Düsseldorf. . Aufklärung im Polizeiskandal sei seine „verdammte Pflicht“, sagt der NRW-Innenminister. An diesem Versprechen wird er sich messen lassen müssen.

Ein Polizeiskandal dieser Dimension ist geeignet, das NRW-Parlament in helle Aufruhr zu versetzen. Doch als es dort am Freitag um den massenhaften Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde und um das unerklärliche Verschwinden von 155 Datenträgern mit Beweismaterial aus der Polizeibehörde Lippeging, blieb der Landtag betont sachlich. Die Opposition droht der Regierung zwar mit einem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss und fordert eine Sondersitzung des Innenausschusses. Aber der für die Polizei zuständige NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) blieb im Plenarsaal recht unbehelligt von SPD, Grünen und AfD.

Herbert Reul (66) ist ein „Unikum“ unter den Landesministern: ein leutseliger, emotionaler und „populär“ redender Typ, der Gegenentwurf zum spröden Aktenfresser. Doch der Polizeiskandal um verschwundene Datenträger ist für den Mann mit der lockeren Zungen die erste richtige Bewährungsprobe als Innenminister.

Reul: „Das ist mein Projekt. Das wird aufgeklärt.“

Jetzt wird es ernst für ihn, und Reul setzte sich im Plenum des Landtags auch noch selbst massiv unter Druck: „Das ist mein Projekt. Das wird aufgeklärt, soweit es geht. Hundert Prozent“, versprach er. Die Sonderermittler würden nun in der Polizeibehörde Lippe jeden Stein umdrehen und den Stein notfalls auch „röntgen“. Aufklärung sei nun seine „verdammte Pflicht“, rief Reul. Gerade als Familienvater machten ihn diese Verbrechen an Mädchen und Jungen besonders betroffen: „Es ist unfassbar, was Menschen Kinder antun.“

Die Attacken des politischen Gegners fielen im Landtag verhältnismäßig mild aus. CDU, SPD, FDP und Grüne hatten sich auf einen gemeinsamen Antrag für den Schutz von Kindern für Missbrauch geeinigt, dem auch die AfD zustimmte. Und doch ist die Lage nicht einfach für den Rheinländer Reul, der sich der Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten als energischer Kämpfer gegen die Clan-Kriminalität präsentierte. Ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Aufklärung des Polizeiskandals ist nicht ausgeschlossen, schon am kommenden Dienstag trifft sich der Innenausschuss des Landtages zur Sondersitzung.

Minister erfuhr erst nach Wochen vom Verschwinden der CDs

Reul bot dem Landtag am Freitag die Gründung einer Arbeitsgruppe an mit Vertretern aller Fraktionen, die „zentral alle Informationen“ über den Fall der verschwundenen Datenträger bekommen soll. „Dazu lade ich Sie ein“, sagte der Minister. Schon zu Beginn der Woche sei mit einem ersten Zwischenbericht der Ermittler zu rechnen. An dem „Ich lege alle Karten auf den Tisch-Signal“ wird sich der Innenminister allerdings messen lassen müssen.

Wie schwierig es werden kann, wenn Wahrheiten dann doch nur scheibchenweise ans Licht kommen, hatte Justizminister Peter Biesenbach (CDU) zuletzt wiederholt erfahren, als es um die Aufklärung des Todesfalls eines in Kleve unschuldig inhaftierten Syrers ging. Verwaltungen sind nicht immer so informativ, wie Minister es gerne hätten. Von den in der Polizeibehörde Lippe verschwundenen Datenträgern erfuhr Innenminister Reul erst am Montag – drei Wochen nachdem der Verlust in Lippe aufgefallen war. Zuletzt gesehen wurden die CDs und DVDs am 20. Dezember.

Grünen-Fraktionsvize Josefine Paul streute Salz in diese Wunde, indem sie nach dem „Kommunikationsversagen“ fragte: „Wie konnte das Fehlen der CDs so lange unbemerkt bleiben? Wie kann es sein, dass ein Raum, in dem wichtige Beweise lagern, nicht ausreichend geschützt ist?“ Der Innenminister müsse diese Fragen schnell klären, um jeden Vertuschungsverdacht auszuräumen. Dennis Maelzer (SPD) beklagte eine „Kleinstaaterei“ beim Kinderschutz in NRW. Jedes der 186 Jugendämter arbeite mit unterschiedlicher Qualität.

Laschet: „Ganz Deutschland schaut zu“

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte extra einen Termin abgesagt, um bei der Diskussion über Kindesmissbrauch und den Polizeiskandal im Plenum zu sein. Wenn es ums Kindeswohl gehe, müsse die Parteipolitik enden, sagte er. Daher sei es gut, dass die Regierung angekündigt habe, dem Parlament alle neuen Erkenntnisse zum Skandal vorzulegen. Laschet mahnte: „Dieser Fall wird in ganz Deutschland beobachtet.“

>>> Strenge Regeln für Asservate

Für das Aufbewahren von Asservaten, also Beweismitteln, gelten bei der Polizei strenge Regeln. In jeder Behörde muss es laut NRW-Innenministerium eine Verwahrstelle für Asservate geben, die Aufsicht darüber hat ein verantwortlicher Beamter. Nur ein bestimmter, ausgewählter Personenkreis hat Zugriff auf die Beweismittel. Jede Heraus- und Rückgabe muss dokumentiert werden. Die wichtigste Regel: Alle Beteiligten müssen darauf achten, dass Asservate nicht verloren gehen. Ausgerechnet diese Regel wurde in Lippe gebrochen.