Berlin. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Akademiker-Kind Abitur macht, ist sechs Mal höher als bei Kindern aus anderen Familien. Das geht aus dem am Mittwoch erschienen Kinderreport 2009 des Deutschen Kinderhilfswerks hervor. Das Fazit: Das deutsche Bildungssystem ist ungerecht und undurchlässig.
Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben in Deutschland wenig Chancen auf Bildungserfolg. Das geht aus dem vom Deutschen Kinderhilfswerk am Mittwoch in Berlin veröffentlichten «Kinderreport 2009» hervor. Der Präsident des Deutschen Kinderhilfswerkes, Thomas Krüger, appellierte an die Politik, für ein durchlässigeres Bildungssystem zu sorgen. Die Mitautorin des Kinderreports, Nadia Kutscher, warnte unterdessen davor, Eltern weiter unter Druck zu setzen und forderte, ihnen stattdessen mehr materielle, strukturelle und personelle Unterstützung und Entlastung anzubieten. Gerade finanziell schwierig gestellte Familien müssten viel leisten, um ihre Kinder zu erziehen.
Forderung nach längerem gemeinsamen Lernen
Nach Ansicht von Krüger ist das «relativ starre Bildungssystem» in Deutschland problematisch, da es nur wenige Möglichkeiten zur individuellen Förderung von Kindern biete. Er monierte, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Akademikerkind Abitur mache, sei sechs Mal höher als bei Kindern aus anderen Familien. Um die soziale Benachteiligung zu bekämpfen, sei ein durchlässigeres Schulsystem notwendig, das ein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht, sagte Krüger.
Krüger verwies zugleich auf das vor 20 Jahren in der UN-Kinderrechtskonvention festgelegte Recht auf Bildung. Er forderte, die Bildungsausgaben in Deutschland müssten deutlich erhöht werden. Dabei müsse die Priorität auf den Aufbau und Ausbau von Ganztagsschulen liegen. Betreuungseinrichtungen wie Kindertagesstätten müssten ferner von Betreuungs- in Bildungseinrichtungen umgewandelt werden.
"Familien sind der Ort, an dem Bildungsungleichheit besteht"
Kutscher, die als Erziehungswissenschaftlerin an der Katholischen Hochschule NRW in Aachen tätig ist, hob hervor, die Zukunft der Kinder hänge in Deutschland vor allem von ihrer Herkunft ab. «Familien sind der Ort, an dem Bildungsungleichheit entsteht», sagte sie. Zahlreiche Studien bewiesen, dass die Bildungsförderung der Kinder sowohl von den finanziellen Möglichkeiten der Familien als auch von den sozialen Netzwerken und eigenen Bildungserfahrungen abhänge. «Je nach Ressourcen einer Familie kann sie den Kindern etwas Hilfreiches mitgeben oder auch nicht», sagte Kutscher.
So könnten die Eltern die Kinder oft kaum bei den Hausaufgaben unterstützen und ihnen bei Sport und Freizeit weniger anbieten als Familien, die über mehr Ressourcen verfügen. Kutscher forderte, die Familien dabei zu unterstützen, ihre Rolle als Bildungspartner wahrnehmen zu können. Zudem müssten Bildungseinrichtungen und das entsprechende Personal mehr auf die Bedürfnisse der Familien und Kinder eingehen. (ddp)