln daran. „Da ist dann einiges weggebrochen“, sagt Schlierf.
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Der Verfassungsschutz bezeichnet den Unfall als „Zäsur“, in dessen Folge die Aktivitäten der übrig gebliebenen Nazis nachließen und die Struktur zerbrach.
Die Entscheidung, die Flüchtlinge im Herbst 2015 in Mehrhoog unterzubringen, war eine von Schlierfs letzten Amtshandlungen als Bürgermeister. Er hat sie nicht bereut. „Die Mehrhooger haben sich richtig ins Zeug gelegt.“ Er glaubt, das hat auch etwas mit damaligen Ereignissen zu tun: „Die Leute wollen nicht, dass ihr Dorf als braunes Nest verschrien ist.“
Was tun? Möllenbeck: Jede Kleinigkeit anzeigen
Heute, sagt Möllenbeck, gibt es noch einige im Dorf mit einer rechtsextremistischen Einstellung. Aber die Nazis sind älter geworden, manche haben Familien gegründet. Wenn sie sich zeigen, dann meistens im Internet. „Seit vielen Jahren tritt die Szene nicht mehr organisiert auf“, berichtet der Verfassungsschutz.
Was Michael Möllenbeck den Menschen in Hoerstgen rät, die sich jetzt mit Nazi herumplagen müssen? „Wehret den Anfängen. Zeigt möglichst jede Kleinigkeit an. Informiert Polizei und Staatsschutz. Lasst ihnen keine Ruhe.“