Bonn. Ein Deutscher hatte 2018 einem Professor die Kippa vom Kopf geschlagen. Jetzt wurde der Angeklagte wegen Volksverhetzung verurteilt.
Im Juli 2018 attackierte ein Deutscher mit palästinensischen Wurzeln im Bonner Hofgarten den israelischen Professor Jitzchak Jochanan Melamed. Er hatte dem in den USA lehrenden Philosophie-Professor mehrfach seine Kippa vom Kopf geschlagen.
Jetzt wurde der Angeklagte wegen Volksverhetzung verurteilt. Das Gericht verurteilte den 21-Jährigen zu einer Gesamtstrafe von viereinhalb Jahren - darin enthalten ist aber auch eine frühere Verurteilung wegen eines Raubüberfalls in Höhe von drei Jahren und neun Monaten, die er derzeit absitzt.
Auch wurde der Angeklagte wegen Beleidigung in einem anderen Fall verurteilt. Der 21-Jährige hatte gestanden, dem Professor aus den USA im Juli 2018 im Bonner Hofgarten mehrfach die Kippa vom Kopf geschlagen zu haben.
Melamed: Vertrauen in das deutsche Justizsystem verloren
„Sie haben ein Symbol des jüdischen Glaubens vom Kopf geschlagen“, sagte die Vorsitzende Richterin Susanne Grunert. Dies sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden. Die Staatsanwaltschaft hatte viereinhalb Jahre gefordert, die Verteidigung nicht mehr als vier.
Der Professor selbst erschien nicht als Zeuge, weil er nach Worten seiner Anwälte das Vertrauen in das deutsche Justizsystem verloren hat. Der Wissenschaftler war kurz nach dem Vorfall von vier Polizisten überwältigt worden, weil sie ihn irrtümlich für den Täter gehalten hatten.
Kippa-Prozess: Angeklagter hält sich für „Hitler Nummer 2“
Der Angeklagte gab in der Verhandlung zu, den Professor beleidigt, getreten und ihm mehrfach die Kippa vom Kopf geschlagen zu haben. Laut Anklage schrie er unter anderem „Du bist Jude!“ und „Kein Jude in Deutschland“. Nach Aussage einer Polizistin, die als Zeugin aussagte, brüstete er sich im Verhör damit, er sei „Hitler Nummer 2“, und drohte: „Ich steche alle Juden ab!“
In der Verhandlung sagte der 21-Jährige, der Angriff auf den Professor tue ihm leid: „Ich schäme mich sehr dafür.“ Seine Anwältin berichtete, er habe in der Haft einen jüdischen Mitgefangenen kennengelernt und dadurch seine Haltung verändert. Eine psychologische Gutachterin berichtete von tief sitzendem Judenhass. Der Vorfall hatte für Schlagzeilen gesorgt, die Angst vieler Juden in Deutschland wuchs.
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung warnte zwischenzeitlich sogar vor dem Tragen der Kippa – was er später revidierte.
Für Professor geht es um Antisemitismus, den er von den Behörden erlebt hat
Der Angeklagte wurde in Deutschland geboren, im Grundschulalter aber von seinem Vater nach Jordanien geschickt, um Arabisch zu lernen und als Muslim erzogen zu werden. Für Melamed ist die Attacke des Mannes zweitrangig.
• Hintergrund: Antisemitismus ist eine Gefahr für unsere Demokratie
„Wenn es hier um Antisemitismus geht, dann geht es für unseren Mandanten vor allem um den Antisemitismus, den er von den Behörden erlebt hat“, sagte seine Anwältin Franziska Nedelmann.
Eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Polizei kein Fehlverhalten nachzuweisen sei. Da sich der Professor vehement gewehrt habe, seien seine Fixierung und die „Blendschläge“ durch die Beamten - die keine wirklich harten Schläge gewesen seien - gerechtfertigt gewesen.
Besucher des Hofgartens hatten sich in Auseinandersetzung eingeschaltet
In einer von seinem Anwalt Carsten Ilius verlesenen Erklärung kritisierte Melamed, die Bonner Polizei und die politischen Autoritäten hätten alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Brutalität des Einsatzes zu vertuschen.
Verletzt worden sei er nicht von dem Angeklagten, sondern „von einer Gang von vier Bonner Polizisten“. Dass die Untersuchung ergebnislos abgeschlossen worden sei, überrasche ihn nicht, denn das sei im heutigen Deutschland Normalität, wenn es um Gewalt- und Rassismusvorwürfe gegen die Polizeibehörden gehe.
Aus den Zeugenvernehmungen am Montag ging auch hervor, dass sich mehrere Besucher des Hofgartens während des Angriffs auf den Professor in die Auseinandersetzung eingeschaltet hatten, um sie zu beenden. Ein Mann rief die Polizei und fotografierte den Angreifer. Ein Philosophiestudent ging aktiv dazwischen. „Ich verachte jede Form von Gewalt“, sagte er vor Gericht. Das Urteil wurde für Montagnachmittag erwartet.
Anschlag in Halle mit zwei Toten sorgte für Entsetzen
Am 9. Oktober war es in Halle zu einem offenbar antisemitischen und rechtsextremen Anschlag gekommen. Der Anschlag mit zwei Toten schockierte viele Menschen in Deutschland und weltweit. Ein Mann hatte versucht, eine Synagoge im Paulusviertel zu stürmen. Er erschoss eine Frau auf der Straße vor der Synagoge und einen Mann in einem Döner-Imbiss, zwei weitere Menschen wurden durch Schüsse verletzt.
Der mutmaßliche Attentäter Stephan B., 27 Jahre alt, lebte mit seiner Mutter in einer Wohnung im ersten Stock in einem Reihenhaus im kleinen Ort Benndorf, rund 40 Kilometer von Halle entfernt. Stephan B. – Der Attentäter von Halle lebte in zwei Welten. (dpa/msb)