Berlin. Die SPD wird vorerst von einer Troika geführt. Doch wer übernimmt langfristig die Parteispitze? Juso Kevin Kühnert wäre ein Kandidat.
Andrea Nahles marschiert aus dem Haupteingang. Immerhin. Als die SPD Kurt Beck mürbe machte, 2008 am Schwielowsee war das, da schlich der glücklose Beck durch die Hintertür in eine noble Hotelanlage, erklärte seinen Rücktritt und verschwand nach Mainz. Bei Andrea Nahles, wie Beck aus Rheinland-Pfalz, geht es am Montag würdevoller zu.
In ihrer letzten Vorstandssitzung vollzieht sie jenen spektakulären Totalausstieg aus der Politik, den sie am Sonntag angekündigt hatte und der die SPD in neue Turbulenzen stürzte. Schluss nach drei Jahrzehnten Politik.
So öffnet sich um 10.47 Uhr eine Glastür, die 407-Tage-Vorsitzende kommt zu den wartenden Reportern und Kamerateams heraus. Ein bisschen mehr Mühe hätte sich die Partei durchaus geben können.
Etwas trostlos wirkt das, wie Nahles vor der nackten Betonwand steht und ihre vorbereiteten Sätze spricht. Sie bedankt sich für die jahrelange gute Zusammenarbeit mit den Medienvertretern: „Dankeschön, machen Sie es gut!“ Dann steigt sie mit ihren engsten Mitarbeitern in einen blauen Audi und braust davon.
Nach Nahles-Rücktritt: Heiko Maas fordert eine Doppelspitze für die SPD
Wie die SPD das Vakuum füllen soll, das Profi Nahles trotz all ihrer Schwächen und Alleingänge hinterlässt, darüber brüteten seit Sonntag die wichtigen Frauen und Männer. In der Vorstandssitzung hält Nahles nach Angaben von Teilnehmern eine bewegende Abschiedsrede.
Einige Augen werden feucht. Was etwas heuchlerisch wirkt, weil viele in der SPD in den vergangenen Tagen alles daran gesetzt hatten, die erste Frau an der Parteispitze möglichst schnell wieder loszuwerden. Beobachter sprachen sogar davon,
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Im Vorstand ergreift als einer der Ersten Heiko Maas das Wort. Der Außenminister macht sich dafür stark, dass die SPD künftig von einer Doppelspitze geführt wird. Frau und Mann. Wie bei den Grünen, bei den Linken, bei der AfD. Vor allem das grüne Gespann Robert Habeck und Annalena Baerbock hat den anderen vorgemacht, wie viel Power ein Duo entfalten kann, wenn es harmoniert.
Andere melden sich, fordern, den Dezember-Parteitag auf September vorzuziehen, um die Personalfragen zu klären und über den Verbleib in der ungeliebten GroKo abzustimmen. Viele Fragen, unglaublicher Druck.
In der Vergangenheit führte der im Führungsgremium teils zu panischen Überreaktionen, die alles nur noch schlimmer machten. Am Montag aber behält die Spitze die Nerven und vertagt alle wichtigen Entscheidungen auf den 24. Juni. Nicht alle.
Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel sollen den Übergang moderieren
Um 15.04 Uhr schreitet eine Troika auf die Bühne im Willy-Brandt-Haus. Thorsten Schäfer-Gümbel, genannt TSG. Malu Dreyer, die integre, kluge Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Und Manuela Schwesig, die in Mecklenburg-Vorpommern eine rot-schwarze Landesregierung anführt. Schon wieder ein Dreiergespann, denken viele. Nicht so originell.
Das haben die Sozialdemokraten in ihrer bewegten Geschichte schon öfter probiert. Mit mäßigem Erfolg. Diese Troika aber ist anders angelegt. Das wird nach wenigen Minuten klar. TSG, Malu und Manu sollen nur einen Übergang moderieren.
Die SPD sei nach Nahles’ Rücktritt „nicht kopflos und auch nicht führungslos“, sagt Schäfer-Gümbel. Neben Enttäuschung und Trauer über das Ergebnis der Europawahl gebe es aber auch „eine gehörige Portion Sorge“ über die Zukunft der Partei.
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Aus der Troika strebt niemand die dauerhafte Parteispitze an
Es zeichnet sich ab, dass die SPD sich nach dem 24. Juni auf den Weg machen wird, eine andere zu werden. Wie nach dem Vorbild der CDU, wo sich in Regionalkonferenzen Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn für die Nachfolge von Angela Merkel an der Parteispitze vorstellten, dürfte es nach der Sommerpause bei der SPD einen Wettbewerb um das künftige Spitzenpersonal geben.
Am Ende würden die rund 450.000 Mitglieder abstimmen, wer die neuen Gesichter sind. Dreyer sagt, keiner aus der Troika werde für den dauerhaften Parteivorsitz kandidieren. Das ist in ihrem Fall keine große Überraschung. Dreyer will in Rheinland-Pfalz wieder antreten. Sie hat Multiple Sklerose, braucht manchmal einen Rollstuhl, um sich zu schonen. Auf Dauer wäre eine Doppelbelastung Mainz-Berlin zu viel.
Die Vorsitzenden der SPD seit 1946
Aber Schwesig, der schon lange nachgesagt wird, sie wolle ganz nach oben? Sie sagt, sie habe ihren Amtseid auf die Landesverfassung in Mecklenburg-Vorpommern geschworen. Als SPD-Vize nehme sie natürlich die Pflicht an, in größter Not der Partei zu helfen. „Das schließt gleichzeitig aus, dass wir für den Parteivorsitz kandidieren“, sagt Schwesig, die sich dem AfD-Rechtsruck im Osten entgegenstemmen will.
Dass sie jetzt nicht nach der Macht in der Bundespartei greift, könnte sich als kluger Schachzug erweisen. Verteidigt sie 2021 in der Landtagswahl ihre Macht in Schwerin, stünde ihr anschließend alles offen.
Schäfer-Gümbel kündigt an, der Vorstand werde am 24. Juni über das Verfahren und die Struktur zum künftigen Parteivorsitz beraten. Thema solle auch sein, mit welchem Verfahren die SPD die Halbzeitbilanz der Koalition angehen wolle. Sachsen-Anhalts SPD hat sich bereits für ein Ende der großen Koalition ausgesprochen.
Dreyer sichert der Union Vertragstreue zu. „Wir haben uns nach einem Mitgliedervotum entschieden, in die große Koalition einzugehen, und wir sind vertragstreu“, sagt sie.
Für Kevin Kühnert könnte die große Stunde schlagen
Aber wenn keiner aus der alten Garde den Vorsitz will, wer dann? Nun könnte die große Stunde von Kevin Kühnert schlagen. Der Juso-Chef hatte nach der Wahl die No-Groko-Bewegung angeführt, die mit großer Mehrheit der Mitglieder gefällte Entscheidung für die Neuauflage aber zähneknirschend akzeptiert.
Vor der Europawahl hatte
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mit einem Interview, in dem er sich für eine Kollektivierung von Konzernen wie BMW und gegen Wohneigentum im großen Stil aussprach, für Furore gesorgt. Das SPD-Establishment regte sich auf. Im linken Lager wurde Kühnert gefeiert. Springt er jetzt und übernimmt Verantwortung?
Jusos wollen Rolle bei der Umwälzung der SPD spielen
Die Jungsozialisten aus Nordrhein-Westfalen jedenfalls sind gewillt, bei der Umwälzung der SPD Verantwortung zu übernehmen. Der Rücktritt von Nahles biete die vielleicht letzte Gelegenheit, einen radikalen politischen Kulturwechsel in der SPD vorzunehmen, sagt die Landes-Juso-Chefin Jessica Rosenthal. Dafür brauche die Partei frische Leute. „Dieser politische Kulturwechsel muss anschließend auch mit Personal verkörpert werden, das für ein wirkliches Comeback der SPD steht.“
Alle Entscheidungsträger innerhalb der SPD müssten in den kommenden Wochen für sich die Frage klären, „ob sie Teil der Lösung oder Teil des Problems sind“. Ein glaubwürdiger Bruch mit der Hartz-Agenda-Politik könne nur gelingen, „wenn die verantwortlichen Personen in der SPD keine zentrale Rolle mehr einnehmen“. Läuft die Zeit für
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& Co. ab - und auch für Angela Merkel?
Die setzt auf eine weitere Zusammenarbeit mit der SPD. „Ich habe nicht den Eindruck, dass daraus ein Signal der Instabilität einhergeht“, sagt sie in Weimar mit Blick auf das neue Führungstrio an der SPD-Spitze. Der SPD-„Findungsprozess“ hindere die große Koalition nicht an der Arbeit, sie stehe im Kontakt mit Vizekanzler Scholz. „Wir fühlen uns der Arbeit in der Koalition verpflichtet, wir wollen die Dinge, die wir miteinander abgemacht haben, umsetzen.“
Abzuwarten bleibt, was die Bundesminister, die vielen Staatssekretäre und 152 Bundestagsabgeordneten der SPD davon halten, vorzeitig eine
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zu riskieren. Stand heute würde die Partei wohl nicht wieder 20,5 Prozent erreichen wie 2017.