Düsseldorf/Hannover. . Die Ermittlungen wegen des massenweisen Kindesmissbrauchs weiten sich aus. Offenbar gab es bereits vor 17 Jahren Hinweise auf die Täter.
Der Fall des massenhaften Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde weitet sich aus. Am Dienstag wurde bekannt, dass inzwischen gegen einen siebten Tatverdächtigen ermittelt wird. Der 16-Jährige soll kinderpornografisches Material besessen haben, das auf dem Campingplatz entstanden ist. Außerdem haben Sonderermittler herausgefunden, dass die Kreispolizei Lippe schon sehr viel früher als bisher bekannt, Hinweise auf Kindesmissbrauch durch den Hauptverdächtigen hatte.
In einer Liste der Polizei Lippe stehe, dass der Hauptbeschuldigte schon 2002 ein achtjähriges Mädchen missbraucht haben soll. Außerdem soll ein weiterer Camper in Lügde eine 15-Jährige vergewaltigt haben. Die Mutter des Mädchens erstattete 2018 Anzeige, aber die Ermittlungen wurden offenbar eingestellt.
Derzeit werde untersucht, ob die Polizei damals in diesen Fällen ermittelte, sagte der zuständige Sonderermittler Ingo Wünsch im Innenausschuss des Landtags.
Spezialisten des Landeskriminalamtes und des Polizeipräsidiums Bielefeld haben nach einer nochmaligen Untersuchung des Campingplatzes und der Wohnung des Hauptverdächtigen viele weitere Beweismittel gefunden, die offenbar bisher von der Polizei Lippe übersehen wurden. Es handelt sich um einen Computer, eine Festplatte und 131 CDs.
Das Innenministerium hat die Führung der Kreispolizeibehörde Lippe kurzfristig neu aufgestellt. Schlüsselpositionen sind neu besetzt worden. So soll die "weitere Aufarbeitung der Fehlleistungen in der Kreispolizeibehörde Lippe umgehend" angegangen werden, so die Mitteilung des zuständigen Behördenleiters.
Verschwundene CDs nicht wieder aufgetaucht
Ermittler Wünsch sprach von „schweren handwerklichen Fehlern“ der Leitung der Kreispolizei Lippe. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte die Gründung einer Stabsstelle Kindesmissbrauch in seinem Ministerium an. Er bat die betroffenen Kinder und ihre Familien um Entschuldigung.
Opfer sind nach derzeitigem Ermittlungsstand mindestens 31 Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren. Darunter ist ein Pflegekind, dass bei dem Hauptverdächtigen auf dem Campingplatz wohnte. Der Mann soll das Mädchen missbraucht und als Lockvogel eingesetzt haben, um an andere Kinder heranzukommen.
Verschwundene Dateien nicht wieder aufgetaucht
Angesichts der Pannenserie fällt das Urteil des NRW-Innenministers über die Kreispolizeibehörde Lippe vernichtend aus. Man habe es dort „mit außergewöhnlichem Fehlverhalten von Polizisten“ zu tun, sagte Reul bei der Sondersitzung des Landtags-Innenausschusses.
„Unstrukturierte und fachlich erheblich defizitäre Ermittlung“, „keine klaren Verantwortlichkeiten“, „völlig unzureichende Sicherung von Asservaten“ – Was Ingo Wünsch, der mit seinem Ermittler-Team die verschwundenen Beweismittel – 155 Datenträger in einem Koffer und einer Mappe – sucht, über die Arbeitsweise der Kreispolizei Lippe berichtet, lässt die Zuhörer fassungslos zurück. Da wurde ausgerechnet ein Polizeianwärter mit der Sichtung dieser nun verschwundenen Asservate beauftragt. Da war der Raum, in denen die Beweismittel wochenlang lagen, „werktäglich nahezu offen“ für jedermann. Sämtliche Zuständigkeiten verschwimmen im Nebel. „Keiner kann sagen, wer den Polizeianwärter mit der Sichtung der Beweismittel beauftragt hat, auch er selbst nicht“, erzählte Innenminister Reul. Das Schlimmste: Noch immer weiß keiner, wo die verschwundenen Datenträger sind.
Es gibt aber eine Spur, die eventuell zu den CDs führen könnte, der aber noch nicht nachgegangen werden konnte: In der Nähe des Gebäudes der Kreispolizei Lippe soll ein Container stehen, in dem Datenmüll gelagert wird. Den Ermittlern zufolge konnte der Container aber noch nicht geöffnet werden. Dazu werde die Hilfe des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) benötigt.
Missbrauch begann vor mindestens zehn Jahren
Der vielfache sexuelle Missbrauch soll bereits vor mehr als zehn Jahren begonnen haben. In der Zwischenzeit wurden Hinweise auf Tatverdächtige nicht wahrgenommen. Nachdem nun Verdächtige aufgeflogen sind, waren Beweismittel verschwunden, die auf dem Campingplatz und in der Wohnung des Hauptverdächtigen gefunden worden waren.
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NRW-Innenminister Reul hatte bereits Polizeiversagen eingeräumt. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hartmut Ganzke, ermahnte den Minister im Vorfeld, die Verantwortung für die schrecklichen Vorfälle nicht allein bei der Polizei vor Ort abzuladen. Ein Beamter ist bereits suspendiert worden.
Innenminister spät informiert
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Verena Schäffer, will von Reul eine Erklärung, warum er als oberster Dienstherr erst so spät über das Verschwinden des Beweismaterials informiert wurde und wie der Verlust so lange unbemerkt bleiben konnte. ( mit dpa)