Essen/Gelsenkirchen. . Dokumentarfilm brachte die „Elternschule“ der Kinderklinik in Gelsenkirchen in die Kritik. Jetzt ermittelt der Staatsanwalt wegen Misshandlung.
Der Kinderschutzbund hatte die Frage früh laut gestellt: ob es nicht Misshandlung Schutzbefohlener sei, was der Film „Elternschule“ da gerade im Kino zeigt? Denn es gebe Szenen in der Dokumentation, „in denen Kinder psychischer und physischer Gewalt ausgesetzt sind“, sagte Präsident Heinz Hilgers. Nun hat ein Arzt Anzeige erstattet. Die Essener Staatsanwaltschaft ermittelt wegen der genannten Vorwürfe gegen die Kinder- und Jugendklinik am Bergmannsheil in Gelsenkirchen. Das bestätigte ein Sprecher am Dienstag.
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Der Dokumentarfilm „Elternschule“ der Filmemacher Jörg Adolph und Ralf Bücheler sorgt seit seiner Kinopremiere Anfang Oktober in ganz Deutschland für eine heftige Debatte. Die beiden hatten rund ein Jahr lang die Arbeit in der Klinik-Abteilung für Pädiatrische Psychosomatik begleitet: Dort werden verhaltensauffällige Kinder, die nicht schlafen, nicht essen oder immer nur wütend sind, gemeinsam mit ihren Eltern therapiert. Nach wissenschaftlichen Leitlinien, sagt die Klinik, sagen auch Experten wie die Bochumer Kinder-und Jugendpsychologin Prof. Silvia Schneider.
Kritiker wollen Film absetzen
Doch vor allem im Netz kochen die Emotionen hoch. „Folter“ warf der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener den Gelsenkirchenern vor. „Unwürdige Behandlung“ von Kindern, die sich „unterwerfen“ müssten, beklagte ein Kinderarzt. Mütter schrieben wütend in Internet-Foren, die „kleinen Seelen“ würden „gebrochen“. Eine Online-Petition, die die Absetzung des Films fordert, fand inzwischen fast 21.000 Unterstützer.
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Ihre Kritik bezieht sich auf Szenen, in denen Erzieher die kleinen Patienten zum Essen animieren oder sie zum „Schlafenlernen“ in einen dunklen Raum legen. Von „Zwangsernährung“ und „Isolation“ war aber schon die Rede, da war erst ein Trailer für die „Elternschule“ öffentlich geworden. Kinderschutzbund-Chef Hilgers ärgerte, dass die Kinder als „Monster“ dargestellt würden.
Die Filmemacher gaben einen Dialog alsbald auf, weil „Diskussionen in dem aufgeheizten Klima nicht möglich“ seien, die Facebookseite wurde nach Nazi-Vorwürfen geschlossen. Auch die Klinik wehrte sich gegen die „verbale Aggressivität“: Die Polemik sei „unerträglich“. Die Kritik vieler Kinobesucher empfand der ärztliche Leiter, Dr. Kurt-André Lion, als „entwürdigend, für das Team, die Klinik und die notleidenden Familien“. Gestern wiederholte Lion: „Unsere Arbeit ist absolut gewaltfrei. In unserer Klinik gibt es keine Gewalt.“
Von der Anzeige gegen die Kinder- und Jugendklinik war Geschäftsführer Werner Neugebauer am Dienstag nicht einmal überrascht. Die Ermittlungen sieht er als „Chance, die unberechtigten Vorwürfe juristisch zu entkräften“. Sie seien „haltlos“.
>>INFO: FILM LÄUFT WEITER IN DER REGION
Die „Elternschule“ läuft wegen des großen Interesses auch in dieser Woche noch in der Region: im „Casablanca“ in Bochum (Freitag, 2. November, und Sonntag, 4. November, 17.30 Uhr), im „Central“ in Dorsten (Sonntag, 4. November, 12.45 Uhr), im „Bambi“ in Düsseldorf (Donnerstag, 1., bis Sonntag, 4. November, 14 Uhr), im „Glückauf“ in Essen (Sonntag, 4. November, 15 Uhr) sowie in der „Schauburg“ in Gelsenkirchen (Donnerstag, 1. November, 15 Uhr und Sonntag, 4. November, 12.45 Uhr).
Anmerkung der Redaktion:
Die Essener Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Einrichtung mittlerweile eingestellt. „In dem Film ist nichts zu sehen, was als Straftat zu werten wäre», sagte eine Sprecherin der Essener Ermittlungsbehörde in der Begründung für die Ermittlungen zu den Strafanzeigen gegen den Film „Elternschule“. Auch eine unangemeldete Kontrolle der Klinik durch die Bezirksregierung Münster habe keinen Anlass für Ermittlungen ergeben.
Die Staatsanwaltschaft Essen hatte wegen möglicher Freiheitsentziehung und Gewalt gegen die Kinder ermittelt. Es hatte mehrere Strafanzeigen wegen im Film gezeigter Szenen gegeben. Heftige Kritik an den gezeigten Therapiemethoden hatte es unter anderem von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) und dem Deutschen Kinderschutzbund gegeben.
Anzeigen von Eltern habe es nicht gegeben, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Deshalb habe sich das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft allein auf den Film bezogen.