Berlin. Teile der SPD stechen zur Spargelfahrt in See. Doch die Partei muss dabei aufpassen, dass sie nach dem Nahles-Rücktritt nicht kentert.

Für Andrea Nahles vollzieht sich der Abschied in Etappen. Am Montag legte sie den SPD-Vorsitz nieder. Am Dienstag um kurz vor 14 Uhr betritt sie ein letztes Mal als Fraktionsvorsitzende das Reichstagsgebäude. Sie ist nicht allein. Manuela Schwesig, die für den Übergang in einer Troika einen Co-Parteivorsitz übernimmt, begleitet Nahles zum Fahrstuhl. Durch einen Nebeneingang kommen die beiden Frauen in den Otto-Wels-Saal im dritten Stock unter der gläsernen Kuppel.

Vor den 152 Abgeordneten, unter denen viele sind, die ihren Sturz maßgeblich mit herbeigeführt und herbeigesehnt haben, erinnerte Nahles an ihre erste Rede als junge Abgeordnete, damals noch im Plenarsaal im „Wasserwerk“ in Bonn. Gegen 22 Uhr sprach sie zur Künstlersozialversicherung. Nur acht Abgeordnete hätten zugehört. Das habe sie nicht gestört.

Es sei ein „erhabenes Gefühl“ gewesen. „Ich war ein aktiver Teil der ersten funktionierenden Demokratie auf deutschem Boden“, sagte Nahles. Diese Gefühl habe sie bei jeder Sitzung im Parlament gespürt.

SPD-Trio- Alle für einen – aber keiner will Parteichef werden

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    „Das ist meine Bitte an euch, dass ihr euch dessen immer bewusst seid. Denn diese Demokratie, das haben wir gemerkt in dieser Legislatur, ist gefährdet“, erklärte Nahles nach Angaben von Teilnehmern mit Blick auf den Einzug der AfD in das Parlament, ohne die Partei beim Namen zu nennen. Bei ihrem

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    Die 48-Jährige, die seit 1998 – mit einer dreijährigen Unterbrechung – Mitglied des Bundestages war, wird demnächst auch ihr Mandat niederlegen.

    Auf den Machtkampf in der Fraktion, der zu ihrem Rücktritt führte, ging Nahles nur kurz ein. Warum sie gehe, sei ja offensichtlich. „Der Rückhalt hat nicht gereicht.“ Deswegen habe eine Zuspitzung, also eine Vertrauensfrage zu stellen, keinen Sinn mehr gehabt. Nahles bedankte sich noch bei Carsten Schneider, ihrem Fraktionsmanager. Der Mann aus Thüringen sei ein „Lichtblick“ in der Fraktion.

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      Wie am Tag zuvor im SPD-Vorstand gibt es großen Beifall und viel Betroffenheit. Nahles war machttaktisch kein Kind von Traurigkeit. Aber die Gnadenlosigkeit, wie Fraktionskollegen zuletzt mit ihr umsprangen, hat viele in und außerhalb der SPD angewidert. Die älteste deutsche Partei muss sich nicht nur inhaltlich erneuern, sondern in Stil und Auftritt besser werden.

      Wird die SPD nach dem Nahles-Rücktritt bald von einer Doppelspitze geführt?

      Dafür steht ohne Frage Rolf Mützenich. Der erfahrene Außenpolitiker aus Köln übernimmt am Dienstag als dienstältester Stellvertreter von Nahles erst einmal die Geschäfte im Bundestag. Er und die Fraktion wollten alles dafür tun, dass die Sozialdemokratie sichtbarer werde für die Menschen.

      Zunächst aber steht der abgestraften SPD vor der wohl größte Parteireform der vergangenen Jahrzehnte. Wird es eine Doppelspitze geben? Sollen dazu die 450.000 Mitglieder befragt werden? Wann findet ein Parteitag statt, der Ja oder Nein zur Fortsetzung der Koalition mit der Union sagen muss? Die Antworten darauf hat die SPD auf den 24. Juni vertagt. Viele Spitzenleute aus der alten Garde streben den Vorsitz nicht an.

      Dafür brennen die Jusos darauf, die Partei zu modernisieren, sie dem Zeitgeist anzupassen und digitaler zu machen. Viele schauen deshalb auf

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        Kühnert lässt offen, ob er kandidieren würde. Im RBB sagte er, die SPD hätte erst mal andere Sorgen. „Wenn ich mir vorstelle, ich wäre jetzt ein stinknormales SPD-Mitglied und würde mitkriegen, dass zwei Tage nach der halben Implosion wieder alle nur anfangen, darüber zu reden, wer es jetzt als nächstes werden kann, ich weiß nicht, dann würde ich dieses kleine rote Büchlein vielleicht auch einfach irgendwann zum Fenster rauswerfen und sagen: „Ihr könnt mich alle mal“.“

        Die Personalfrage sei nicht die entscheidende. „Wir haben so viel zu klären: Was mit dieser Koalition weiter ist, was eigentlich unser Thema in der Zukunft sein soll.“

        Auch ganz praktische Dinge müssen besprochen werden. Stellt die Kanzlerin bei Koalitionsgipfeln bald drei Stühle extra hin, weil die Sozialdemokraten mit Schwesig, Malu Dreyer und Thorsten Schäfer-Gümbel anrücken? Das Trio muss außerdem gemeinsam mit Vizekanzler Olaf Scholz klären, wer für Katarina Barley als Justizministerin ins Kabinett nachrückt.

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        In der SPD stehen die Frauen für den Posten nicht Schlange. Wer will sich einen Job antun, der womöglich in ein paar Monaten mit einem GroKo-Aus hinfällig wird? Nahles wollte dem Vernehmen nach Nancy Faeser, die designierte hessische Landeschefin und Innenexpertin, zur Bundesministerin machen. Unklar, ob es dabei bleibt.

        Eine nahe liegende Lösung wäre es, die frühere Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz zur Justizministerin zu machen. Sie ist Staatssekretärin bei Barley und bräuchte keine Einarbeitungszeit.

        Am Dienstag nach der Fraktion fuhren die Abgeordneten mit Bussen zum Wannsee. Dort wartete die „MS Havel Queen“, um zur 58. Spargelfahrt des „Seeheimer Kreises“, des konservativen Flügels, in See zu stechen. Manche in der SPD hätten sich gewünscht, die Sause wäre abgesagt worden.

        Martin Sonneborn sagte einen Schiffbruch voraus

        2011 hatte

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        seinen großen Auftritt am Wannsee. Damals noch in Diensten der ZDF-„Heute-Show“, umkreiste der Satiriker und jetzige Chef der Partei

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        mit einem kleinen Motorboot die „Havel Queen“ und nervte mit einem Megafon die Genossen mit der Frage, wer denn nächster Kanzlerkandidat werde.

        In dem Video-Beitrag, der bei Youtube zu finden ist, kommt auch Andrea Nahles vor. Sonneborn fing die damalige Generalsekretärin am Landungssteg ab und frotzelte, er habe gehört, dass sie heute über Bord gehen werde? Nahles lachte und antwortete: „Nein, das wird jemand anders sein.“ Acht Jahre später ist Sonneborns’ Prophezeiung in Erfüllung gegangen.