Düsseldorf. Frühe Hinweise auf Mitglied des Kinderschänder-Rings von Bergisch Gladbach wurden in Wesel nicht ernst genommen. Verdächtiger täuschte Behörden.
Anfang Juni bekommt die Polizei in Wesel den Fall eines Familienvaters auf den Tisch, der seinen fünfjährigen Stiefsohn und die dreijährige Tochter sexuell missbraucht haben soll. Die Ehefrau hat ihn angezeigt. Der Junge hat sich der Mutter gegenüber offenbart. Das Jugendamt ist eingeschaltet. Noch am selben Abend erscheint der Beschuldigte, ein Zeitsoldat der Bundeswehr, auf der Wache und gibt sich „reumütig und therapiebereit“.
So hat die Polizei die Gemütslage des Mannes später zumindest eingeschätzt, wie Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Mittwoch in einer Fragestunde des Landtags zusammenfasst. Er habe die Kinder in der Vergangenheit fünfmal im Genitalbereich berührt und früher schon einmal Kinderpornografie konsumiert, gibt der Mann an. Es scheint eine „Lebensbeichte“ zu sein. Die Kinder sind inzwischen in Sicherheit, es besteht also keine Wiederholungsgefahr.
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Nach den Schilderungen steht – rein juristisch betrachtet – kein schwerer Missbrauch im Raum. Der Mann kann wieder gehen. Die zuständige Staatsanwaltschaft Kleve beantragt keinen Haftbefehl. Allerdings gibt es auch keine Hausdurchsuchung. Nicht einmal die Kinder selbst werden von Experten vernommen. Auch nicht, als Anfang Juli Hinweise aus einem Kindergarten in Kamp-Lintfort kommen, die auf weitere Missbrauchstaten an dem Stiefsohn hindeuten.
NRW-Justizminister Biesenbachbedauert handwerkliche Fehler
Die Einschätzung der Staatsanwaltschaft Kleve, keine Durchsuchungsmaßnahmen einzuleiten und auf die Vernehmung der Kinder zu verzichten, „teile ich nicht“, stellt der Generalstaatsanwalt in einem Bericht an Justizminister Biesenbach fest. Wer weiß, wie selten „der General“ das Vorgehen der ermittelnden Kollegen klipp und klar als falsch einstuft, ahnt: Hier ist eine dicke Justizpanne unterlaufen.
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Der Soldat aus Wesel gehört mutmaßlich zu einem riesigen Netzwerk, in dem 1800 Männer Fotos und Filme von Missbrauchstaten tauschten oder sogar ihre eigenen Kinder zur Vergewaltigung anboten. Mittlerweile geht man davon aus, dass der Mann aus Wesel mit seiner „Lebensbeichte“ bei der Polizei nur die Spuren auf viel schwerwiegendere Missbrauchstaten verwischen wollte. Hinweise auf den Kinderschänder-Ring erhielt die Polizei erst Ende Oktober, als sie bei einem Mann in Bergisch Gladbach zehn Terabyte Daten sicherstellte.
Innenminister Reul: Polizeiarbeit entprach nicht Qualitätsanspruch“
Hätte das Netzwerk schon Monate vorher entdeckt werden können, wenn die Behörden in Wesel wachsamer gewesen wären? Biesenbach sprach von „handwerklichen Fehlern“, die er sehr bedaure. Auch Innenminister Herbert Reul (CDU) räumte ein, dass die Polizeiarbeit „nicht meinem hohen Qualitätsanspruch“ entsprochen habe. Zugleich machte Reul klar, dass der Sicherheitsapparat Lehren aus dem Missbrauchsskandal auf dem Campingplatz im ostwestfälischen Lügde vor einem Jahr gezogen habe. Damals konnte ein kleines lokales Netzwerk über Jahre Kinder missbrauchen und die Grausamkeiten filmen. Die Behörden vor Ort dilettierten wochenlang vor sich hin.
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Diesmal wurde die Staatsanwaltschaft schnell eingeschaltet. Der Fall ging nach Bekanntwerden der Dimension in Bergisch Gladbach umgehend an Spezialisten in Köln. Dort kümmert sich eine riesige „Besondere Aufbauorganisation“ (BAO) mit 250 Beamten um die Auswertung des gewaltigen Datenbergs auf 2400 Datenträgern. Die besonders geschulten Staatsanwälte der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime“ (ZAC) sind eingeschaltet. Dennoch ist man in Düsseldorf erkennbar betroffen, dass auch diesmal frühe Hinweise in Wesel nicht seriöser verfolgt wurden. „Wo Kinderpornografie ist“, sagte Innenminister Reul mit belegter Stimme, „ist sehr oft auch Missbrauch.“