Essen/Gelsenkirchen. . Die Fahrverbote für alte Diesel auf der A40, in Essen und Gelsenkirchen haben massive Auswirkungen. Das müssen Sie jetzt wissen.

Es ist das bisher wohl weitreichendste Fahrverbot, das ein deutsches Gericht ausgesprochen hat: Am Donnerstag hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen entschieden, einen zentralen Teil der A40 mit einem Diesel-Fahrverbot zu belegen. Damit wäre eine Hauptachse des Ruhrgebiets mit täglich Hunderttausenden Pendlern ab Sommer 2019 für alte Diesel gesperrt. Das Urteil hat massive Auswirkungen in der Region.

Was haben die Richter konkret geurteilt?

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Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat über Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen die Luftreinhaltepläne für die Städte Gelsenkirchen und Essen entschieden. In beiden Städten werden immer noch die seit 2010 geltenden Grenzwerte für das gesundheitsgefährdende Stickstoffdioxid zum Teil erheblich überschritten. Die Richter haben das Land als Beklagten jetzt verpflichtet, die Pläne nachzuarbeiten: Wenn die Grenzwerte weiter überschritten werden, müssen Fahrverbote eingerichtet werden. In Gelsenkirchen soll ab Juli 2019 ein Verbot für Diesel mit Euro-5-Norm und älter eingeführt werden. Essen soll zu Fahrverboten ab Juli 2019 für Euro-4- und ab September für Euro-5-Diesel verpflichtet werden. Es gebe Verantwortlichkeiten, denen die Justiz Rechnung zu tragen habe, sagte Richterin Margit Balkenhol.

Wo sollen die Verbote gelten?

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Von Wolfgang Kintscher, Michael Mücke und Franz Wilmsen

In Gelsenkirchen soll die sogenannte Schalker Meile, die täglich von 20.000 Fahrzeugen genutzte Kurt-Schumacher-Straße, auf einem rund 650 Meter langen Teilstück für alte Diesel tabu sein. Die Einschränkungen in Essen sind viel umfangreicher: Dort forderten die Richter eine sogenannte Blaue Umweltzone, die 18 Stadtteile und den Essener Abschnitt der A40 umfasst. Damit ist erstmals ein Fahrverbot für eine Autobahn angemahnt worden. Unter der Woche werden in Essen-Kray rund 130.000 Kraftfahrzeuge am Tag auf der A40 registriert.

Welche Diesel wären davon betroffen?

Im Kern-Ruhrgebiet sind rund 200.000 Diesel-Pkw zugelassen, die die Sperrgebiete künftig meiden müssten. Allein in Essen wären laut Stadt 52.000 Dieselfahrzeuge betroffen. In Gelsenkirchen sind rund 17.000 Diesel-Pkw mit Euro-5-Norm zugelassen, die einen 2,5 Kilometer langen Umweg in Kauf nehmen müssten, weil sie auf wenigen Hundert Metern der Kurt-Schumacher-Straße nicht fahren dürfen. Richterin Balkenhol regte im Laufe der Verhandlung am Donnerstag an, dass die Städte Ausnahmen für Anwohner prüfen sollten.

Sind auch Benziner betroffen?

In Essen und Gelsenkirchen schließen die Richter auch Benziner der Abgasnorm Euro 2 in die Verbote ein (Baujahr 2000 und älter). Die meisten dieser Fahrzeuge dürfen derzeit in die Umweltzone Ruhr einfahren. In Essen sind laut Stadt rund 27.500 Benziner betroffen.

Gelten die Fahrverbote sofort?

Für Essen hat Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) am Donnerstag angekündigt, am Oberverwaltungsgericht Münster in Berufung zu gehen. Das hat aufschiebende Wirkung: Fahrverbote müssten erst eingesetzt werden, wenn sie letztinstanzlich bestätigt sind. Die Bundesregierung versucht indes, die Fahrverbote ganz auszubremsen: Das Kabinett beschloss am Donnerstag eine Gesetzesregelung, wonach Fahrverbote in Städten mit einer Belastung von unter 50 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft als unverhältnismäßig gelten. Essen-Frohnhausen liegt darüber.

Wie reagieren die Städte?

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Sie sind sauer. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) kritisierte die Automobilindustrie und warf der schwarz-gelben Landesregierung Untätigkeit vor. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) erklärte, seine Stadt treffe das Urteil hart. Die Bürger müssten jetzt ausbaden, was auf Bundes- und Landesebene seit Jahren versäumt wurde. Der Deutsche Städtetag forderte eine Hardware-Nachrüstung und Umtauschprämien für Euro-4- und Euro-5-Diesel über die vom Bund angedachten 15 Städte hinaus. „Wenn das heutige Urteil rechtskräftig wird, sind gravierende Folgen für Essen und das Ruhrgebiet zu erwarten“, warnte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.

Was sagt die Deutsche Umwelthilfe?

Chef der Deutschen Umwelthilfe zu den Fahrverboten im Revier

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    Geschäftsführer Jürgen Resch sprach von einem „großen Tag für das Ruhrgebiet“. Das Urteil werde eingehen in die Geschichte von Umwelt- und Verkehrspolitik. Die Autoindustrie müsse endgültig ihre Betrugsfahrzeuge zurücknehmen. Man benötige jetzt einen Kraftakt, um schmutzige Fahrzeuge schnell nachzurüsten.

    Was bedeutet das für die Wirtschaft?

    Wirtschaftsvertreter warnen trotz möglicher Ausnahmen für Gewerbetreibende vor massiven Folgen vor allem für Mittelständler. Laut IHK zu Essen haben nur acht Prozent der Nutzfahrzeuge und Lastfahrzeuge der Firmen aus Essen, Oberhausen und Mülheim die Euro-6-Norm. „Das Verbot trifft in erster Linie kleine und mittlere Unternehmen, die nicht über die Mittel verfügen, immer in die neuesten Modelle zu investieren“, sagte Essens IHK-Hauptgeschäftsführer Gerald Püchel. Große Speditionsunternehmen verfügen laut Branchenverband meist über neuere Fuhrparks. Der Essener Chemiekonzern Evonik nimmt das Urteil zum Anlass, um mit Logistikfirmen über umweltschonende Alternativen zu sprechen. Fritz Jaeckel, IHK-Chef Nord-Westfalen, hat die Pendler im Blick: Umwege und längere Fahrzeiten drohten, das bereits überlastete Straßennetz im Revier könne kollabieren.

    Wie sind Fahrverbote zu kontrollieren?

    Das halten Fachleute für äußerst schwierig. Parkende Autos sind quasi nicht zu kontrollieren, weil die Abgasnorm nur in den Fahrzeugpapieren steht – eine blaue Plakette für Diesel gibt es nicht. Polizisten müssten Autofahrer zur Fahrverbotskontrolle zudem anhalten. „Die Polizei kann das nur im Rahmen einer allgemeinen Verkehrskontrolle überprüfen“, sagte ein Sprecher der Polizei Gelsenkirchen. Das könne zu erheblichem Rückstau führen. Gelsenkirchens OB Baranowski warnte: „Das wäre doch Irrsinn!“

    Drohen weitere Verbots-Urteile?

    Im Revier wird noch über Klagen der Umwelthilfe gegen die Luftreinhaltepläne für Dortmund und Bochum entschieden, weitere Klagen werden für Oberhausen, Hagen und Herne erwartet. Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet mit Erfolgen. „Die Städte haben zu wenig getan, um die Stickstoffdioxidwerte zu reduzieren“, bemängelte er.